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Wegen Omikron-Variante BA.5 auf Urlaub verzichten? Das sagen Epidemiologen

Asian woman using rapid antigen test kit for self test COVID-19 epidemic at home. Adult female place the fabric tip of the swab in the extraction tube and rolling around the tube. COVID-19 pandemic pr ...
Neue Corona-Variante in Portugal: Wie wird der Herbst in Deutschland?Bild: iStockphoto / CandyRetriever
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Omikron-Variante BA.5 breitet sich aus: Was das für die Urlaubssaison und den Herbst bedeutet

10.06.2022, 18:3212.06.2022, 11:15
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Kein Herbst ohne neue Corona-Welle. Dieses Jahr werden uns die Coronavirus-Varianten BA.4 und BA.5 treffen. Beide sind Untervarianten von Omikron, beide haben bereits im Frühling in Südafrika eine fünfte Corona-Welle ausgelöst und BA.5 sorgt in Portugal schon seit Mitte Mai für steigende Infektionszahlen. Dort hat die BA.5-Welle bereits ihren Höhepunkt überschritten, hierzulande steht das noch bevor. BA.5 gilt als besonders infektiös und könnte bald die aktuell in Deutschland vorherrschende Variante BA.2 ablösen.

Auf der Pressekonferenz des Expertenrats der Bundesregierung zur Vorbereitung auf den Corona-Herbst am Mittwoch bezeichnete Prof. Leif Erik Sander die aktuelle Situation als "dynamisches Infektionsgeschehen".

Doch möglicherweise müssen wir in Erwartung einer neuen Corona-Welle nicht nur auf den Herbst schauen, es könnte uns schon früher treffen: Das meint der Forscher Sebastian Müller im Gespräch mit dem "Handelsblatt". Er ist Mitglied einer Arbeitsgruppe der TU Berlin, die den weiteren Pandemieverlauf modelliert. "Unsere Simulationen zeigen, dass die Entwicklung in Portugal auch in Deutschland eintreten könnte – und zwar in Form einer Sommerwelle."

Die Zahl der Neuinfektionen würde seiner Simulation zufolge in der zweiten Junihälfte sichtlich steigen. Dann sei BA.5 auch in Deutschland die dominante Virusvariante. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts lag der Anteil von BA.4 an den Neuinfektionen Ende Mai bei 0,9 Prozent, für BA.5 bei 5,2 Prozent. Noch sei es aber zu früh, die genaue Höhe der Neuinfektionen zu errechnen. "Wir gehen davon aus, dass sie eher unter dem Niveau der Omikron-Welle liegen wird", sagte Müller.

Er gibt außerdem Entwarnung: Das Gesundheitswesen werde dabei voraussichtlich nicht an seine Grenzen kommen. "Die durch die Omikron-Welle erzeugte Immunität in der Bevölkerung und die vierte Impfung sorgen dafür, dass die Anzahl der schweren Verläufe geringer sein wird als in der Omikron-Welle," sagte der Wissenschaftler dem "Handelsblatt".

Müller ist mit seiner Einschätzung nicht allein, auch Leif Erik Sander betonte in Berlin, dass die aktuell im Vergleich zu den Fallzahlen niedrige Krankheitslast einzig und allein auf die "die extrem effektive Covid-19 Impfung" zurückzuführen sei. "Die größte Variable ist die Virusevolution", sagte der Leiter der Infektiologie an der Charité Berlin in Bezug auf die unbekannte Entwicklung im Herbst. "Die Entstehung von weiteren Virusvarianten und deren Eigenschaften können nicht sicher seriös vorhergesagt werden."

Erneute Maßnahmen ab Herbst seien geplant, allerdings abhängig von der Infektionslage und möglichen schweren Krankheitsverläufen. Eine "vorausschauende Vorbereitung mit kurzen Reaktionszeiten" sei notwendig, hieß es in der Expertenrunde weiter.

Gegenüber watson gaben die Epidemiologen Timo Ulrichs und Markus Scholz eine Einschätzung für die kommenden Herbst- und Wintermonate und beantworten die wichtigsten Fragen zu den neuen Virusvarianten und den Pandemieverlauf über den Sommer.

Was genau sind die Varianten BA.4 und BA.5 und wie unterscheiden sie sich von der aktuell dominierenden BA.2?

Ulrichs klassifiziert BA.4 und BA.5 als Untervarianten von Omikron. Diese unterscheiden sich strukturell nur minimal voneinander, aber sehr wohl hinsichtlich ihrer Fähigkeiten. "Allein die Tatsache, dass sich im menschlichen Wirt BA.5 besser ausbreiten kann als ihre Konkurrentinnen, zeigt, dass sie fitter ist bezüglich der Ansteckungsfähigkeit. Ob sie auch vermehrt und klinisch schwerere Erkrankungen hervorrufen kann, ist bisher nicht gesichert", sagt der Professor von der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin im Gespräch mit watson. BA.4 scheint nach dem geringeren Anteil an den aktuellen Zahlen die etwas weniger fitte Variante zu sein.

Prof. Markus Scholz vom Institut für medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie der Uni Leipzig warnt ebenfalls vor einem entscheidenden Unterschied der Variante BA.5: "Sie unterscheidet sich von der bisher vorherrschenden BA.2-Variante durch einige wenige Mutationen, die aber zu einer Reduktion der Immunwirkung führen."

Bin ich nach einer kürzlich zurückliegenden Infektion mit Corona immun?

Ob man nach einer Covid-Genesung auch immun gegen BA.5 ist, ist unklar. "Das hängt sehr von der Intensität des Kontaktes mit dem Virus ab. Nur leichter Kontakt ruft auch nur eine leichte Reaktion des Immunsystems hervor – sicherer ist eine Impfung als Vorbereitung auf einen möglichen Kontakt mit BA.5", betont Ulrichs im Gespräch mit watson.

Durch die erst kürzlich überstandene Corona-Welle aufgrund der BA.2-Variante von Omikron sieht der Epidemiologe Scholz wenig Gefahr, dass es bereits im Sommer durch BA.5 zu hohen Inzidenzen in Deutschland kommen könnte. Damit widerspricht er seinem Forscherkollegen Sebastian Müller von der TU Berlin: "Wir haben in Deutschland gerade eine weitgehende Durchseuchung durch die BA.2-Variante erlebt." Dadurch sei der Immunschutz in der Bevölkerung hoch. Die Datenlage sei noch unsicher, aber nach aktueller Einschätzung bewirke eine Infektion mit BA.2 einen deutlichen Schutz vor BA.5. Wie immer bedeute dieser Schutz aber keine hundertprozentige Sicherheit.

Zwar könne die BA.5-Variante nochmal zu einem kleinen Anstieg der Fallzahlen führen, aber mit einer schweren Welle ist laut Scholz aktuell nicht zu rechnen. "Das wird uns voraussichtlich erst im Herbst bevorstehen, wenn die Immunwirkung bis dahin abgenommen hat. In Portugal ist die Situation anders. Dort läuft gerade eine BA.5-Welle, aber es gab vorher keine starke BA.2-Welle wie bei uns, so dass die Immunisierung dort niedriger ist."

Brauche ich für BA.5 jetzt eine Auffrischungsimpfung?

Bezüglich der Entwicklung im Spätsommer schätzt der Epidemiologe Ulrichs, dass "die relative Ruhe über die Sommermonate früher beendet werden wird durch die anlaufende Verbreitung von BA.5". Immun sei man durch die dreifache Impfung zwar auch dagegen nicht, aber: "Wie gegen andere Varianten auch, schützt eine dreimalige Impfung sehr gut vor schweren Krankheitsverläufen, nur eingeschränkt, aber immerhin messbar auch vor Infektionen. Für den individuellen Schutz sowie solidarisch für die gesamte Bevölkerung, rät der Experte zu einer vierten Auffrischungsimpfung.

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Eine vierte Corona-Impfung – im Herbst wird sie wohl fällig.Bild: dpa / Moritz Frankenberg

Auch sein Kollege Markus Scholz hält eine vierte Impfung in Richtung Herbst für sinnvoll. Denn eine pauschale Aussage über den individuellen Impfschutz lasse sich nicht treffen. Klar sei nur: Der Schutz vor Infektionen nimmt nach einer Impfung relativ schnell ab. "Auffrischungsimpfungen sollten vor allem kurz vor der für Herbst zu erwartenden Welle erfolgen, da die Immunisierung bis dahin weiter abgenommen hat. Damit wird die Herbstwelle voraussichtlich gut beherrschbar sein." Der Schutz vor schweren Verläufen, so Scholz, bestehe jedoch auch mit nur drei Impfungen länger, auch hinsichtlich der neuen Variante. "BA.5 ist nicht gefährlicher als die anderen Omikron-Varianten."

Müssen wir im Herbst in geschlossenen Räumen wieder alle Maske tragen?

Eine erneute Maskenpflicht in geschlossenen Räumen ab Herbst scheint für Timo Ulrichs unausweichlich. "Wir müssen wegen mangelnder Impfabdeckung wieder die vulnerablen Gruppen schützen. Maskentragen ist gut eingeübt und hat sich als sehr wirkungsvoll gegen die Ausbreitung erwiesen," so der Epidemiologe.

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Auch die Maske wird wohl im Herbst ihr Comeback bekommen – zumindest in geschlossenen Räumen.Bild: dpa / Boris Roessler

Markus Scholz lässt in seiner Einschätzung noch etwas Spielraum für Optimismus: "Im Moment ist schwer abschätzbar, wie schwer die Herbstwelle ausfällt. Das hängt auch von politischen Entscheidungen ab, wie etwa einer Kampagne für Auffrischungsimpfungen. Maßnahmen wie Maskenpflicht in engen Räumen könnten aber durchaus wieder notwendig werden."

Was bedeutet die Sommerreisesaison für die pandemische Entwicklung?

Diesen Sommer wird es wieder einen Tourismus-Anstieg geben und daher wird es sich nicht vermeiden lassen, dass viele Urlauber BA.5 mit nach Deutschland bringen. "Die weitere Ausbreitung von BA.5 ausgehend von Portugal (und anderen Ländern), auch nach Deutschland, wird sich nicht aufhalten lassen. Besser als Abschottung ist eine rechtzeitige Impfkampagne, auch unter Einbeziehung des ab Herbst verfügbaren, omikronspezifischen Impfstoffes", sagt der Epidemiologe Ulrichs gegenüber watson.

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Auf den geliebten Sommerurlaub verzichten, um das Virus nicht in seiner Verbreitung zu unterstützen? Epidemiologen sehen eine Abschottung nicht als sinnvoll.Bild: imago images

Auch für Markus Scholz ist klar, dass die anstehende Urlaubssaison die Verbreitung des Coronavirus begünstigt. Dennoch sieht auch er keinen Sinn darin, auf Urlaub zu verzichten oder gar in einer Art Isolation: "Neue Varianten entstehen permanent. Die Reiseaktivität trägt zweifellos zu deren Verbreitung bei. Allerdings lässt sich auch kein Land dauerhaft isolieren, so dass dieser Aspekt keine entscheidende Bedeutung hat. Früher oder später kommen die Varianten auch nach Deutschland. Das ist unvermeidbar." Stärkere Faktoren, die zu einer neuen Welle im Herbst führen könnten, sind für ihn die allmähliche Abnahme des Immunschutzes sowie der jahreszeitliche Aspekt.

WHO schlägt wegen Ausbreitung von Vogelgrippe-Virus Alarm

Die Begriffe Vogelgrippe und Geflügelpest sind in Deutschland schon lange nicht mehr neu. Über Wildvögel aus dem südostasiatischen Raum gelangte das Virus laut Friedrich-Loeffler-Institut bereits 2004 auf den europäischen Kontinent, meist im Winter wurden Ausbreitungen regelmäßig etwa aus deutschen Zoos oder Geflügelfarmen gemeldet.

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