Als die Einladung zum Axtwerfen ins Leben-Postfach geflattert kam, schrieb meine Kollegin sofort: "Ich will das machen, hahaha!" Aus Termingründen fiel die Axt dann doch mir vor die Füße. Ich mache mich mit gemischten Gefühlen auf den Weg.
Böse Erinnerungen an den Schulsport kommen hoch. Wie beim Horror-Weitwurf vor den Augen aller Mitschüler der Ball kläglich einen Meter weiter in den Sand plumpste, weil ich zu spät losgelassen hatte. Überhaupt war Werfen noch nie mein Ding, schon gar nicht weit und gezielt. Und jetzt soll ich eine Axt schmeißen?
Der neue Trendsport aus Kanada und den USA soll angeblich absolut sicher sein – sicherer als Darts werfen. Grundsätzlich ähneln sich beide Sportarten: Man zielt mit der Axt auf eine runde Scheibe aus Holz. Darauf gibt es einen roten Punkt in der Mitte, das Bullseye, Ringe für die Punktezonen (je näher am Bullseye, desto mehr Punkte) und noch zwei besonders schwer zu treffende blaue Punkte, die die meisten Punkte einbringen.
Ziel ist, dass die Axt nach dem Wurf in der Scheibe steckt – am besten dort, wo es viele Punkte gibt. Doch was, wenn die Axt statt im Holz in meinem Schienbein stecken bleibt? Autsch.
Angekommen bei Woodcutter in Berlin empfängt mich weniger Testosteron, als ich erwartet hätte. Keine Vollbart-Holzfäller im Flanellhemd, sondern jede Menge Mädels, die sich in der holzgetäfelten Axtbar an der rustikalen Holztheke tummeln. Axtwerfen scheint also nicht nur bei watson Interesse geweckt zu haben.
Das Gründer-Duo, bestehend aus dem belgischen Geschwisterpaar Miranda und Julien Vandenitte erklärt, wie man als Belgier darauf kommt, eine Axtbar zu eröffnen. Haben die beiden etwa Wikinger-Vorfahren? "Wir haben auch ein germanisches Erbe", sagt Julien und lacht. "Die Germanen haben früher mit Äxten geworfen, die Franken, Teutonen, alle. Das ist eine Sportart, die zu den Wurzeln der Menschheit zurückgeht."
Julien Vandenitte brachte schon Erfahrung aus der Freitzeit- und Unterhaltungsbranche mit.
In einer Welt, die immer digitaler wird, wollen sie mit ihren Bars Orte schaffen, an dem man die Zeit zurückdrehen und mit Menschen an einem physischen Ort zusammen sein kann, um Zeit miteinander zu verbringen. "Das war für uns schon vor der Pandemie sehr wichtig, aber seither hat es noch mehr an Bedeutung gewonnen", sagt Julien. "Wir wollen einen Raum schaffen, in dem die Menschen gesellige Momente miteinander verbringen, Spaß haben, einfach mal abschalten und sich mit der Vergangenheit verbinden können."
Miranda Vandenitte findet noch einen anderen positiven Aspekt, da beim Axtwerfen der Alltag ausgeblendet und die Konzentration ganz auf den Wurf gerichtet ist. "Axtwerfen wirkt meditativ. Es ist das neue Yoga", meint sie.
Mit dieser Botschaft geht es zur Einweisung durch die sogenannten "Axe Master", die einem die Wurftechnik erklären sollen. Zwei der drei Axe Master sind weiblich – so langsam nährt sich in mir der Verdacht, dass das kein Zufall sein kann. Möglicherweise weckt dieser Sport die berühmte "Vikings"-Schildmaid Lagherta in uns? Ich werde es herausfinden.
Gegenüber der Bar verlaufen parallel die "Lanes" genannten Wurfbahnen, abgegrenzt durch doppelreihig gespannten Maschendrahtzaun. Jede Bahn ist gut fünf Meter lang und ausgestattet mit einer Wurfscheibe und Sicherheitsmatten für Abpraller.
Axe Master Jim macht die Ersteinweisung und stellt erst mal klar: "Wer auf Schmerzen steht, ist hier zwar in der richtigen Stadt, aber definitiv im falschen Laden." Dann erklärt er, wie man die Axt am besten hält und wirft. Bei mir entscheidet er sich für die Zwei-Hand-Wurftechnik: Beide Arme gerade vor den Oberkörper, Axt 90 Grad zum Arm halten, Handgelenk steif halten. Dann mit der Axt weit über den Kopf nach hinten ausholen, und werfen.
Soviel zur Technik also. Der Holzgriff der Axt liegt angenehm schwer in meiner Hand. Ich lege los. Der erste Wurfversuch war wohl noch zu zögerlich, die Axt, berührt die Scheibe noch nicht mal. Die nächsten Würfe enden damit, dass die Axt an der Scheibe abprallt und mir zurück vor die Füße poltert. Immerhin nicht gegen mein Schienbein.
Jim sagt, es wäre Zeit, an meinem "Spin" zu arbeiten. Beim Loslassen der Axt kommt es auf den richtigen Moment an. Schließlich muss die sich im Fliegen drehen und mit dem Axtblatt auf die Scheibe treffen, um stecken zu bleiben.
Der entscheidende Hinweis kommt aus der Bahn nebenan, von Axe Master Dorothea: "Lass los, wenn die Axt auf Augenhöhe ist – stell Dir vor, Du haust mit der Axt auf den Tisch", sagt sie ihrem Schützling. Die wirft – und Jubel rundherum, der erste Volltreffer in unter zehn Versuchen. Ein Naturtalent! Bei mir dauert es noch ein paar Würfe länger, aber auch ich schaffe den ersten Treffer in unter fünfzehn Versuchen.
Überhaupt scheint das Werfen von Äxten Frauen irgendwie zu liegen. Axe Master Dorothea sagt: "Es sind tatsächlich mehr Frauen hier, weil es eben nicht nur um Kraft geht. Es ist so, dass die Frauen eigentlich besser in der Technik sind."
Nicht nur für den nächsten Mädelsabend ist die Axtbar der geeignete Ort, beliebt sind auch Junggesellenabschiede, Geburtstage, Teambuilding-Events und Tinder-Dates.
Dorothea glaubt, gerade für Blind Dates eignet sich die Axtbar sehr gut, "weil du nicht die ganze Zeit so konfrontiert bist, auf dein Gegenüber fixiert und du die ganze Zeit mit nur dieser Person sprechen musst. Es ist gesellig, du trinkst ein Bier und du hast aber auch einen Coach, der die ganze Zeit da ist – was vielleicht für viele Frauen auch ein interessanter Aspekt ist."
Dorothea hat als Coach bei Dates schon interessante Beobachtungen gemacht:
Den IQ deines Dates beim Axtwerfen testen. Warum nicht?
Ob die meditativen Aspekte des Axtwerfens nun für mich den Yoga-Hund und das Shavasana ersetzen, da bin ich skeptisch. Durch das ganze frisch gesplitterte Holz duftet es aber in der Axtbar tatsächlich entspannend nach Wald und Bäumen – und welche Bar kann das schon von sich behaupten?
Mein Fazit: Die innere Wikingerin herauslassen und archaisch ein paar Äxte in Richtung Scheibe schleudern – das macht schon Spaß. Das schönste Kompliment kam für mich dementsprechend auch von einer Axtmeisterin: "You did it like a ladyboss ..." Yeah!