Nach dem Ende des Corona-Lockdowns erwartet der Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski eine Reisewelle auf den deutschen Straßen und Autobahnen. "Eine Explosion des Autotourismus kündigt sich an", sagte Opaschowski der Deutschen Presse-Agentur. Der Urlaub mit dem eigenen Fahrzeug werde zur neuen Normalität, weil Flugreisen und Kreuzfahrten weniger möglich und wünschenswert seien. Zudem drohten Abstandsgebote und Maskenpflicht zum "Atmosphärekiller" im Flug-, Kreuzfahrt- und teilweise auch beim Bahntourismus zu werden.
Opaschowski beruft sich bei seiner Vorhersage auch auf eine repräsentative Umfrage, bei der 73 Prozent der Befragten im März angaben, sie würden sich auch im Urlaub weiter so fortbewegen wie bisher und an ihrem Reiseverhalten nichts ändern. Das Opaschowski-Institut für Zukunftsforschung (O.I.Z) ermittelte, dass die Reisefreude vor allem bei Großstädtern und Menschen in Ballungsgebieten ungebrochen ist (76 Prozent). Auch Singles sind demnach besonders reisefreudig (78 Prozent).
Nur Familien mit jugendlichen Kindern sind etwas zurückhaltender (68 Prozent). Sie seien offenbar durch die "Fridays for Future"-Bewegung am stärksten sensibilisiert, die eigenen Reisegewohnheiten zu überdenken und auch zu ändern, erklärte der Forscher, der sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Tourismus beschäftigt.
Prognosen des ADAC stützen die Vorhersage von Opaschowski. Zwar rechnet der Automobilclub damit, dass viele, die sonst in den Urlaub gefahren wären oder per Flugzeug eine Fernreise angetreten hätten, dieses Jahr gar nicht wegfahren. Andererseits machten zahlreiche Menschen, die sonst in den Süden gefahren wären, dieses Jahr in Deutschland Urlaub.
"Deswegen werden die Autobahnen sicher auch in diesem Reisesommer voll werden", sagte ADAC-Sprecher Andreas Hölzel. Nur werde der Verkehr nicht in erster Linie Richtung Süden rollen, sondern quasi in alle Richtungen. Auch Deutschlands zweitgrößter Reisekonzern DER Touristik hatte kürzlich berichtet, dass vor allem Urlaub im eigenen Land und auch in Österreich stark gefragt sei.
Wo es die meisten Staus geben wird, kann der Automobilclub nicht genau vorhersagen. Sicher sei nur, dass es an den fast 600 Baustellen und in den Ballungsräumen zu Behinderungen komme. Allerdings: "Neben den Autobahnen könnten in diesem Jahr auch viele Nebenstrecken stärker belastet sein, wenn Reisende ganz bewusst Urlaub in Deutschland machen und nicht zwingend schnell vorankommen müssen oder wollen", so der ADAC-Sprecher.
Auch Opaschowski vermutet, dass es in diesem Sommer deutlich mehr Reiseverzichtler geben wird, die lieber Urlaub auf Balkonien machen als im Stau zu stehen. Für einen großen Teil der Bevölkerung heiße die Alternative aber: Autoreise statt Reiseverzicht. Hauptsache weg von zu Hause. "Das Wohin der Reise erscheint beinahe zweitrangig. Das Ziel heißt: frei sein", glaubt der Zukunftsforscher.
Der Mensch könne auf Dauer nicht ruhig in seinen vier Wänden verweilen. Es gebe ein Bedürfnis nach Mobilität. Selbst im Stau bleibe den Reisenden ein Trost, meint Opaschowski: "Automobilität ist immer auch Erlebnismobilität." Wer daheim bleibe, lebe dagegen in einer Art "Verpasskultur", scheine am Leben vorbeizuleben. "Auto und Urlaub werden nach der Krise die großen Gewinner sein", ist er sich sicher.
(lau/dpa)