Die Diskussionen um den Impfstoff Astrazeneca haben in den vergangenen Monaten bei vielen Menschen für Verunsicherung gesorgt: Zwar wurde der Impfstoff vom Bund inzwischen für alle Altersklassen freigegeben, die Ständige Impfkommision empfiehlt jedoch weiterhin, das Vakzin nur an Menschen über 60 Jahre zu verimpfen.
Der Grund für diese Altersbeschränkung? Bei jüngeren Geimpften waren in wenigen Fällen schwere Thrombosen aufgetreten. Jüngere sollen zur Sicherheit daher vorrangig die Vakzine Moderna oder Biontech geimpft bekommen.
Auch Dr. Christoph Dittrich folgt dieser Empfehlung. Er ist Hausarzt in Hamburg, hat sowohl Biontech als auch Astrazeneca zur Verfügung und wäre damit also in der Lage, sowohl seine älteren, als auch seine jüngeren Patienten mit Impfungen zu versorgen – das Problem ist nur: Einige seiner älteren Patienten finden das ungerecht.
Anstatt sich mit Astrazeneca impfen zu lassen, bestehen sie auf eine Impfung mit dem vermeintlich besseren Biontech. Eine Haltung, die der Hausarzt "unsolidarisch gegenüber den Jüngeren" findet und wegen der er sich nun sogar genötigt fühlte, eine Stellungnahme auf seiner Website zu geben.
Dort teilte der Mediziner mit, dass er sich nicht mehr auf "frustrierende Diskussionen" einließe und Patienten über 60 Jahren vorrangig mit Astrazeneca impfen werde. Zwar könnten auch Jüngere den Vektorimpfstoff bekommen, da er für ältere aber mit weniger Risiken behaftet ist, sei es nur fair, den Jüngeren das Biontech zu überlassen. Er lasse sich diesbezüglich weder "erpressen" noch "beschimpfen".
Doch wieso sind so deutliche Worte überhaupt nötig? Watson fragte bei Dittrich nach. "Das Problem ist, dass wir immer noch sehr wenig Impfstoff zur Verfügung haben", sagt er. Wöchentlich seien das zu Beginn etwa 200 Dosen gewesen, 90 davon Biontech, der Rest Astrazeneca. Vergangene Woche waren es noch viel weniger: Nur sechs Dosen Biontech und 40 Astrazeneca standen Dittrich zur Verfügung. Die Praxis muss also haushalten und überlegen, wer welchen Impfstoff bekommen soll.
"Unser Plan war es, Patienten über 60 Jahre mit Astrazeneca zu impfen und die Biontech-Dosen vorerkrankten Menschen ab 40 Jahre zu verabreichen, Herzpatienten oder Diabetikern zum Beispiel", erklärt er. Leider passte das einigen Patienten nicht. "Da kamen dann über 80-jährige, rüstige Patienten in die Praxis, die ja schon seit vier Monaten hätten geimpft werden können, und nun das Biontech haben wollten, das primär nur für die Jüngeren zugelassen ist", berichtet Dittrich. Zwar sei der Großteil seiner Patienten sehr verständnisvoll gewesen. Ein kleiner, harter Kern habe jedoch Ärger gemacht.
Regelmäßig sei es sogar zu Wutausbrüchen in der Praxis gekommen. "Die Patienten haben mit den Türen geknallt und die Arzthelferinnen beleidigt. Der Ton war sehr aggressiv und fordernd", so der Mediziner.
"Es wurde jeden Tag mehr. Ich wollte mir das nicht mehr gefallen lassen und insbesondere mein Team schützen", sagt er. "Es hat uns auch verletzt, wie mit uns umgegangen wurde, nachdem wir die bisherige Pandemie lang immer für unsere Patienten da waren."
Als Arzt habe er auch für das Wohl seiner vorerkrankten Patienten unter 60 Jahren zu sorgen: "Die sind es, die inzwischen vorrangig mit schweren Covid-19-Verläufen auf den Intensivstationen landen. Jeder weitere Tag ohne Impfschutz ist gefährlich für sie." Um die Pandemie auszubremsen, sind daher jetzt die Prioritätsgruppen 2 und 3 an der Reihe. Diese Menschen weitere Wochen unnötig warten zu lassen, sei als Forderung unsozial, findet er: "Wir müssen den Jüngeren eine Chance geben."
Das Statement zu schreiben habe ihm nach all den Streitereien gut getan und vielen Patienten zum ersten Mal klar gemacht, dass es sich bei der Wahl des Vakzins auch um einen Akt der Solidarität handle, solange die Impfstoffmenge noch begrenzt sei, so Dittrich: "Die Gesellschaft hat anderthalb Jahre auf vieles verzichtet, um die Älteren nicht zu gefährden. Nun ist es an der Zeit, dass auch die Älteren zum Wohle der anderen mitmachen."
Zahlreiche Patienten hätten sich nach seinen deutlichen Worten mit Gesten der Unterstützung an ihn gewandt und einige hätten sogar eingelenkt und sich nun doch mit Astrazeneca impfen lassen. "Viele haben nach einem langen Aufklärungsgespräch verstanden, dass der Impfstoff für sie sicher ist", so Dittrich. "Am Ende fällt diesen Menschen dann doch ein Stein vom Herzen, wenn sie geimpft sind – egal mit welchem Vakzin."