Der Alexanderplatz: Berlins Shoppingmeile, ein Konzentrat ermattender Tristesse. Grauer Beton, Baustellenästhetik, Taubenkot. Mittelpunkt bildet das Alexa, ein Klotz, vollgestopft mit drögen Ladenketten. Heute gibt es aber einen Bruch mit der Dauertrauer. Heute erobern quietschbunte Wesen mit Glubschaugen und viel Charisma den Ort: die Labubus, überzogene Glückseligkeit in Plüschform.
Als meine Chefin mir vorgeschlagen hatte, ob ich bei der Eröffnung des ersten Labubu-Stores in Berlin dabei sein möchte, hatte ich zugestimmt. Auch aus Neugier: Befinde ich mich gerade in der Geburtsstunde eines popkulturellen Großereignisses – oder werde ich einfach nur Zeuge eines PR-gemachten Placebo-Hypes? Schließlich wird vieles schnell als "Trend" verkauft, was eigentlich keiner ist.
Auch wenn dieses Phänomen bislang spurlos an mir vorbeigegangen ist, wird es sicher ein paar Menschen geben, die heute mit pochendem Herzen aufgewacht sind. Endlich können sie ihr Lieblingswesen mit den Glubschaugen in den Händen halten.
Offensichtlich ist am Hype mehr dran als gedacht. Vor dem Alexa steht eine Schlange, die sich einmal um das gesamte Gebäude windet. Hunderte Menschen, geduldig wartend, auf ihre Chance ein Plüschwesen zu besitzen, während Regen erbarmungslos auf sie niederprasselt. Ich gehe die Strecke ab – rund zehn Minuten dauert die Umrundung.
Der Hype schlägt sich auch in den Verkaufszahlen nieder. Die "The Monsters" Serie, zu der Labubu gehört, hat im Jahr 2024 einen Umsatz von etwa 380 Millionen erzielt, ein Großteil des Umsatzes von Pop Mart. Dieses Jahr sieht ebenfalls rosig für das Unternehmen aus. Spannend dabei ist, dass die Plüschwesen nicht direkt eine Zielgruppe ansprechen. Ein Blick auf die Schlange am Alexa reicht für die Einschätzung.
Anders als bei Konzerten oder exklusiven Clubevents, wo sich das Publikum meist schon an der Kleidung eindeutig identifizieren lässt – Glitzer, Schwarz, Vintage – sieht man hier alles. Menschen zwischen sechs und 60 Jahren. Eltern mit ihren Kindern, Rentner:innen mit Thermoskannen, die sich vermutlich auf der Mission befinden, ihren Enkelkindern einen Traum zu erfüllen. Dazwischen größere Gruppen an Fans mit Jutebeuteln, Labubu- (oder Fakes mit dem Namen "Lafufu")-Anhängern.
Es ist ein soziologisch faszinierender Querschnitt durch die Bevölkerung.
Ich spreche Emmanuel an, 25 Jahre alt, leicht durchnässt, etwas ratlos. "Was machst du hier eigentlich?", frage ich. "Frag ich mich auch", sagt er. "Hab schon kurz überlegt, nach Hause zu gehen."
Warum also tut er sich das an? Online habe er sich schon welche bestellt und jetzt wollte er "einfach dabei sein". Und das, obwohl er noch nicht genau weiß, ob er sich heute überhaupt etwas kaufen möchte. Sein Blick wandert über die schier endlose Schlange.
Etwas näher am Eingang treffe ich auf Stacey. Stacey bestätigt das Gefühl, hier dabei sein zu müssen: "Es ist schon auch einfach ein Trend und ich hab krass Fomo, also die Angst, etwas zu verpassen." Und sie fügt hinzu:
Auch Agniette hat der Labubu-Hype "angesteckt". Sie wolle jetzt die Chance nutzen, das Original zu haben. "Ich bin ganz ehrlich, es ist wahrscheinlich das Marketingkonzept und der Hype und dass es so rar ist, das macht es besonders. Aber auch die Optik ist toll."
Die noch etwas weiter vorne anstehende May hat sich den Hype kurzerhand zu eigen gemacht. Sie ist seit vergangenem Jahr Fan von den Plüschtieren. Doch "bevor man Labubus in Deutschland bekam, haben mich die Leute komisch angeschaut." Trotzdem hat sie Labubus aus aller Welt eingekauft und diese an ihre Freund:innen weiterverkauft:
Einige Gehminuten weiter hinten treffe ich auf Roe. Auch Roe ist "heute hier, weil ich mich mitreißen lassen hab".
Doch Roe ist nicht nur für die Labubus da, sondern vor allem für die Crybabys, ein weiteres beliebtes Produkt von Pop Mart:
Die ganz vorne in der Schlange haben vor Ort übernachtet. Auf dem harten Boden vor dem Alexa, im Regen, mit Klappstuhl und Thermoskanne. Eine junge Frau erzählt, sie sei seit gestern Abend um halb elf hier. Ihr Ton strotzt vor der stoischen Würde einer Bergsteigerin am Basislager, kurz vor dem finalen Aufstieg.
Etwa 100 Meter weiter hinten treffe ich eine andere junge Frau, die deutlich weniger leidenschaftlich wirkt. Sie stehe nicht für sich selbst an, sondern – wie sie mit einem gequälten Lächeln sagt – für ihre Chefin. Bezahlte Wartezeit im Dienste der Popkultur. Oder besser gesagt: im Dienste eines glubschäugigen Plüschwesens, das offenbar genug Bedeutung besitzt, um in deutschen Büros als delegationswürdiger Notfall durchzugehen.
All die Menschen verdeutlichen: Labubus sind längst mehr ist als Plüschtiere – sie sind Symptom einer Gesellschaft, die sich nach Gemeinschaft sehnt, diese aber nur noch über geteilten Konsum oder virale Trends zu erleben vermag.
Und so steht man wohl stundenlang im Regen, um einen Labubu zu ergattern. Ganz im Wunsch, Teil von etwas zu sein, das größer wirkt als man selbst, auch wenn es nur ein Plüschtier mit Fanbase ist.