Seit dem ersten Februar müssen die Menschen in Dänemark im öffentlichen Leben keinen Mund-Nasen-Schutz mehr tragen. Auch Nachweise über Impfung, Genesung und negative Testnachweise werden nicht mehr abgefragt – und noch weitere Corona-Regeln sind aufgehoben.
Große Veranstaltungen können wieder ohne Einschränkungen stattfinden, ebenso Besuche von Restaurants oder die Teilnahme am Nachtleben. Und das, obwohl sich die Infektionszahlen auf einem für Dänemark weiterhin sehr hohen Niveau befinden – am Tag nach der Öffnungsankündigung am 26. Januar 2022 lagen diese sogar auf einem neuen Rekordniveau von über 51.000.
Die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen begründete den Schritt, Covid-19 trotz weiterhin hoher Infektionszahlen nicht mehr als "gesellschaftskritische Krankheit" einzustufen, mit einer hohen Impfquote – inzwischen sind über 60 Prozent der Dänen geboostert – und überwiegend milden Verläufen der Omikron-Variante. Die Corona-Zahlen bestätigen, zumindest für den Moment, die Entscheidung: Derzeit ist die Tendenz der Neuinfektionen in Dänemark rückläufig.
Ein Szenario, von dem wir in Deutschland derzeit nur träumen – oder uns fürchten können. Trotz auch hier bereits laut werdender Öffnungsforderungen wie beispielsweise von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder – der von Team "Vorsicht" nun zu Team "Hoffnung mit Augenmaß" gewechselt ist und für den nächsten Corona-Gipfel Planungen "für die Zeit nach der Omikron-Welle" anmahnt: In den sozialen Medien wird der dänische Freedom Day hierzulande eher argwöhnisch beäugt.
Auch der Virologe Christian Drosten warnt in seinem NDR-Podcast "Coronavirus-Update" derzeit vor vorschnellen Öffnungen und begründet dies mit der immer noch bestehenden Impflücke in Deutschland.
Aller Vorbehalte zum Trotz, verlockend ist die Vorstellung einer neugewonnenen Normalität ja schon. Die 23-jährige Jana Forstreuter macht gerade mit ihrer Familie in Dänemark Urlaub und hat watson ihre Eindrücke der ersten beiden Tage der neuen Freiheit geschildert.
"Gemeinsam mit meiner Familie war ich heute in einem Restaurant. Tatsächlich war es sehr seltsam, nun alle ohne Maske zu sehen. Nach so langer Zeit war ich daran gewöhnt und es fühlte sich beinah falsch an, die Maske nicht aufzusetzen" sagt Jana über ihren ersten Abend ohne Beschränkungen. "Andererseits war es schön, mal mit dem Menschen, der kellnert, zu reden und dabei auch das Gesicht komplett zu sehen! Das fühlte sich sehr schön normal an!"
Die Dänen genießen offenbar ihre "Maskenfreiheit". Jana gegenüber watson: "Ich hatte schon das Gefühl, dass die Stimmung im Vergleich zu den vorherigen Tagen sehr ausgelassen war, zumal wir ohne die Masken auch viel besser die Mimik der Leute wahrnehmen konnten – lachende Gesichter sieht man mit den Masken auf die Entfernung eher schlecht."
Dass es keine Vorbehalte gibt, trotz der auch in Dänemark immer noch andauernden Omikron-Welle, von heute auf morgen die Masken fallen zu lassen, ist hierzulande derzeit kaum vorstellbar. Tragen also wirklich alle Dänen keine Masken mehr, oder gibt es noch Menschen, die aus Vorsicht freiwillig weiterhin Masken tragen? Jana betont: "Diejenigen, die ich heute gesehen habe, trugen alle keine Masken mehr. Allerdings haben wir dennoch gegenseitig sehr viel Abstand gehalten, vermutlich aus Gewohnheit und möglicherweise auch aus Vorsicht." Ganz so schnell sind also auch die Dänen wohl noch nicht in ihrer neuen Normalität angekommen.
Bodo Neumann-Nee ist Ortsvorsitzender des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW), der Partei der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein, in der Grenzgemeinde Harrislee. Er sagt gegenüber watson: "Auf deutscher Seite herrschen gemischte Gefühle über die Wiedereröffnung Dänemarks. Hier in unmittelbarer Nachbarschaft zu Dänemark, unter anderem in den Gemeinden Harrislee und Handewitt, ist die Stimmung in Bezug darauf, dass Dänemark die Corona-Maßnahmen aufgehoben hat, gut durchwachsen. Manche nennen es eine schlechte Idee, andere halten es für sinnvoll."
Einige Menschen in der Region befürchteten, dass durch die derzeit noch hohen Inzidenzen in Dänemark, gepaart mit dem nun wieder anlaufenden verstärkten Grenzverkehr im Alltag, eine Durchseuchung angekurbelt würde.
Diese kritische Gruppe hätte es, so Neumann-Nee, gerne gesehen, wenn Dänemark noch einen Monat länger an den Restriktionen festgehalten hätte. "Dänemark hätte mit den bisherigen Restriktionen fortfahren sollen, weil die Infektionsraten sowohl in Dänemark als auch in Deutschland noch zu hoch sind. Nicht zuletzt auch zum Schutz der Kinder." Doch sagt der Lokalpolitiker auch: "Letztendlich ist es eine souveräne Entscheidung des dänischen Staates. Dänen, die hier in Deutschland ihrer Arbeit nachgehen, halten sich ja generell auch an die Regularien in Bezug auf Geimpft sein, das Tragen einer Maske und des Abstandhaltens und so weiter."
Andere wiederum fänden es gut, dass Dänemark die Restriktionen nun fallen gelassen hat. Es scheine für sie nicht mehr so sinnvoll und übertrieben zu sein, wie die Restriktionen auf deutscher Seite gehandhabt werden. Das Dilemma der Grenzland-Bewohner, deren Alltag und in diesem Fall, "gesundheitlich-psychologisches Wohlbefinden" durch Maßnahmen und Regeln zweier Nationen bestimmt wird, hat der Chefredakteur der Regionalzeitung "Der Nordschleswiger" Gwyn Nissen mit dem Titel "German Angst gegen dänische Unbekümmertheit" beschrieben: "Was für die einen die lang ersehnte neu gewonnene Freiheit ist, ist für andere wiederum, die sich mit Maske und am Computer zu Hause sicherer fühlen, beängstigend." Nissen sagt aber auch, es bestehe schließlich kein Maskenverbot, und man müsse sich auch nicht gleich mit tausend Menschen ins nächste Rockkonzert stürzen.
Und wie ist die Stimmung auf dänischer Seite? Dazu meint Bodo Neumann-Nee: "Die Mehrheit der Menschen in Dänemark freut sich uneingeschränkt über den Wegfall der Masken. Es war gerade für die jüngeren bis mittleren Jahrgänge in den vergangenen Wochen nicht mehr nachvollziehbar, dass die Restriktionen weiterhin aufrechterhalten wurden. Durch die hohe Impfquote von über 80 Prozent schon vor dem Jahreswechsel sank auch in der Bevölkerung das Verständnis und die Akzeptanz für die Restriktionen." Dazu käme, dass die aktuelle Omikron-Variante in den vergangenen Wochen lediglich geringfügige Krankheitssymptome bei denjenigen zeigte, die sich bis dahin infiziert hatten. Doch trotz aller Zuversicht und Freude über die wiedergewonnene Normalität: Auch die Dänen rechnen damit, wie Gwyn Nissen, Chefredakteur des Nordschleswiger, im Interview mit dem NDR sagte, dass es in den kommenden Wochen noch Rückschläge und vielleicht auch, bei entsprechender Entwicklung, eine Rückkehr zu manchen Maßnahmen geben könne.
(mit Material von afp)