Ein helles Büro mit Notizzetteln an den Wänden und Topfpflanzen, in der Mitte ein heller Holztisch, an dem Sven sitzt: Der 49-Jährige erklärt einer jungen Frau, wo sie ihren Namen und ihr Geburtsdatum einträgt, fragt sie nach ihrer Krankenkasse, erwähnt zum Ende des Gesprächs noch einmal die Öffnungszeiten der Beratungsstelle, falls sie noch Fragen haben sollte.
Sven wirkt freundlich, aber unaufdringlich – in jedem Fall professionell, wie man es von einem Sozialarbeiter erwarten würde. Nur ist Sven kein Sozialarbeiter, sondern Hartz-IV-Empfänger. Und das, obwohl er in Vollzeit im Verein Interkultur Deliztsch e.V. arbeitet, dort geflüchtete Menschen in Sprachkurse vermittelt, ihnen beim Ausfüllen von Jobcenter-Anträgen hilft und das Büro managt. Alles ehrenamtlich, versteht sich.
Svens Fall zeichnet ein völlig anderes Bild von Armut, als viele Medien es normalerweise tun – und ist der Beweis dafür, dass finanzielle Not mehr Facetten kennt als Dummheit, Faulheit oder Ignoranz. Genau das ist das Ziel des ProSieben Spezials "Von Armut bedroht", in der unter anderem Svens Geschichte erzählt wird. In der Doku trifft Journalist Thilo Mischke vier Menschen, denen man es nicht ansieht, aber die aus unterschiedlichen Gründen von Armut bedroht sind: eine alleinerziehende Mutter, ein junger Mann mit schlechtem Schulabschluss und ohne Ausbildung, eine junge Mutter aus Serbien – und Sven, der seit Jahren keine bezahlte Festanstellung findet und auf Staatskosten leben muss.
Etwa 20 Prozent der Menschen in Deutschland sind von Armut bedroht, die Gründe sind nicht immer individuell, sondern strukturell bedingt: Die Gruppe mit dem größten Risikofaktor, in Armut leben zu müssen, sind mit 62,9 Prozent Langzeitarbeitslose wie Sven. Knapp dahinter liegen Menschen ohne deutschen Pass (60 Prozent), Alleinerziehende (41,5 Prozent) und Menschen mit niedriger Schulbildung (28,8 Prozent). Von Armut bedroht gilt, wer monatlich weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung hat, das sind aktuell 969 Euro.
Sven wird vermutlich von noch weniger leben: Der aktuelle Hartz-IV-Satz liegt bei 432 Euro monatlich, dazu wird bis zu einem regional abhängigen Quadratmeterpreis die Warmmiete der Wohnung vom Amt übernommen. Natürlich wäre es ihm lieber, kein Geld vom Jobcenter nehmen zu müssen, sagt Sven gegenüber Thilo Mischke in der Sendung:
Untätig herumsitzen liegt Sven allerdings fern. Die Angebote vom Jobcenter, im Straßenbau zu arbeiten, konnte er wegen seines geschwächten Rückens nicht annehmen. Aber die Tätigkeit im Verein gibt ihm Kraft, motiviert ihn. Er weiß, wie stark die psychische Belastung als Hartz-IV-Empfänger sein kann: "Mir reichen 30 Minuten im Jobcenter bei meiner Beraterin – dann bin ich völlig down."
Anderen Menschen zu helfen, die frisch nach Deutschland kommen und womöglich noch weniger haben als er, verschafft ihm die Perspektive, trotz Arbeitslosigkeit weiterzukämpfen. Es arbeiten "verschiedene Personen" daran, dass Sven endlich ein richtiges Gehalt für seine Arbeit bekommt, wie er sagt. Wegen Corona allerdings hätten sich einige Dinge verschoben, wann und ob er in seinem Verein festangestellt wird, weiß er noch nicht. Und trotzdem sagt Sven im Gespräch mit Mischke:
Als Mischke gegen Ende der Sendung fragt, ob Sven glaubt, gesellschaftlich noch tiefer absteigen zu können, antwortet dieser: "Es geht vielleicht noch eine Stufe tiefer, und zwar die, wenn man die Kraft nicht mehr hat, zu kämpfen", sagt Sven. "Dann sieht man die Leiter zwar vor sich. Aber dann geht man unten lang, nicht nach oben."
Nicht jeder Arbeitslose schafft es, trotzdem ehrenamtlich arbeiten zu gehen, so wie Sven es tut. Grund dafür könnten Krankheit, körperliche sowie psychische, oder auch die Familie sein. Was hinter der Armut steckt, sehen wir oft nicht – dennoch ist sie mit so vielen negativen Klischees besetzt. Menschen wie Sven würde es helfen, sich nicht dem ständigen gesellschaftlichen Druck aussetzen zu müssen – wenn es beispielsweise ein bedingungsloses Grundeinkommen gäbe.
"Das bedingungslose Grundeinkommen wäre für mich natürlich ideal", meint der Hartz-IV-Empfänger. "Du musst dich nirgendwo melden und kannst dein Leben in Ruhe selbst gestalten." Vor allem aber würde es Sven und Menschen wie ihm etwas zurückgeben, was an vielerlei Stellen in der Gesellschaft fehlt: Würde.
(ak)