Barbara Breuer von der Berliner Stadtmission ist Pressesprecherin – eigentlich. Seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist sie regelmäßig am Hauptbahnhof in Berlin, um selber mit anzupacken und zu helfen. Denn hier treffen täglich Züge mit hunderten Ukrainern und Ukrainerinnen auf der Flucht ein, die Hilfe brauchen. Es ist die dritte Kriegswoche nach dem Angriff Russlands und viele Helfer sind erschöpft.
Während unseres Gesprächs am Freitagmittag hört man im Hintergrund eine rege Stimmen- und Geräuschkulisse. Man merkt: Hier ist einiges los. Breuer berichtet watson über die Situation vor Ort.
So unterschiedlich wie die Geflüchteten, die hier ankommen, sei auch ihr Zustand, berichtet die Angestellte der Berliner Stadtmission. "Die Kinder haben Spielzeug und können hier ein Stück zur Ruhe kommen, Bilder malen und erst mal vergessen, was sie die letzten Tage erlebt haben." An Hilfsmitteln habe man genug, es komme nur vereinzelt und punktuell zu Engpässen.
Trotzdem rät Breuer dringend davon ab, auf eigene Faust zum Hauptbahnhof zu kommen und Dinge zu spenden. "Ich sitze gerade hier und schaue auf zwei Frauen, die haben acht Taschen mit Rucksack und einem Koffer. Darüber liegen noch Decken und Plüschtiere. Also ich glaube, mehr können diese zwei auch nicht tragen." Geldspenden dagegen seien immer willkommen und am sinnvollsten, da die Organisationen am besten wüssten, wo das Geld sinnvoll eingesetzt werden könne.
Wichtiger als die Koffer vollzuladen sei es für die Geflüchteten sowieso, nach den Strapazen der vergangenen Tage erst einmal in Ruhe anzukommen und zu verschnaufen. Dann werde gemeinsam mit der Hilfsorganisation geschaut, was die Menschen wirklich benötigen. Vor allem seien das oft Antworten auf zahlreiche Fragen, berichtet Breuer im Gespräch mit watson.
Die Berliner Stadtmission hilft den Menschen nicht nur hier, sondern hat auch mit Hilfe des Berliner Senats ein eigenes Heim für Geflüchtete in Friedrichshain eingerichtet. Doch auch dort wird es langsam eng: "Wir haben eine Kapazität von 300. 350 sind da aktuell und dann noch 160 gehörlose Menschen in anderen Einrichtungen der Stadtmission." Denn auch Waisenheime würden evakuiert und Menschen mit Behinderung kämen nach Berlin.
Tatsächlich müssen die Hilfsorganisationen zunehmend auf die Unterkünfte in privaten Haushalten zurückgreifen, wie Breuer erzählt: "Wir sind jetzt langsam beim Status angekommen, wo es tatsächlich so ist, dass wir auch ab und zu auf die Hilfe von Privatpersonen angewiesen sind." Denn der Strom an Menschenmassen reißt nicht ab, täglich kommen Züge in Berlin an. "Vor drei Tagen habe ich das noch anders gesagt, aber es gab es auch schon Leute, die hier am Hauptbahnhof übernachten mussten, weil es nicht weiterging, weil es einen Stau gab."
Das sei ungünstig, teilweise aber bei dem starken Andrang einfach nicht vermeidbar. Doch Breuer ist zuversichtlich: "Das regelt sich hoffentlich in den nächsten Tagen, wenn auch andere deutsche Städte Menschen aufnehmen und Strukturen etabliert haben und dann in die Pflicht genommen werden können." Bis dahin muss der Platz reichen, der da ist.
Währenddessen scheint bei der Organisation der Aufnahme von Geflüchteten nicht alles so glatt zu laufen. Eine breite Debatte über mögliche Fehler der Bundesregierung und bürokratische Hürden bei der Unterbringung nimmt hierzulande Fahrt auf. Im Fokus steht dabei SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die anfangs der Meinung war, eine staatlich organisierte, reglementierte Verteilung der Ukraine-Flüchtlinge sei nicht notwendig. Inzwischen hat sie die Ansicht aber revidiert. Die Bundespolizei registrierte bisher in Deutschland 147.000 Kriegsflüchtlinge, Unterkünfte werden nun dringend gesucht.
Entgegen einiger Berichte, Geflüchtete aus anderen Ländern müssten nun ihre Zimmer für Ukrainer und Ukrainerinnen räumen, ist die Einrichtung der Berliner Stadtmission ein leerstehendes Gebäude. Es war eigentlich als Quarantänehotel für obdachlose Menschen geplant und wird wegen des hohen Bedarfs nun umfunktioniert.
Für Quarantänezwecke kann es aber auch genutzt werden: Die Geflüchteten aus der Ukraine müssen bei ihrer Ankunft erst einmal einen Corona-Test machen. Denn viele, die nach Deutschland kommen, sind noch nicht oder nicht ausreichend geimpft, die Impfquote mit 34,5 Prozent ist in der Ukraine sehr gering. Außerdem sind anscheinend viele Ukrainer und Ukrainerinnen mit nicht in der EU zugelassenen Impfstoffen wie Sputnik V oder Sinovac geimpft.
Die Virologin Dr. Sandra Ciesek sagt dazu gegenüber watson: "Wir müssen davon ausgehen, dass der Sputnik-V-Impfstoff weniger wirksam ist, als die in Deutschland hauptsächlich verwendeten mRNA Impfstoffe, es gibt allerdings nicht viele vergleichende Daten dazu."
Ciesek ist Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt sowie Professorin für Medizinische Virologie an der Goethe-Universität.
Doch die Virologin gibt Entwarnung: Die Flüchtenden würden das ohnehin sehr hohe Infektionsgeschehen nicht beeinflussen oder noch weiter anheizen.
Auch die hohen Tuberkulose-Zahlen in der Ukraine sieht sie nicht als Gefahr. So sei zur Übertragung der Tuberkulose-Bakterien ein viel engerer, längerer Kontakt notwendig als etwa bei Covid-19. "Die Gefährdung für die Bevölkerung bei einem kurzen Kontakt ist also gering", sagt die Virologin.
Auch die Sprecherin der Berliner Stadtmission, Barbara Breuer, kann bestätigen, dass Covid kein Problem bei der Unterbringung darstellt. Zusätzlich zu den Schnelltests bei der Ankunft werde auch in den Unterkünften regelmäßig getestet. "Natürlich gibt es immer wieder mal Fälle von Menschen, die sich anstecken und die Corona haben. Aber wir haben jetzt keinen Ausbruch." Da die Menschen familienweise in den Zimmern untergebracht seien, könnten sie bei einem Corona-Fall auch zügig in Quarantäne versetzt werden.
Trotz aller Schwierigkeiten können oder müssen diese Menschen aus der Ukraine nach vorne schauen. Viele reisen laut Breuer in andere Städte oder Länder weiter, zu Verwandten und Freunden. Andere wiederum hoffen, dass sie schnell wieder nach Hause können und "da ist Berlin vielleicht auch ein attraktiver Ort des Ankommens, weil es hier schon eine Community gibt und es nicht so weit weg ist, sodass man schnell wieder zurück kann", berichtet Breuer watson.
Vor allem die Studierenden würden hoffen, bald wieder zurück in die Ukraine zu können, um ihre Studien fortzusetzen. "Die Menschen wollen einfach auch wissen wie es weitergeht.", sagt Barbara Breuer.