An einem Abend im Spätsommer treffe ich David. Ich weiß praktisch nichts über ihn, außer, dass er einen Hang zu poetischen Whatsapp-Nachrichten und einen leichten Welthass hat – beides ist mir prinzipiell sympathisch. Vor einem Buchladen warte ich auf ihn und male mir unser Blind-Date aus.
Als er ankommt, nur wenige Minuten zu spät, erkenne ich ihn kaum: Er sieht älter aus als auf seinen Fotos, verbrauchter – irgendwie ungesund. Attraktiv finde ich ihn nicht. Nett unterhalten kann man sich ja trotzdem, denke ich, und wir ziehen los. David hat mir ein Bier mitgebracht. Ich mag Bier eigentlich gar nicht so gern, nehme aber dankend an. Wir setzen uns auf eine Wiese und David fängt begeistert an, von einer Studie zu erzählen, die besagt, 80 Prozent der Soldaten würden im Ernstfall danebenschießen.
Ich bin mir nicht sicher, ob mir der Smalltalk so gefällt, bin aber interessiert. "Warst du auch beim Militär?", frage ich David. Ja, er habe nach der Schule seinen Wehrdienst absolviert und war ganz begeistert. Ganz nachvollziehen kann ich das nicht, deswegen frage ich, was ihm so gefallen hat: das Ordnungssystem vielleicht? David wirkt beleidigt: "Beim Bund denken alle nur an Zucht und Ordnung, dabei ist da so viel mehr!"
Er fängt an, mit nahezu jugendlich anmutendem Eifer die tagelangen Übungen zu schildern, beschreibt, wie er sich mit schwerem Rucksack durch den Schlamm kämpfte, mit dem ganzen Schmodder im Schlafsack schlief, drei Tage lang die Unterhose nicht wechselte. Eine einmalige Erfahrung. Ich denke: Guter Mann, denke ich mir, manches davon erlebt man auf Festivals auch. Ich will aber seinen Moment nicht zerstören und sage deswegen nur: "Mh-hm."
Er seufzt. "Früher war das zumindest so. Wie das heute ist, mit den Freiwilligen, keine Ahnung. Und auch mit den ganzen Frauen, die jetzt da sind. Wenn die dann ihre Tage kriegen und so, keine Ahnung, wie die das machen." Ich schaue David fragend an. "Aber dann sind die auch selber Schuld, finde ich." Ich schaue David leicht entsetzt an. "Ist halt meine Meinung."
Peinliches Schweigen. Weil mir nichts Besseres einfällt, presse ich trocken heraus: "... und was machst du so?"
Nun stellt sich David quer und will mir seinen Beruf nicht verraten, erzählt stattdessen von seinem allgemeinen Daseinszweck, dem Sinn des Lebens und dass er auf so Fragen normalerweise mit einem lustigen Spruch antworte.
"Und der wäre?"
"Frauen von hinten knallen und Gedichte schreiben."
Ich schaue nicht mehr entsetzt. Ich lache nun hysterisch und halte mich an meinem Bier fest.
Anstatt von Gedichten oder geknallten Frauen erzählt David mir schließlich doch von seinem Job in der Kulturbranche – und regt sich (völlig ungefragt) darüber auf, dass ja immer nur Frauen gefördert würden. Das sei super ungerecht den Männern gegenüber, die ja auch tolle Kunst machen würden, die wären ja schon ganz frustriert. Joa, sage ich, bestimmt – das waren die Frauen in den vergangenen 2000 Jahren sicherlich auch.
Ich bin mittlerweile felsenfest davon überzeugt, dass David und ich heute nicht händchenhaltend der untergehenden Spätsommersonne entgegenlaufen werden. Jetzt geht es nur noch darum, schnellstmöglich den Ausstieg aus diesem Date zu finden, ähnlich wie aus einem fahrenden Wagen, der auf einen Abgrund zurast.
Ich trinke das eklige Bier noch schneller, während David mir erklärt, dass es nur zwei biologische Geschlechter gebe. Warum zur Hölle reitet er denn so auf diesen Gender-Themen rum, frage ich mich? Warum der Zickzack-Lauf durchs Tretminenfeld, wenn man genauso gut über seinen Büroalltag, das Wetter und Haustiere in der Kindheit faseln und dann wieder auseinandergehen könnte?
Nun werde ich wütend und sage: "Nein. Es gibt nicht nur zwei Geschlechter." David ist verwirrt: "Aber die Chromosomensätze..." – "Nein." – "Aber bei Wikipedia steht..." – "Einfach nein."
Ich erkläre ihm, dass es mehr Chromosomensätze als XX und XY gibt, zum Beispiel XYY. Dass es Menschen gibt, die genetisch männlich sind, aber als Frauen gesehen werden und andersherum. Dass es Menschen gibt mit mehreren biologischen Geschlechtern. "Aber dann sind die ja gar nichts von beidem?", fragt David entsetzt. Ich sage, trotzig: "Eben."
David fragt, ob ich vielleicht Bio-LK hatte – so viel traut er mir immerhin zu. Ich winke ab. Ich habe keine Lust, weiter über Gender-Kram, Kulturförderung und vollgeblutete Höschen beim Bund zu reden. Ich sage, dass ich müde bin und heim will. Immerhin ist es schon nach 20 Uhr, viel zu spät für mich.
David versteht den Wink und wir laufen los. Vor meiner Haustür verabschieden wir uns. "Es war schön, dich kennenzulernen", sagt David zum Abschied. Ich sage höflich: "Gleichfalls", und denke, na ja.
Allein in meiner Wohnung überlege ich nun, ob ich Welthass immer noch sympathisch finde. Oder ob ich in mein Online-Dating-Profil reinschreiben sollte, dass ich ein Mindestmaß von Wohlwollen und Interesse gegenüber Frauen allgemein voraussetze. Single sein zeigt einem immer wieder, wie viel man eigentlich nicht als selbstverständlich voraussetzen kann, bisschen schade eigentlich.