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Sexistische Scheiße

Femizid und Gewalt an Frauen: In der Rechtsprechung gibt es ein großes Problem

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Er war mal ein Star, doch jetzt sorgt ein bekannter Youtuber für einen Misogynie-Skandal.Bild: ai / chatgpt
Sexistische Scheiße

Der Skandal um Youtuber Mois zeigt: Wir sind weit entfernt von Gleichberechtigung

05.08.2024, 08:05
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Triggerwarnung: In diesem Text geht es um Gewalt gegen Frauen.

"Ich habe sie geschlagen und bei Gott, ich bin froh, dass ich sie nicht getötet habe", sagt der Youtuber Mois in einem Interview. Und richtet sich direkt an seine Ex-Frau: "Sei froh, dass du nicht tot bist!"

Mois hat diese Aussage im Gespräch mit dem Influencer Malice getätigt, öffentlich, ganz ohne Scham.

Dieses Zitat ist Teil des vielleicht größten Skandals zum Thema Misogynie, den es bei einem Influencer je gegeben hat. Eine junge Frau, Anys, wird beleidigt, misshandelt, bedroht. Alle kriegen es mit. Aber viel zu lange greift niemand ein. Wie kann das sein?

Youtuber Mois: harter Absturz des Influencers

Es geht um Mois, bürgerlich Zelemkhan Arsanov, der 2017 seinen ersten Youtube-Kanal "Mois" startet. Er spricht über Deutschrap, arbeitet zusammen mit den Musikern Kollegah und Farid Bang. Und es läuft gut: In nur wenigen Monaten hat er eine Million Follower:innen auf Youtube (später fast 2 Millionen). Mois eröffnet weitere Kanäle. Auf Instagram und Tiktok folgen ihm jeweils über eine Million Personen.

Über "Sexistische Scheiße"
Ronja Brier schreibt in dieser Kolumne über Alltags-Sexismus, den wir alle kennen, selbst erfahren oder in der Öffentlichkeit wahrnehmen. Der trotzdem oft genug kleingeredet wird oder über den hinweggesehen wird. Unsere stellvertretende Chefredakteurin hat genug davon! In ihren Texten will sie informieren, widersprechen oder sich einfach mal über sexistische Scheiße auslassen.

Dass es hinter seinem Erfolg vieles gibt, was schiefläuft, hat lange niemand geahnt: Mois hat Ärger mit den Behörden. Er lebt mittlerweile offenbar ohne gültige Papiere in Deutschland (mit 15 flüchtete er mit seinen Eltern aus Tschetschenien). Er taucht immer wieder ab, taucht mit wirren Videos wieder auf. Dazu kommt: Er soll mehrere Geschäftspartner:innen betrogen haben. Viele ehemalige Wegbegleiter:innen wenden sich ab von ihm. Schließlich bricht ihm ein Spendenskandal das Genick. 100.000 Euro hat er für die Opfer des Erdbebens von 2023 in der Türkei gesammelt – und Vorwürfen zufolge Teile davon selbst eingesteckt.

Hier könnte die Geschichte zu Ende sein. Doch jetzt kommt erst der zweite, wirklich erschütternde Teil.

Auf einmal steht die Ex-Frau von Mois im Mittelpunkt

Denn dann geht es um seine damalige Ehefrau Anys: Es geht um Untreue und den Vorwurf, sie habe ihn mit dem Rapper Sun Diego betrogen. Sie streitet die Vorwürfe ab. Doch das ändert nichts: Mois und seine Fans bleiben bei den Anschuldigungen. Dass Sun Diego Jude ist, sorgt zusätzlich für antisemitische Entgleisungen. Auch das passiert völlig unverdeckt und ohne dass es für echte Empörung sorgt.

Anys wird beleidigt. Sie wird beschimpft. Sie wird bedroht. Im Juli 2024 reagiert sie. Sie veröffentlicht auf ihrem Instagram-Account insgesamt zehn Videos, in denen sie ihre Sicht der Dinge beschreibt.

Wenn man sich etwas zur Mois-Thematik ansehen will, dann sollten es diese Videos sein. Sie spricht über körperliche und psychische Gewalt in allen Details. Sie habe sich wie eine Sklavin behandelt gefühlt, sagt sie. Und sie zeigt auch Polizeiberichte und lädt ein Bild ihren Verletzungen hoch.

Das eine ist: All das ist so schrecklich, dass es kaum auszuhalten ist.

Das andere, noch größere Problem ist aber: Niemand schreitet ein.

Mois wird von manchen seiner Fans nur umso mehr gefeiert. Nach Anys' Videos droht Mois seiner Ex-Frau weiter. Er gibt offen zu, sie geschlagen zu haben. Er stellt ihre Adresse ins Netz, ruft ein Kopfgeld aus und einige seiner Fans versprechen, dass sie sich der Sache "annehmen" werden. Die "Welt" berichtet, dass Anys Polizeischutz bekommt.

Mittlerweile sind fast alle seine Accounts dicht. Aber das hat Wochen gedauert. Viel zu lange. Und auf Telegram ist Mois noch immer zu erreichen (6500 Fans).

Es ist nicht richtig, wie wir über Mois reden

Was mich stört, ist: Alle reden fast ausschließlich über Mois. Mit Glück heißt es: Der Youtuber dreht durch. Dann ist es die Geschichte eines Zusammenbruchs. Einer der erfolgreichsten deutschen Youtuber zerlegt seine Karriere in nur wenigen Monaten komplett.

Mit Pech gibt es aber Fans, die Mois verstehen und dafür feiern, dass er seine Frau geschlagen hat. Manche machen Memes aus seinen Aussagen und verharmlosen sie dadurch.

Dabei sollte es gar nicht um ihn gehen. Es sollte um Anys gehen. Und um die Frage, warum so lange niemand ihr geholfen hat.

Die Polizei tut sich schwer, wirklich einzugreifen. Beamte in Bielefeld behaupten, alles Mögliche getan zu haben. Doch da Mois keinen festen Wohnsitz hat, entgeht er auf diese Weise den Zuständigkeiten.

Eine, die sich dazu öffentlich geäußert hat, ist Rapperin Shirin David, die Mois auf dem Open Air Frauenfeld als "Hund" beleidigt hat. Sie sagt: "Kein Mann erhebt seine Hand gegen irgendeine Frau!" Anys hingegen nennt sie ein "mutiges Mädchen". Aber sonst fragt kaum jemand, wie es ihr geht. Und vor allem spricht niemand darüber, was eigentlich schiefläuft.

Erschreckende Zahlen: Gewalt an Frauen ist ein strukturelles Problem

Alle vier Minuten erlebt eine Frau in Deutschland laut UN-Women Gewalt durch ihren (Ex-)Partner. 132.966 Frauen sind demnach 2023 betroffen, 331 Frauen wurden Opfer von versuchtem oder vollendetem Mord oder Totschlag.

Rechtslage bei Femiziden
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Femizid als die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist. Die Bundesregierung hat bisher allerdings keine Definition von Femiziden anerkannt. Im deutschen Recht ist Femizid demnach kein eigener Straftatbestand, sondern wird als Mord oder Totschlag behandelt.

Aus Gründen der Vollständigkeit: Es gibt natürlich auch Männer, die häusliche Gewalt erleben. Mit 79,2 Prozent richtet sich diese aber vor allem gegen Frauen.

Die Zahlen sind erschreckend. Dabei ist auch die Dunkelziffer extrem hoch: Bundesfamilienministerin Lisa Paus geht davon aus, dass zwei Drittel der weiblichen Betroffenen nicht zur Polizei gehen.

Wer wissen will, was man dagegen tun kann, muss sich klarmachen, welche falschen und patriarchal geprägten Denkmuster dem zugrunde liegen: Denn es sind diese Denkmuster, die ungleiche Machtstrukturen ermöglichen. Die Belästigungen, Beschimpfungen und Gewalt nicht verhindern.

Es geht um vermeintliche Besitzansprüche, die nicht existieren dürfen in einer modernen Welt. Und um Männer, die das anders sehen. Indem sie Frauen kleinmachen, schlagen oder sie im schlimmsten Fall sogar töten, erheben sie sich über sie.

Wir halten uns oftmals für ach so große Feministinnen. Immer wieder heißt es – auch von Frauen – wir seien doch nun wirklich gleichberechtigt. Ich denke ehrlicherweise, wir sind noch weit davon entfernt. Das zeigt Mois. Das zeigen Fan-Reaktionen auf ihn. Das zeigen weitere, auch prominente Beispiele für Gewalt an Frauen. Und auch Tiktok und Instagram sind voll von toxischen männlichen Influencern.

Ich denke an Jérôme Boateng, der in einem aktuellen Prozess wegen Körperverletzung an seiner Ex-Partnerin von einem Gericht lediglich verwarnt wurde.

Ich denke an den frauenfeindlichen Influencer Andrew Tate.

An Donald Trump.

Diddy.

Und an all die anderen Hunde.

Hast auch du Gewalt zu Hause erlebt?
Es gibt professionell geschulte Menschen, die dir in solchen Situationen helfen können. Bedenke, dass Gewalt nicht immer in physischer Form, also durch Schläge oder Tritte, geschieht. Wenn du dir nicht sicher bist, ob dein Partner Gewalt ausübt, du Angst hast und Hilfe suchst, ruf beim Hilfstelefon gegen häusliche Gewalt an: 08000 116 016. Die Nummer ist rund um die Uhr erreichbar, kostenlos und anonym. Auf der Website findest du auch einen Hilfe-Chat und E-Mail-Beratung – in 18 Sprachen, auch in Gebärdensprache.
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