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Flut-Katastrophe: Feuerwehrmann berichtet vor Ort von der Lage in Ahrweiler

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Treibgut steckt in einer zusammengebrochenen Brücke während im Vordergrund Schutt und ein Auto zu sehen sind.Bild: dpa / Philipp von Ditfurth
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"Haben so etwas wie dieses Hochwasser in der Form und Intensität noch nie erlebt": Feuerwehrmann berichtet von der Lage vor Ort im Katastrophengebiet Ahrweiler

17.07.2021, 11:4229.07.2021, 06:37
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Die Hochwasser-Katastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen forderte bereits über 100 Todesopfer und hunderte Verletzte. Das Ausmaß der Flutwellen ist noch nicht absehbar, denn noch immer stehen ganze Dörfer und Stadtteile unter Wasser. Viele Menschen haben nicht nur ihr Hab und Gut verloren, sondern auch ihre Angehörigen.

Watson hat mit Frank Hachemer, Präsident des Landesfeuerwehrverbands Rheinland-Pfalz gesprochen. Er war mit seiner Einheit der Feuerwehr Neuwied direkt im Katastrophengebiet in Ahrweiler, wo allein 90 Menschen starben, im Einsatz und schilderte die Lage vor Ort.

watson: Herr Hachemer, wie haben Sie die letzten Tage erlebt?

Frank Hachemer: Die Feuerwehrleute aus Ahrweiler, die selbst direkt dort im Einsatz waren, haben uns mitgeteilt, dass bei ihnen das Wort "unfassbar" zum geflügelten Wort geworden ist für die dortigen Zustände. Sie haben so etwas wie dieses Hochwasser in der Form und Intensität noch nie erlebt. Und das gilt auch für mich selbst, der jetzt als außenstehender Feuerwehrmann aus dem Kreis Neuwied da hingekommen ist. Ich habe mit 36 Jahren Feuerwehrerfahrung so etwas noch nie erlebt. Und das sagen auch ältere Kameraden, die schon deutlich länger aktiv sind.

Was waren die besonderen Herausforderungen?

Die große Masse an verschiedenen Anforderungen. Da muss man ganz schnell ganz große Prioritätensetzungen vornehmen. Wir haben als Erstes sofort unmittelbar bedrohte Menschen gerettet und das ist im Moment auch noch im Gange. Also es müssen zentral und bewusst systematisch die gesamten vom Hochwasser betroffenen Bereiche geprüft werden, ob noch irgendwo Menschen in einer Notlage sind und befreit werden müssen oder Hilfe brauchen.

"Ich habe mit 36 Jahren Feuerwehrerfahrung so etwas noch nie erlebt."

In welchem Zustand waren die Menschen vor Ort?

Ich selbst habe leider erleben müssen, dass auch viele Menschen unterwegs sind, denen es zunächst körperlich gut geht. Diese haben aber einen großen Teil oder ihre ganze Wohnung verloren und waren ohne Informationen, wie es jetzt weitergehen kann, unterwegs. Durch diese riesige Dimension der Katastrophe war es gar nicht möglich, alle Menschen gleichzeitig zu informieren, weil ja auch sämtliche Informationskanäle ausgefallen waren.

Gab es gar keine Möglichkeit, die Betroffenen zu kontaktieren?

Die Infrastruktur fällt ja auch auseinander in so einer Situation. Behörden zu kontaktieren setzt natürlich voraus, dass die Behörden sich selbst erst einmal einen Überblick verschaffen müssen, was genau alles anliegt. Die sind ja jetzt nach zwei Tagen noch nicht in der Lage, alles komplett erfassen zu können. Also ein Gesamtüberblick der Lage besteht noch lange nicht. Die Lage ist, wie in den Medien beschrieben, unübersichtlich. Es geistern verschiedene Zahlen von Opfern und anderem mehr herum. Dass es da noch keine detaillierten Informationen geben kann, wird uns auch noch eine Weile begleiten.

Wann ging der Einsatz los?

Das besonders Erschreckende ist, dass auch frühzeitig Hilfe aus Ahrweiler angefordert worden ist. Es gibt Kreisbereitschaften in Rheinland-Pfalz: Aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz sind sofort vier Züge aus Feuerwehreinheiten zusammengestellt worden, die schon am frühen Mittwochabend dorthin gefahren sind. Das heißt, da waren die heftigen Regenfälle schon im Gange oder lagen auch größtenteils schon hinter den Betroffenen. Und die sind reingefahren, ich war mit dabei und habe sie begleitet.

Wie lief der Einsatz?

Es wurde schon mit Erste-Hilfe-Maßnahmen begonnen und mitten dabei, in der fortgeschrittenen Nacht, kam dann die Flutwelle in Ahrweiler an. Die Flutwelle kam in dieser Intensität und unglaublichen Geschwindigkeit. Die Menschen waren teilweise schon ins Bett gegangen nach dem Motto: 'Prima, der Regen hat jetzt aufgehört und das Hochwasser ist ja auch nicht hoch, das kriegen wir hin'. Sie haben Sandsäcke in die Kellerfenster gestellt und haben sich schon darauf eingerichtet, dass da etwas kommt. Aber dass dann so etwas kommt, wo Erdgeschosswohnungen teilweise bis unter die Decke mit Wasser volllaufen, das hat keiner vorhersehen können – vor allem nicht in dieser Form und Geschwindigkeit.

"Es wurde schon mit Erste-Hilfe-Maßnahmen begonnen und mitten dabei, in der fortgeschrittenen Nacht, kam dann die Flutwelle in Ahrweiler an."

Gab es einen Fall, an den Sie sich besonders erinnern?

Ich hab mit einer Mutter gesprochen, die auf Anraten ihrer Nachbarn noch schnell ihr Auto in Sicherheit bringen wollte und das in den Weinbergen geparkt hatte. Und anschließend kam sie nicht mehr zurück in die Wohnung zu ihrem Kind. Ihr Kind war dann alleine in der Wohnung. Das waren schon extreme Szenen. Hier gab es Gott sei Dank einen glücklichen Ausgang, weil es ein erstes Obergeschoss gab, in das das Kind sich flüchten konnte. Aber es gibt ja auch Fälle, wo das leider nicht so gut ausgegangen ist.

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Ein vom Hochwasser angeschwemmtes Auto lehnt an einem Baum während im Hintergrund der Fluss Ahr zu sehen ist.Bild: dpa / Philipp von Ditfurth

Wie gefährlich war der Einsatz für die Feuerwehrleute?

Ich habe selbst eine Einheit begleitet, die in der Innenstadt von Ahrweiler von den Wassermassen eingeschlossen worden ist. Wir standen dann selber auf einer Art Insel. Wir waren zu einem Einsatz gerufen worden und wurden von den Wassermassen im vorderen Teil aufgehalten, konnten also nicht weiter. Wir haben einigen Leuten vor Ort geholfen, so weit wir das konnten. Das war sehr frustrierend, weil man nicht richtig helfen konnte, weil da gerade die Flutwelle kam. Denn wenn sie da tätig werden wollen, werden sie auch noch von den Fluten weggerissen. Da kann ich niemanden reinschicken.

Wie ging es weiter?

Verzweifelte Anwohner haben sich an uns gewandt, weil der Notruf zusammengebrochen war, mit der Bitte, irgendwie Hilfe zu leisten oder zu holen. Als wir dann umkehren wollten, merkten wir, dass wir eingeschlossen waren, weil von hinten auch das Wasser gekommen war. Es dauerte eine Weile, bis der Wasserstand so gesunken war, dass man mit dem Fahrzeug durchfahren konnte. So konnten die Feuerwehrleute sich gerade noch retten. Unter Umständen hätte das sonst noch mehr Opfer unter den Hilfskräften gegeben.

"Wir haben gerade im Prinzip miterlebt, wie andere Menschen ihr Leben dadurch verloren haben."

Wie belastend waren die Erlebnisse für Sie?

Das Belastendste war, als die Menschen zu uns kamen und uns quasi an der Jacke gerüttelt haben mit der verzweifelten Bitte, zu helfen. Wir konnten da leider in dem Moment nichts machen, nicht mal weitere Hilfe ordern. Da haben sich teilweise erschütternde Szenen abgespielt und da reden wir noch nicht davon, dass wir Todesopfer gefunden haben. Wir haben gerade im Prinzip miterlebt, wie andere Menschen ihr Leben dadurch verloren haben. Das war nicht ohne.

Kaum vorstellbar.

Ich hätte mir das vorher auch nie vorstellen können. Wenn Sie da reinfahren, das ist ein Katastrophengebiet. Das ist wie in schlimmen Apokalypse-Filmen. Sie finden auf den Zufahrtsstraßen Autowracks, die überall quer herumliegen, von denen man hofft, dass es alle rausgeschafft haben. Aber das wird man im Detail erst später prüfen können. Das ist schon gespenstisch.

Haben Sie so etwas schon mal erlebt?

In dieser Dimension nicht. Wenn Sie mehrere Jahre Feuerwehrdienst leisten, dann haben sie leider auch schon Todesopfer erleben müssen und andere Dinge mehr. Das waren wenn dann kleinere Gruppen oder Einzelpersonen. Aber wenn Sie dann so eine Nachricht erhalten und dabei stehen, ist das schon besonders belastend, muss ich sagen. Das lässt einen nicht kalt.

"Wenn Sie da reinfahren, das ist ein Katastrophengebiet. Das ist wie in schlimmen Apokalypse-Filmen."

Wie geht es jetzt weiter?

Wir hoffen, dass keine Starkregenereignisse mehr kommen. Jetzt geht die große Sichtung los, da leisten die Hilfskräfte auch Übermenschliches, sie krabbeln über Trümmer, sie müssen mit Menschen sprechen, die, teilweise völlig desorientiert, nach Hilfe suchen. Das sind alles sehr belastende Dinge und da wird sehr tolle Arbeit geleistet von den Helfern und Helferinnen aller Blaulichtorganisationen. Diese Sichtung kann noch schlimme Erkenntnisse bringen.

Was denken Sie, wie schlimm diese Erkenntnisse sein werden?

Wir hören leider, dass aktuell die Zahl der Todesopfer immer weiter ansteigt. Das liegt daran, dass viele Bereiche noch gar nicht erreicht werden konnten. Der Innenminister von Rheinland-Pfalz hat auch darüber gesprochen, dass teilweise beim Auspumpen von Kellern Todesopfer gefunden werden, die einfach da unten nicht mehr rausgekommen sind. Wir haben Tiefgaragen, in denen Leute waren, die ihre Autos rausfahren wollten. Die sind von dieser immens schnell ansteigenden Flutwelle da drin überrascht worden. Leider haben wir auch da Todesopfer zu beklagen.

Gäbe es denn irgendetwas, was man in Zukunft machen könnte, um solche Katastrophen zu verhindern?

Ich glaube, es hat teilweise viel mit Bewusstsein zu tun. Die Leute sind natürlich als Flussanrainer auch von kleineren Flüssen wie der Ahr, die ja nicht so hochwassergefährdet ist wie der Rhein, vorbereitet. Die räumen ihre Keller aus und wissen genau, jetzt kommt dann so und so hoch das Wasser. Das Problem ist, dass man damit rechnen muss, dass es auch schlimmer kommen kann. Damit sollte man rechnen und sich nicht in Sicherheit wiegen, sondern vorsichtig sein. Zum Beispiel sollte man seine Schlafräume möglichst nicht ins Erdgeschoss oder Souterrain legen, sondern in die oberen Stockwerke. Vor allem in der Nähe eines größeren Gewässers.

Auch, wenn diesmal sogar die Orte an kleineren Gewässern betroffen sind...

Ja, hier hat es halt Bereiche erwischt, die normalerweise von Hochwasser gar nicht betroffen sind. Auch in weiterer Fluss- oder Gewässernähe kann das neuerdings passieren. Ähnliche Vorkommnisse gab es vor 100 Jahren im Tal der Wied, gar nicht weit weg von Ahrweiler. Da gab es eine ähnliche Flut, bei der es zwei Todesopfer unter den Feuerwehrleuten gegeben hat. Aber da war das Tal nicht so dicht besiedelt wie heute. Aber wir können ja deswegen keine Häuser abreißen.

Was kann man sonst noch konkret tun?

Polterräume schaffen, in die das Hochwasser auslaufen kann. Also angelegte Trockenflächen, in die man das Wasser bei großen Wassermengen leiten kann. Dort kann es sich dann ausbreiten und man verringert die Intensität des Hochwassers weiter stromabwärts und es werden nicht so schnell so hohe Wasserstände erreicht. So versucht man das abzufangen. Aber bei einem Blitzereignis, so wie wir das hier erlebt haben, da kann man ja selbst mit solchen Flächen nicht viel ausrichten.

"So ein Hochwasser ist nicht unmöglich, das kann überall passieren."

Und was noch?

Man versucht, Uferbereiche heute auch nicht mehr so stark zu bebauen, das gilt aber meist nur für Überflutungszonen in der Nähe von großen Flüssen. Bei kleineren Gewässern hatte man das offensichtlich nicht so stark im Fokus gehabt. Ich denke, eine wichtige Erkenntnis aus dieser Katastrophe wird sein, dass man auch bei kleineren Gewässern überlegt, ob man das so lassen kann wie es ist. Also ob man beispielsweise nicht auch bei gemauerten oder betonierten Uferböschungen oder eingefassten Gewässern eine Renaturierung vornimmt, sodass insgesamt so hohe Flutwellen stärker aufgefangen werden können. Aber da sind die Experten gefragt.

Und dürfen Sie jetzt endlich auch mal etwas schlafen?

Für uns aus der Einheit Neuwied geht es morgen Früh um fünf wieder los. Unsere Stadt ist 50 Kilometer von Ahrweiler entfernt und liegt auch am Rhein, da wird auch das Hochwasser rankommen. Aber diese Stadt hat einen Hochwasserschutzdeich und wenn man da die Tore schließt, was dort gestern Morgen getan wurde, dann ist die Gefahr an der Stelle nicht so hoch. Aber die Gefahr, dass durch Sturzregen von außen Wasser in die Stadtteile kommt, ist nicht von der Hand zu weisen. So ein Hochwasser ist nicht unmöglich, das kann überall passieren. Wenn man so eine Wetterlage hat und dazu ein engeres Flusstal – das gibt es ja woanders auch – muss man an die Leute appellieren, dass sie vorsichtig sind bei solchen Starkregenereignissen und auch Vorsorge treffen.

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