Sich nachhaltig zu ernähren, liegt im Trend. Laut Angaben des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft (BLZ) sank 2022 der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch um rund 4,2 Kilogramm auf 52 Kilogramm pro Person im Vergleich zum Vorjahr. Das war der niedrigste Wert seit Beginn dieser Berechnung im Jahr 1989.
Das deckt sich mit den Entwicklungen, die der Ernährungsreport 2022 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zeigt. Demnach ernähren sich 44 Prozent der Deutschen flexitarisch. Sie essen also nur gelegentlich Fleisch und verzichten immer wieder bewusst darauf. Dazu kommen sieben Prozent Vegetarier:innen; ein Prozent der Deutschen lebt vegan. Bei ihnen sind Fleischersatzprodukte beliebt, auch das zeigt der Bericht des BMEL.
Der häufigste Grund, warum im Marktregal zum Ersatzprodukt gegriffen wird: Neugier, wie es wohl schmeckt. Doch natürlich spielen auch das Tierwohl und der Umweltschutz eine entscheidende Rolle.
Die Umweltschutzorganisation WWF Deutschland will, dass diese Entwicklung so weitergeht. Gerade zu Beginn der Grillsaison könnten sich noch mehr Menschen für die vegetarische oder vegane Alternative auf dem Rost entscheiden. Doch seitens der Lebensmittelhändler wie Rewe und Lidl sieht die Stiftung ein Versäumnis – und kritisiert massiv.
Es geht darum, was in den Werbeprospekten, die jede Woche in Briefkästen landen oder online anzuschauen sind, rabattiert wird. Laut der aktuellen WWF-Analyse "Grillfleischcheck 2023" dominieren Steaks und Würstchen der niedrigsten Haltungsstufen in den Werbungen der hiesigen Lebensmittelhändler. Untersucht wurden die Prospekte von Aldi Nord, Aldi Süd, Edeka, Lidl, Netto, Norma, Kaufland und Rewe.
"Grillfleischprodukte werden über 20 Mal häufiger beworben als Fleischersatzprodukte", heißt es in der Analyse. Davon seien 93 Prozent des rabattierten Fleischs aus schlechten Haltungsformen. Dieses Fleisch stammt also auf den Haltungsformen der Stufe 1 und 2. Allerdings: Am häufigsten ist die Haltungsform nicht angegeben, weswegen die WWF-Analyst:innen davon ausgehen, dass Haltungsform 1 zutrifft – sonst würden es die Produzent:innen nicht verschweigen.
Zur Erklärung: Bei der Haltungsform 1 in der Schweinemast werden für Tiere mit einem Gewicht von 50 bis 110 Kilogramm nur 0,75 Quadratmeter Fläche gerechnet, also die Mindestfläche, die gesetzlich vorgeschrieben ist. Zehn Prozent mehr sind es in der Haltungsform 2, also 0,825 Quadratmeter pro Tier.
Nicht nur, dass Billigfleisch noch günstiger angeboten wird: Im Vergleich zum Vorjahr sei die Zahl der rabattierten und beworbenen vegetarischen Grillprodukte um fast 45 Prozent zurückgegangen. Wie gehabt würden Preis- und Werbeanreize fast nur bei Fleisch und Wurstwaren gesetzt. "Im Vergleich zu Grillkäse und Feta platziert der Handel das Fleisch 12-mal häufiger im Prospekt", heißt es im "Grillfleischcheck 2023". Zwar geht die Werbung für Fleischprodukte jährlich zurück und Rabatte für Fleischersatzprodukte oder Grillkäse haben sich erhöht, trotzdem seien das nur kleine Fortschritte und es gibt noch "viel Luft nach oben".
"Der Lebensmitteleinzelhandel rabattiert an den Konsumentenwünschen vorbei", sagt WWF-Ernährungsreferentin Elisa Kollenda. Dabei sei die Ernährungswende längst in der Bevölkerung angekommen. Der WWF befürchtet, dass durch die Preisentwicklung und die höheren Kosten für nachhaltige Produkte der Trend, sich nachhaltig zu ernähren, gefährdet wird.
"Gesundes und nachhaltiges Essen darf kein Privileg für Besserverdienende sein", sagt die WWF-Ernährungsreferentin. Denn laut der Analyse sind 80 Prozent der rabattierten Fleischprodukte günstiger als Fleischersatzprodukte und 75 Prozent der rabattierten Fleischprodukte günstiger als Grillkäse und Feta.
Der WWF sieht die Lebensmittelhändler und den Staat in der Verantwortung. Die EU-Kommission habe erlaubt, die Mehrwertsteuer von Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte zu senken. Davon wurde aber bisher nicht Gebrauch gemacht. Dabei zeigt eine weitere WWF-Umfrage aus dem Mai dieses Jahres, dass durchschnittlich 56 Prozent der Befragten den Preis als Grund nennen, keine nachhaltigen Produkte einzukaufen.
Schon in der Finanzkrise 2008 hätten Menschen wegen der Preise eher zu kalorienreichen, nährstoffarmen Lebensmitteln gegriffen, statt zu Obst und Gemüse. "Nachhaltige und gesunde Ernährung ist eine drängende soziale Frage und ein Recht für alle. Der Markt allein richtet es augenscheinlich nicht. Uns ist daher unbegreiflich, warum ausgerechnet die deutsche Bundesregierung, anders als viele europäische Nachbarländer, eine derartige Steuersenkung nicht umsetzt", sagt Kollenda.
Was die Bewerbung von Produkten seitens der Händler zukünftig angeht, hat der WWF klare Vorstellungen: "Der WWF fordert, dass der Lebensmitteleinzelhandel seine Geschäftspolitik den planetaren Grenzen unterordnet", heißt es in der Analyse. "Dazu gehört, dass er nachhaltige Produkte in den Vordergrund stellt, sie gegenüber den Konsument:innen attraktiv inszeniert und bewirbt. Bei Sonderaktionen, wie der Bewerbung von Grillprodukten, muss der Fokus weg vom Fleisch und zu vegetarischen und veganen Alternativen schwenken."