Als die böse Königin einst ihren magischen Spiegel fragte: "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?", hoffte sie natürlich auf nur eine einzige Antwort – sie selbst. Umso größer war ihr Zorn, als der Spiegel stattdessen Schneewittchen zur Schönsten erklärte.
In der heutigen, realen Welt kommen magische Spiegel gar nicht vor und mögliche Rivalinnen werden im besten Fall auch nicht einfach aus dem Weg geräumt. Aber der Wunsch, als schön zu gelten, bleibt bestehen.
Die Frage lautet also: Wie lässt sich das eigene Erscheinungsbild optimieren – möglichst effektiv und schnell sichtbar? Eine kurze Recherche auf Tiktok liefert eine vermeintlich einfache Antwort: Der Trend namens "Morning Shed" ist derzeit das Mittel der Wahl für viele, die sich dem gesellschaftlichen Schönheitsideal annähern wollen.
Das Motto "The uglier you sleep, the prettier you wake up" lässt sich frei mit "je entstellter du schläfst, desto stärker wird dein Antlitz vor Schönheit am nächsten Morgen nur so strotzen" übersetzen. Was klingt wie eine skurrile Binsenweisheit, ist in Wirklichkeit ein erstaunlich langlebiger Tiktok-Trend.
Im Zentrum steht der sogenannte "Morning Shed": Beginnend mit einer abendlichen Schönheitsroutine, bei der es darum geht, sich möglichst viele Produkte und Beauty-Gadgets ins Gesicht zu klatschen, zu schnallen oder zu rollen. Die Devise lautet: je mehr, desto besser.
Wer es ernst meint, trägt nachts also nicht nur eine Schlafmaske, sondern gleich mehrere Schichten darüber – etwa Kühlpads, Gel-Kompressen oder Anti-Aging-Streifen. Auch das Kinn bleibt nicht verschont und wird mit Face Tapes straff fixiert, um möglichen Falten den Kampf anzusagen.
Am nächsten Morgen folgt dann das große "Shed" – das Abstreifen all dieser Utensilien, fast wie das Schlüpfen aus einem Kokon. Nur dass man sich dabei weniger wie ein Schmetterling fühlt. Trotzdem: Die Hoffnung bleibt, dass sich die Mühe im Spiegelbild widerspiegelt. Doch Expert:innen warnen.
Denn der Beauty Trend ist alles andere als natürlich. Dr. Anjahli Mahto (beratende Hautärztin und Gründerin der Self London Clinic) warnte im "Guardian" jetzt vor den negativen Effekten des übertriebenen Trends. Face-Taping, also der Prozess bei dem Kinesiologie-Tape sich ins Gesicht geklebt wird, sei eine wirkungslose Methode: Denn "Falten entstehen nicht nur durch Bewegung, sie hängen mit dem Verlust von Kollagen, Veränderungen in der Fettverteilung zusammen". Taping könne diese Prozesse "weder rückgängig machen, noch verhindern."
Mahto sieht darin auch einen Zusammenhang mit dem wachsenden gesellschaftlichen Druck, sich in allen Lebensbereichen möglichst perfekt und kontrolliert zu inszenieren. "Auch die Hautpflege bleibt davon nicht verschont", erklärt Mahto laut "Guardian". "Diese zunehmend komplexen nächtlichen Rituale gehen oft über das hinaus, was die Haut physiologisch überhaupt benötigt", urteilt sie weiter. Vielmehr seien diese Schönheitsrituale Ausdruck eines kulturellen Zwangs zur Perfektion.
Dr. Cristina Psomadakis äußert sich kritisch zum Trend, über Nacht in Kollagenmasken zu schlafen. Neben den Auswirkungen auf die Umwelt betrachtet sie es auch aus fachlicher Sicht: "Es gibt keine verlässlichen Belege dafür, dass durch das Auftragen von Kollagen auf die Haut die körpereigenen Kollagenspeicher aufgefüllt werden", erklärt sie dem "Guardian".
Als medizinische Leiterin der verschreibungspflichtigen Hautpflegemarke Klira beobachte sie, dass viele Menschen es mit ihrer Pflegeroutine übertreiben – inspiriert von immer neuen Trends auf Social Media. Das sei das "größte Problem" der Dermatolog:innen derzeit.
Statt in immer aufwendigere Schritte zu investieren, rät sie zu mehr Zurückhaltung. Ihre Empfehlung: Abends das Gesicht reinigen, morgens auf eine einfache Kombination aus Reinigung, Feuchtigkeitspflege und Sonnenschutz setzen.
Bei Bedarf könne eine verschreibungspflichtige Behandlung hinzukommen – mehr sei für gesunde Haut meist nicht nötig.