Wir haben in Deutschland ja nicht viel, worauf wir stolz sein können. Auf Goethe und Schiller vielleicht, auf Dackel und Disziplin, auf lang gegorenes Sauerteigbrot. Und auf Flaschenpfand. Diese stillste aller deutschen Errungenschaften, nicht ganz so glorreich wie das Grundgesetz, aber mindestens ebenso unumstößlich im Alltag verankert.
Kaum ein anderer Gegenstand steht so verlässlich für das deutscheste aller Gefühle: Pflichterfüllung mit Bon-Ausdruck. Während anderswo leere Flaschen im Müll landen oder gleich mit dem Hausmüll entsorgt werden, werden sie hierzulande sortiert, geschleppt, gescannt, gestapelt. Und nun – mon dieu! – zieht sogar Frankreich nach. Zumindest versuchsweise.
In vier Regionen des Landes, in der Bretagne, Normandie, Pays de la Loire und Hauts-de-France, startet dieser Tage ein Modellversuch für Pfand auf Glasflaschen. Betroffen sind zunächst zwei Flaschentypen, die künftig gegen einen kleinen Obolus zurückgegeben werden können, später sollen weitere Modelle und Schraubgläser hinzukommen.
Mehrere große Supermarktketten machen mit, und rund 16 Millionen Menschen leben in den Testregionen.
Dabei ist das Pfand trotz verklebtem Nationalstolz nicht einmal ein rein deutsches Gewächs. Erfunden wurde es in Schweden, im Jahr 1885, mit einem Mehrwegsystem für 33-cl-Flaschen. Deutschland zog 1903 nach, als Frankfurter Bierhändler dem Leergut eine monetäre Würde verliehen.
Richtig gesetzlich wurde es hierzulande allerdings erst 2003 mit Umweltminister Klaus Töpfer, dem Godfather des berüchtigten Dosenpfands, das zwar anfangs verwirrte, inzwischen aber mit Rückgabequoten von 98 Prozent als internationales Vorbild gilt.
Frankreich hingegen hatte das Pfand längst, verlor es aber wieder. Bis in die frühen 1990er-Jahre war das System gängig, etwa bei Milchflaschen. Doch dann kam die Plastikflasche, die Einweglogik, die Illusion von Bequemlichkeit. Seither lebt das Pfand in Frankreich höchstens als lokale Nostalgie weiter, etwa im deutschen Grenzgebiet Elsass, wo sich Automaten und Glasflaschen hartnäckig halten.
Ein Blick nach Österreich zeigt unterdessen, was passiert, wenn man ein Pfandsystem neu einführt. Dort gibt es seit Anfang 2025 Pfand auf Plastikflaschen, was zu allerlei spannenden Nebeneffekten führte: Menschen hamsterten kurz vor Stichtag kiloweise Softdrinks aus Renditegründen: 25 Cent pro Flasche, ein Investment mit eingebauter Rückgabeprämie. Andere fragten sich: "Wo soll man das Zeug lagern?"
Später kam der Pfandtourismus: In grenznahen Regionen wie Bayern berichten Händler, dass plötzlich ungewohnt viele österreichische Flaschen im Rückgabeautomaten landen.
Der aktuelle Modellversuch in Frankreich soll 18 Monate dauern. Er wird von der französischen Regierung beobachtet und könnte, falls erfolgreich, landesweit ausgeweitet werden.
Neben ökologischen Erwägungen spielt dabei auch der politische Druck der EU eine Rolle: Die Mitgliedsstaaten sollen bis 2029 90 Prozent ihrer Einweg-Plastikflaschen erfassen und recyceln. Ohne Pfandsystem, das zeigt das deutsche Beispiel, ist das kaum zu schaffen.
Noch ist nicht ausgemacht, ob Frankreich auch langfristig dem deutschen Vorbild folgt. Französischer Charme und deutsche Penibilität waren nie die besten Freunde. Aber man darf hoffen: Vielleicht ruht die deutsch-französische Freundschaft künftig nicht mehr nur auf Brieftauben und Elysée-Verträgen. Sondern auf Leergut.