Affenpocken-Infektionen beim Menschen waren bisher nur aus dem Westen Afrikas bekannt und vor allem eher selten. Doch seit dem Anfang Mai, als der erste Fall in Großbritannien gemeldet wurde, wurden in immer mehr westlichen Ländern Infektionen mit Affenpocken nachgewiesen. "Aufgrund der vielfältigen Kontakte der derzeit Infizierten ist in Europa und auch in Deutschland mit weiteren Erkrankungen zu rechnen", heißt es in einem Bericht für den Gesundheitsausschuss des Bundestages. Mit Stand von Sonntagnachmittag gebe es inzwischen vier bestätigte Infektions- und Erkrankungsfälle in Deutschland – einen in München und drei in Berlin.
"Es war nur eine Frage der Zeit, bis Affenpocken auch in Deutschland nachgewiesen werden", hatte auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach schon vergangene Woche mitgeteilt. Zudem würden aktuell weitere Eindämmungsmaßnahmen vorbereitet, wie der Gesundheitsminister am Montag am Rande der Weltgesundheitsversammlung in Genf verlauten ließ. Zusammen dem Robert Koch-Institut (RKI) erarbeite man aktuell Empfehlungen zu Isolation und Quarantäne, sagte der SPD-Politiker. Er gehe davon aus, dass sie bereits an diesem Dienstag vorgelegt werden könnten.
Zudem werde darüber nachgedacht, "ob wir vielleicht Impfempfehlungen aussprechen müssen für besonders gefährdete Personen", erläuterte der Minister. Dazu gehöre auch, zu prüfen, ob eventuell Impfstoffe beschafft werden müssten, und wenn ja wo. Er habe schon Kontakt mit einem Hersteller aufgenommen, der Impfstoffe spezifisch für die Affenpocken herstellt. Lauterbach betonte, dass eine Impfung der allgemeinen Bevölkerung hier nicht im Gespräch sei.
Der weltweite Ausbruch sei dennoch so ungewöhnlich, dass man sich Sorgen machen müsse, ob er so ablaufe wie frühere Affenpocken-Ausbrüche. Es sei eher damit zu rechnen, dass sich Art und Weise der Verbreitung geändert haben könnten, "so dass wir jetzt schnell und hart reagieren müssen, um einen globalen Ausbruch wieder einzudämmen".
Doch was genau sind Affenpocken und wie gefährlich sind sie für den Menschen? Müssen wir uns, eigentlich immer noch in der Corona-Pandemie steckend, nun Sorgen um den nächsten Erreger machen? watson gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Laut der Webseite des Robert-Koch-Instituts (RKI) sind Affenpocken "eine seltene, von Tieren, vermutlich vor allem Nagetieren, auf Menschen übertragbare Viruserkrankung." Sie sind in West- und Zentralafrika bei Nagetieren verbreitet – Affen und Menschen sind eigentlich nur Fehlwirte dieses Virus, also kein aus Viren-Sicht optimaler Ort. Übertragungen von Mensch zu Mensch galten als selten.
Die Krankheit trägt den Namen Affenpocken, nachdem der Erreger 1958 erstmals bei Affen in einem dänischen Labor nachgewiesen wurde. Affenpocken beim Menschen wurden erstmals 1970 in der Demokratischen Republik Kongo bei einem neun Monate alten Jungen identifiziert. Seitdem wurden Fälle von Affenpocken bei Menschen insbesondere in west- und zentralafrikanischen Ländern gemeldet.
Außerhalb des afrikanischen Kontinents wurden in der Vergangenheit nur einzelne Fälle nachgewiesen. Dem RKI zufolge erstmals Im Frühjahr 2003 in den USA. Als Ursache wurde demnach der Import von Nagetieren aus Ghana identifiziert, die Übertragung erfolgte laut RKI über infizierte Präriehunde auf Tierhändler und Tierbesitzer. Hier wurde aber keine Übertragung Mensch-zu-Mensch bekannt.
Weitere Fälle kamen wohl aus Nigeria, wo seit 2017 vermehrt Affenpocken-Infektionen bei Menschen diagnostiziert wurden, in andere Länder. Bis zu den aktuellen Fällen wurden in Großbritannien (2018), USA (2021), Singapur (2019) und Israel (2018) Infektionen gemeldet, wie das RKI berichtet.
Fachleute gehen im Moment davon aus, dass es sich bei dem aktuellen Ausbruch in Europa um die weniger gefährliche westafrikanische Variante handelt. Erste Erbgutanalysen von Viren europäischer Infizierter legen das nahe.
Der erste Infektionsfall der aktuellen Reihe trat in Großbritannien bei einer Person nach einer Nigeria-Reise auf. Alle weiteren Fälle wurden aber bei Menschen festgestellt, die vorher nicht gereist waren und auch keinen Kontakt zu infizierten Reiserückkehrern hatten. Dies lässt Rückschlüsse auf "eine veränderte Mensch-zu-Mensch-Übertragbarkeit" zu, so der Leiter der Klinik für Infektiologie an der Berliner Charité, Leif Sander, vergangenen Donnerstag auf Twitter.
"Eine neue Pandemie haben wir nicht zu befürchten", beruhigt der Pockenvirologe Gerd Sutter von der Ludwig-Maximilians-Universität München im Interview mit der "Zeit". "Einer hustet und Hunderte stecken sich an: Das gibt es bei Affenpocken nicht", so Sutter weiter. Affenpockenviren seien seit Jahrzehnten bekannt, in Zentral- und Westafrika heimisch, dort würden regelmäßig kleinere Ausbrüche in Menschen beobachtet. Affenpockenviren seien anders als die auf den Menschen spezialisierten Variolaviren, also die Menschenpocken.
Affenpocken seien als Zoonosen Krankheiten, die immer wieder vom Tier auf den Menschen übergehen, aber sich kaum zwischen Menschen übertragen. "Da wir kaum mehr Immunität gegen die klassischen, seit über 40 Jahren in der Natur ausgerotteten Pockenviren haben, breiten sich aber auch die Affenpocken immer mal aus, aber lediglich punktuell", so der Virologe Sutter.
Auch eine Mutation, die eine leichtere Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch begünstigen könnte, sei laut Sutter extrem unwahrscheinlich: "Pockenviren sind auch DNA-Viren und haben ein extrem stabiles Genom. Die sind in keiner Weise mit RNA-Viren wie Influenza- oder Coronaviren vergleichbar, die sehr schnell mutieren."
Der Virologe Leif Erik Sander beschreibt die Affenpocken als weniger krankmachend als die Pocken, es sei aber "dennoch eine ernste und in Einzelfällen tödliche Erkrankung."
Die Virus-Erkrankung verursacht nach Angaben der britischen Gesundheitsbehörde meist nur milde Symptome, kann aber auch schwere Verläufe nach sich ziehen. Schwere Fälle treten eher bei Kindern und gesundheitlich angeschlagenen Menschen auf. Auch die Menge an Viren, denen ein Patient ausgesetzt war, spielt eine Rolle für den Krankheitsverlauf.
Zu den Symptomen der Affenpocken beim Menschen gehören Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Muskelschmerzen und ein verschorfender Ausschlag mit Bläschen, sogenannte Hautblüten, der oft im Gesicht beginnt und dann auf andere Körperteile wie Handflächen und Fußsohlen übergreift. Folgen einer überstandenen Infektion können Narbenbildung und selten auch Erblindung sein.
In der Regel halten die Symptome zwei bis vier Wochen an und die Krankheit heilt von alleine aus.
Von Mensch zu Mensch sei die Ansteckung selten und "nur bei engem Kontakt" möglich, also über "Körperflüssigkeiten oder Schorf der Affenpocken-infizierten", schreibt das RKI. Auch die Übertragung von Pockenviren im Rahmen sexueller Handlungen ist möglich. Dabei gebe es, wie Fernando Simón, Leiter des Koordinationszentrums für Gesundheitswarnungen und Notfälle des spanischen Gesundheitsministeriums, in einem "Science"-Artikel schreibt, aktuell keinen Beweis gebe es dafür, dass das Virus durch Sperma übertragen werden kann. Wahrscheinlicher sei eine Ansteckung durch die Berührung der Pocken und Pusteln auf der Haut eines Erkrankten.
Laut RKI können Menschen sich zudem in Kontakt mit Blut, Gewebe oder Ausscheidungen infizierter Tiere anstecken, etwa beim Umgang mit dem Fleisch infizierter Tiere. Das ist hierzulande aber eher unwahrscheinlich. In der Frühphase der Erkrankung könne auch eine Übertragung über Tröpfchen möglich sein, so das RKI.
Eine Gefährdung für die Gesundheit der breiten Bevölkerung in Deutschland wird nach derzeitigen Erkenntnissen vom RKI als gering eingeschätzt. Die Situation wird sehr genau beobachtet und die Risikoeinschätzung dem aktuellen Kenntnisstand angepasst.
Eigentlich besteht der Verdacht laut RKI vor allem bei Menschen, die in sogenannten endemischen Gebieten in West-Afrika waren und entsprechende Symptome aufweisen. Da inzwischen auch Menschen ohne Reisegeschichte oder Kontakt zu Reisenden infiziert sind, sollen alle bei ungewöhnlichen Hautveränderungen "unverzüglich eine medizinische Versorgung aufsuchen", erklärte das RKI.
Der Mediziner Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft (STI: sexuell übertragbare Infektionen) warnt: "Am stärksten gefährdet sind Menschen, die sexuelle Kontakte zu vielen verschiedenen Menschen haben."
Das Virus könne grundsätzlich bei engem Körperkontakt übertragen werden, insofern hält Brockmeyer auch in der Allgemeinbevölkerung Vorsicht für ratsam. Er gehe anhand der Vielzahl von Fällen in anderen westlichen Ländern davon aus, dass das Virus schon seit einer Weile unbemerkt im Umlauf war. "Es darf aber keine Hysterie entstehen. Die Affenpocken werden gut kontrollierbar sein."
Die Deutsche Aidshilfe warnte angesichts mehrerer Affenpocken-Fälle bei Männern, die angaben, Sex mit Männern gehabt zu haben, vor falschen Schlussfolgerungen und Stigmatisierung. "Natürlich gibt es bei den Affenpocken oberflächliche Ähnlichkeiten zu HIV damals – es ist wieder eine Erkrankung aus Afrika, die auch schwule Männer betrifft. Aber in vielen anderen Punkten passt der Vergleich nicht", sagte Aidshilfe-Sprecher Holger Wicht. Grundsätzlich ist einem Virus die sexuelle Orientierung seines Wirtes egal. Gefährdet sind potentiell alle sexuell aktiven Menschen.
Auch Gesundheitsminister Lauterbach sagte am Montag, es gelte, die Risikogruppen, und dazu gehörten verstärkt Männer, nun ehrlich anzusprechen. Das sei zu ihrem Schutze und dürfe nicht falsch als Stigmatisierung verstanden werden.
HIV-Schwerpunktpraxen und Zentren, die auf sexuell übertragbare Krankheiten spezialisiert sind, der Öffentliche Gesundheitsdienst und Allgemeinmediziner müssten nun natürlich über die Affenpocken Bescheid wissen – aber auch die breite Bevölkerung, damit man bei ungewöhnlichen Hautveränderungen an diese Krankheit denke.
Seit einigen Monaten ist das Medikament "Tecovirimat" in der EU zugelassen. Es wird bei Virusinfektionen mit Pocken, Kuhpocken oder eben auch Affenpocken bei Erwachsenen und Kindern mit einem Körpergewicht von mindestens 13 kg eingesetzt. Es hemmt ein bestimmtes Virusprotein in der Interaktion mit Enzymen. Dadurch verhindert es den Austritt infektiöser Viren, die für die Verbreitung des Virus erforderlich sind. Laut RKI ist es bisher jedoch nicht breit verfügbar.
Es gibt zudem einen Impfstoff, noch dazu einen altbekannten: Der Impfstoff gegen die Pocken soll sich auch gegen die Affenpocken zu 85 Prozent als wirksam erweisen – und vor allem gegen schwerere Erkrankungen helfen.
"Die gute Nachricht ist, dass der Pockenimpfstoff gut gegen Affenpocken wirkt", sagte der Epidemiologe Eric Feigl-Ding dem Science Media Center. "Die schlechte Nachricht ist, dass die meisten Menschen unter 45 Jahren nicht gegen Pocken geimpft sind." Die Pocken gelten seit 1980 als weltweit ausgerottet, seither wird in Deutschland nicht mehr dagegen geimpft, im Gegensatz zu anderen Ländern.
Der Mediziner Norbert Brockmeyer gibt für die aktuelle Situation in Deutschland zu bedenken: "Es ist ja leider so, dass wir in Deutschland eine Riesenpopulation haben, die nicht gegen Pocken geimpft worden ist – insbesondere im sexuell aktiven Alter." Das Potenzial an Infektionen durch den Erreger sei damit deutlich größer als etwa noch vor 20 Jahren. Je nach weiterer Entwicklung müsse man erneute Pockenimpfungen in Erwägung ziehen.
Derzeit prüfen auch die deutschen Gesundheitsbehörden, vorsorglich Risikogruppen und Kontaktpersonen mit sogenannten "Ringimpfungen" mit herkömmlichem Pockenvakzin zu impfen.
Nach Aussage des Bundesgesundheitsministerium seien in Deutschland rund 100 Millionen Dosen Pockenimpfstoff eingelagert. Der Pockenvirologe Gerd Sutter sieht das Horten alter Impfstoffvorräte kritisch: "Ich würde den Einsatz des neuen, modernen Impfstoffes bevorzugen. Der hat deutlich weniger Nebenwirkungen, weil er auf einem anderen Prinzip beruht: einem Impfvirus, das sich im Körper nicht vermehren kann. Wie viel wir davon in Deutschland bevorratet haben, weiß ich nicht, ich würde aber empfehlen, auf jeden Fall kleinere Mengen davon für Ringimpfungen bereitzustellen."
Die britische Gesundheitsbehörde UKHSA empfiehlt für enge Kontaktpersonen von Affenpocken-Infizierten eine dreiwöchige Quarantäne. Als hochwahrscheinlich infiziert gelte, wer entweder im selben Haushalt mit einer erkrankten Person lebe, mit einer solchen Geschlechtsverkehr gehabt oder deren Bettwäsche ohne Schutzkleidung gewechselt habe, hieß es in einer Mitteilung am Montag.
In Deutschland gibt es noch keine allgemeinen Empfehlungen für Kontaktpersonen von Affenpocken-Fällen. Man arbeitete derzeit aber daran, teilte das Robert Koch-Institut auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Gesundheitsämter könnten bereits jetzt jederzeit Isolierung und Quarantäne anordnen, so eine Sprecherin.
(mit Material von dpa und afp)