Die Nachrichten werden seit Beginn des Ukraine-Krieges am 24. Februar dominiert von schrecklichen Bildern und Videos aus einem Krieg, der mitten im Herzen von Europa geführt wird. Die Bilder, die selbst uns Erwachsene schockieren, verunsichern auch Kinder, die diese noch viel weniger einsortieren können. Was bedeutet dieser Krieg für mein Zuhause? Warum schaden Menschen überhaupt einander? Um all diese Informationen zu verarbeiten, sind Gesprächsangebote nicht nur durch die eigenen Eltern wichtig, sondern auch durch die Lehrkräfte in den Schulen.
Laut einer aktuellen Umfrage von Brockhaus und news4teachers fühlen sich jedoch 55 Prozent von 5.894 befragten Lehrkräften unsicher oder überfordert mit der Situation und wünschen sich mehr Hilfestellung. Vor allem Lehrkräfte an den Grundschulen fühlen sich unsicher, mit jüngeren Schülerinnen und Schülern über den Ukraine-Krieg zu sprechen (66,4 Prozent). An den weiterführenden Schulen sind es dagegen 49,6 Prozent.
Um Lehrkräften mehr Sicherheit zu geben, hat Brockhaus eine Übersicht mit Hintergrundinformationen zum Ukraine Krieg und relevanten Begriffen übersichtlich zusammengefasst. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung bietet eine Reihe Zeichentrickfilme zur Flüchtlingsthematik an und über die Website HanisauLand wird große Politik kindgerecht erklärt.
Doch bei aller Aufklärung bleibt auch bei Kindern oft ein Gefühl der Hilflosigkeit zurück. Man würde gerne etwas machen, aber was? Der Krieg ist häufiger Thema auf dem Schulhof, als die Erwachsenen denken, weiß auch Grundschullehrerin Anne Krichler. Bei watson berichtet die 37-Jährige aus Brandenburg, was die Kinder momentan besonders umtreibt und wie ihre Schüler ein Mittel fanden, ihren Ängsten etwas entgegenzusetzen.
Ich unterrichte Gesellschaftswissenschaften in der fünften und sechsten Klasse und schon am Tag nachdem der Krieg ausgebrochen war, kamen die Kinder ganz aufgeregt in die Schule und fragten mich, ob wir darüber sprechen könnten. Ob es jetzt zu einem dritten Weltkrieg komme? Ich habe gemerkt, wie unsicher sie waren und dass sie Angst hatten. Selbst auf dem Pausenhof sah man die Kinder beisammen stehen und sich über den Krieg unterhalten. Natürlich auch mit viel Unwissenheit dabei. Deshalb haben wir uns dem angenommen und gesagt: Wenn die Kinder darüber reden möchten, dann lassen wir sie jetzt erst einmal erzählen.
Die Kinder hatten wirklich große Angst vor einem Krieg. Ich hätte gar nicht meinen normalen Unterricht machen können, weil ihnen das an diesem Tag so auf der Seele brannte. Es musste also allein schon deshalb darüber gesprochen werden, damit Platz war, auch über andere Unterrichtsthemen zu sprechen.
Es ist ganz wichtig, dass die Kinder erst einmal ihre Sorgen, ihre Fragen und ihre Vermutungen loswerden können, damit wir auch wissen, was in den Köpfen gerade los ist. So konnten wir manches klären. Es ging los mit Basiswissen: Wo liegt überhaupt Russland und wo liegt die Ukraine? Was ist die Nato? Wir möchten als Lehrer keine Meinungen verbreiten und sind daher mit der Bewertung der Lage sehr vorsichtig. Definitiv Falsches wird zwar aufgeklärt, aber ansonsten möchte ich, dass alle Kinder frei sagen können, was sie selbst darüber denken.
Was und woher die Kinder ihre Informationen beziehen, hängt stark vom Alter ab. Die fünften und sechsten Klassen sahen die Bilder in den Nachrichten, aber sie haben auch alle Handys und sind dort in sozialen Medien unterwegs, insofern kann man die News gar nicht vor ihnen zurückhalten – auch wenn einige Eltern sich das vielleicht wünschen würden. Die jüngeren Schüler schnappen dann wiederum auf dem Schulhof Gesprächsfetzen von Älteren auf, was viele sehr verunsichert hat, weil da auch abenteuerliches Halbwissen am Ende herauskam. Das muss man dann unbedingt aufklären.
In all diesen Gesprächen wurde deutlich, dass die Kinder ein Mitteilungsbedürfnis haben und auch einen klaren Wunsch, dass sich auf einen Nenner herunterbrechen lässt: Sie wollen einfach nur Frieden. Ich hatte ich die Kinder gefragt: Was würdet ihr denn Herrn Putin gern sagen, wenn ihr die Möglichkeit hättet? Und da kam als Antwort ganz klar: Wir wollen Frieden. Und ich habe gesagt, na gut, dann machen wir jetzt genau das. Jeder kann eine Postkarte schreiben, mit einem Peace-Zeichen oder einer Friedenstaube drauf, die schicken wir dem Kreml.
Und da haben die Kinder gejubelt, es gab sehr positive Rückmeldungen von der dritten Klasse bis zur sechsten Klasse hoch – wirklich alle waren dabei. Selbst Kinder, die sonst Sachen eher nicht so gründlich machen, haben sich wahnsinnig viel Mühe gegeben, damit ihre Postkarte besonders schön wird. Es war so klar erkennbar, wie groß und wichtig es ihnen war, sich mitzuteilen. Sie wollten, dass ihre Postkarte vielleicht irgendwo, irgendetwas bewirkt.
Insgesamt etwa 300 Postkarten haben die Schüler geschrieben und in Etappen gemeinsam in den Briefkasten geschmissen. Die Frankierung haben zuerst wir Lehrer bezahlt und wurden dann von einem Jugendverein finanziell unterstützt.
Natürlich ist mir und auch den Kindern klar, dass Herr Putin die Karten am Ende nicht auf seinem Schreibtisch liegen haben wird, auch wenn wir tatsächlich als Adresse die offizielle Anschrift des Kremls angegeben haben. Aber es reicht uns zu wissen, dass diese Karten ja irgendwo in Russland eingehen werden, irgendjemand wird sie in der Hand haben, sie sehen, selbst wenn er sie bloß aussortiert. Und wenn es nur ein Postbote ist, der diese – eindeutig von Kindern gemalt und geschriebenen – Friedensbotschaften mit sich trägt.
Die Schüler sind auch darüber hinaus sehr motiviert, weiter zu helfen. Wir haben zum Beispiel viel über das Thema Flüchtlinge gesprochen. Die Kinder haben ja bereits Erfahrungen mit Flüchtlingskindern aus Syrien und sind da sehr offen, zudem haben wir natürlich auch darüber gesprochen, was ihre eigenen Eltern wohl machen würden, wenn sie in der Ukraine wären und die meisten Kinder sagten ganz klar: Uns in Sicherheit bringen und fliehen. Insofern ist das alles für die Schüler sehr nachvollziehbar und sie möchten ukrainischen Kindern einen guten Start ermöglichen, sofern sie in den nächsten Monaten an unsere Schule kämen.
Ich verstehe, wenn Kollegen sagen, dass sie überfordert sind damit, den Ukraine-Krieg – besonders sehr jungen Schülern – zu erklären. Nicht nur für die Kinder, auch für die Lehrer, die ja ebenfalls noch keinen Krieg direkt miterlebt haben, ist die Vorstellung unbegreiflich. Und ich finde, es ist ganz wichtig, auch ehrlich ab und an zu sagen: Ich weiß es nicht. Konkrete Fragen lassen sich leicht beantworten. Welche Wirkung haben Bomben? Das lässt sich anhand von zerstörten Häusern in Syrien bildlich erklären. Aber: Wie geht es jetzt mit Russland weiter? Und die meist gestellte Frage: Entwickelt sich das zum dritten Weltkrieg? Das kann ich den Kindern natürlich genauso wenig beantworten, wie alle anderen.
Die größte Herausforderung ist es momentan, ehrlich zu sein und dennoch keine Ängste zu verbreiten. Alle Schrecken des Krieges darzustellen wäre zu viel und das ist auch unnötig. Ich sage den Kindern ganz klar: Es ist unwahrscheinlich, dass der Krieg zu uns kommt und die Weltgemeinschaft arbeitet momentan mit aller Kraft daran, das zu verhindern. Du musst keine Angst haben.
Wir können uns allerdings vornehmen, im Privaten Frieden vorzuleben und freundschaftlich miteinander umzugehen. Ich habe den Schüler auch schon gesagt: Überlegt euch mal, ob ihr wirklich weiter Spiele auf dem Pausenhof spielen wollt, bei denen ihr aufeinander schießt. Was ahmt ihr da eigentlich nach? Das wohl einzige Thema, bei dem sich die Schüler auch in Debatten im Klassenzimmer uneins sind, ist dass etwa die Hälfte sagt, man müsse sein Land verteidigen, wenn Krieg ausbräche. Die andere Hälfte wünscht sich Frieden und würde dafür auch Flucht oder größere Einschränkungen in Kauf nehmen.
Bei uns gibt es auch einige Schüler mit russischem Migrationshintergrund, aber zu Konflikten kommt es nicht. Die Kinder sagen klar: Der russische Präsident ist der Aggressor, es ist sein Krieg und niemanden, der aus Russland kommt, trifft irgendeine Schuld. Wie komplex Kriege für den einzelnen Betroffenen sind, diskutieren wir auch im Unterricht. Wir haben darüber gesprochen, dass letztlich auch jeder Soldat, der Sohn, Vater, Bruder oder Freund von jemanden ist. Dass die wenigsten Menschen freudig und mit Begeisterung in den Krieg ziehen, sondern dazu verpflichtet werden.
Die Eltern sind jedenfalls froh, dass wir das Thema in der Schule behandeln, besonders auf die Postkarten-Aktion folgte ein sehr positives Feedback. Die Kinder haben davon zuhause wohl begeistert erzählt. Sie sagten: Ich hatte endlich das Gefühl, etwas tun zu können. Darum ging es eben auch bei der Aktion. Den Kindern eine Möglichkeit zu geben, ihren Gefühlen der Hilflosigkeit etwas entgegenzustellen – nämlich die Hoffnung.
Protokoll: Julia Dombrowsky