50.294 Menschen sind vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflohen – so viele wurden laut Bundesinnenministerium bisher bei Kontrollen und an Bahnhöfen bis Montagvormittag gezählt. Der Bund will deshalb kurzfristig 5000 zusätzliche Unterkunftsplätze schaffen. Ein Großteil der Geflüchteten wird über die Länder verteilt und untergebracht. Doch immer mehr Menschen möchten helfen und stellen sich mit selbst gebastelten Schildern in Bahnhöfe und an Sammelstellen, auf denen Angebote für eine private Unterbringung der ankommenden Ukrainerinnen und Ukrainer zu lesen sind.
Laut eines Merkblatts der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl aus dem Jahr der großen europäischen Flüchtlingskrise 2015 kann die "Aufnahme von Flüchtlingen in privaten Wohnungen Teil einer zivilgesellschaftlichen Unterstützung der Politik bei der Unterbringung von Flüchtlingen sein", vor allem aber ermögliche sie Flüchtlingen, menschenwürdig zu leben. Den spontanen Reflex helfen zu wollen, kennen gerade viele, angesichts der herzzerreißenden Bilder von Kindern und Frauen, die mit dem nötigsten Hab und Gut in ihren Rollkoffern aus den Zügen an deutschen Bahnhöfen steigen.
Die Solidarität ist hoch, auf der Webseite der Initiative #Unterkunft Ukraine wird eine Zahl von derzeit 287363 zugesagten privaten Betten gelistet (Stand 9. März). Wenn man Flüchtlinge privat aufnehmen will, solle man sich allerdings über die Rahmenbedingungen im Klaren sein und einige Dinge bedenken, so steht es in den Informationen von Pro Asyl. Doch was genau sind die "Rahmenbedingungen"? Was sollte ich beachten, wenn ich privat, in meiner Mietwohnung oder WG Geflüchtete aufnehmen möchte? Und wie kann ich meine Hilfe anbieten? watson hat die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengetragen.
Erstmalig seit sie im Jahr 2001 eingeführt wurde, aktivierten die EU-Innenminister am 4. März 2022 die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie, die damals unter Eindruck des zweiten Balkan-Krieges im Kosovo entstand: Geflüchtete aus der Ukraine erhalten als Vertriebene einen "vorübergehenden Schutz". In Deutschland wird dieser durch das Aufenthaltsgesetz gewährt. Die Aufenthaltserlaubnis (nach § 24 AufenthG) gilt für ein Jahr und kann auf bis zu drei Jahre verlängert werden. Damit müssen Vertriebene aus der Ukraine kein Asylverfahren durchlaufen, ein Asylantrag ist nicht erforderlich. Nötig ist aber ein Antrag auf vorübergehenden Schutz, diesen können Geflüchtete bei der zuständigen Ausländerbehörde einreichen. Vertriebene erhalten die gleichen finanziellen Leistungen wie Asylbewerber, eine selbstständige Tätigkeit ist mit dem Schutzstatus beispielsweise ohne Weiteres möglich.
Auf der Webseite des Bundesinnenministeriums heißt es zudem: "Darüber hinaus wird in Kürze eine Verordnung (...) in Kraft treten, die die legale Einreise und den Aufenthalt ukrainischer Staatsangehöriger und anderer Drittstaatsangehöriger im Zusammenhang mit der kriegerischen Auseinandersetzung unbürokratisch ermöglicht. Diese ermöglicht auch eine Überbrückung der aufenthaltsrechtlichen Situation bis zur Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 24 AufenthG." Denn Menschen, die in der Ukraine studierten oder arbeiteten, aber sicher in ihre Heimatländer zurückkehren können, sind vom EU-Schutzstatus eigentlich ausgeschlossen. Trotzdem sollen sie zunächst nach Deutschland einreisen können.
Wichtige und nützliche Informationen zu Einreise und Aufenthalt, auch in russischer und ukrainischer Übersetzung, bietet die Organisation Pro Asyl auf ihrer Webseite.
Menschen aus der Ukraine müssen für den Impfstatus "geimpft" hier möglicherweise erneut Impfungen erhalten. Nach einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) sind viele Ukrainer kaum oder gar nicht vor dem Coronavirus geschützt: Nur etwa 35 Prozent sind zweimal gegen Covid-19 geimpft, noch weniger haben eine Booster-Impfung erhalten. Dazu kommt: Menschen, die mit nicht in der EU zugelassenen Impfstoffen wie dem russischen "Sputnik V"-Vakzin geimpft sind, benötigen hier eine neue Impfserie. Entsprechend der Empfehlung der Ständigen Impfkommission kann diese vier Wochen nach der letzten Impfung begonnen werden.
Auch wichtig kann ein Test auf Tuberkulose sein, denn diese Infektionskrankheit ist in Osteuropa noch sehr viel weiter verbreitet als in Deutschland. Sollte ein TBC-Test noch nicht von der Registrierung, etwa beim Ankunftszentrum, vorliegen, kann dieser nachgeholt werden.
Ukrainerinnen und Ukrainer dürfen hier wohnen, wo sie möchten. Geflüchtete können auf staatliche oder kommunalen Angebote zurückgreifen, müssen aber nicht. Das heißt, man darf auch als Privatperson legal Geflüchtete aufnehmen. Wer eine Wohngelegenheit anbieten möchte, sollte das im besten Fall organisiert und begleitet durch die Kommune, NGOs oder Vereine tun, die in derlei Dingen Erfahrungen gesammelt haben. Möglichkeiten, wie man eine Unterkunft rasch und unbürokratisch zur Verfügung stellen kann, sowie Antworten auf die wichtigsten Fragen findet man zum Beispiel bei der Initiative #UnterkunftUkraine, WG-Zimmer können bei Zusammenleben Willkommen angeboten werden
Das ist unterschiedlich, die Initiative Zusammenleben Willkommen gibt als Mindestdauer für die Vermittlung eines WG-Zimmers zwölf Monate an. Das Projekt "Flüchtlinge willkommen" vermittelt ab einem Mindestvermietungszeitraum von drei Monaten, auf der Webseite von #Unterkunft Ukraine heißt es, man solle für mindestens zwei bis vier Wochen eine Unterkunft anbieten.
Man sollte als Anbieter einer Privatunterkunft stets im Kopf haben: Da die Ankommenden meist schlimme Kriegs- oder Fluchterlebnisse, den Verlust von Angehörigen, der Heimat, des eigenen Zuhause und jeglicher Sicherheit sowie die Herausforderungen in einem neuen Land zu bewältigen haben, sollte zumindest die neue Bleibe eine gewisse Stabilität bieten.
Als Mieter darf man Geflüchtete für einen gewissen Zeitraum auch ohne vorherige ausdrückliche Erlaubnis des Vermieters aufnehmen. Ein Zeitraum von sechs bis acht Wochen gilt laut Deutschem Mieterbund als "erlaubnisfreier Besuch". Sollte die Beherbergung über diesen Zeitraum hinaus gehen, sei eine Erlaubnis des Vermieters sinnvoll, um keine Kündigung zu riskieren. Anders ist es bei der Untervermietung eines Zimmers an Geflüchtete, hier muss im Mietvertrag vorher die "Untervermietungserlaubnis" gecheckt werden. Der Berliner Mieterverein schreibt hierzu: "Wer als Mieter ein Zimmer oder einen Teil seiner Wohnung an einen (oder mehrere) Flüchtlinge untervermieten will, braucht das schriftliche Einverständnis des Vermieters. Sollte das im Mietvertrag nicht schon enthalten sein, kann man beim Vermieter darum nachsuchen. Im Falle eines sogenannten berechtigten Interesses ist der Vermieter sogar verpflichtet, sein Einverständnis zu geben." Ob das "berechtigte Interesse" im Falle der Aufnahme von Geflüchteten gegeben ist, ist rechtlich nicht letztgültig entscheiden. Hierzu gibt es noch kein Präzedenzurteil. Aus Sicht des Deutschen Mieterbundes reichen humanitäre Beweggründe der Mieter jedoch aus, so dass diese einen Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis des Vermieters haben.
Da es sich um eine Notfallsituation handelt, bestehen grundsätzlich keine besonderen Anforderungen an die Ausstattung. Egal ob man ein richtiges Gästebett, eine Schlafcouch oder nur eine Luftmatratze zur Verfügung stellen kann – laut Initiative #Unterkunft Ukraine geht alles. Allerdings sollte eines bedacht werden: für Menschen, die aufgrund einer Flucht gerade ihr persönliches Zuhause verlassen haben, ist ein wenig Privatsphäre sicher ein wichtiges Gut. Vielleicht brauchen Aufgenommene zunächst auch etwas Zeit, um anzukommen. Wer also als Gastgeber bereits euphorisch gemeinsame Kochabende geplant hat, oder sich lebendigen kulturellen Austausch verspricht, muss möglicherweise Geduld und zwischenmenschliches Fingerspitzengefühl aufbringen.
Enge Zimmervermietungen oder Wohngemeinschaften bringen immer, aber in diesem speziellen Fall besonders, Herausforderungen mit sich. Denn ein vorheriges Kennenlernen der neuen "Mitbewohner" ist aufgrund der akuten Situation wohl meist nicht möglich. Daher gilt: Je enger der zur Verfügung stehende Raum ist, desto wichtiger ist eine gewisse Sensibilität im Umgang miteinander. Wenn es zu Problemen kommt, sei es, so schreibt die Initiative #Unterkunft Ukraine auf ihrer Webseite, "in jedem Fall möglich, die Beherbergung frühzeitig abzubrechen. Da es sich bei der Beherbergung jedoch um eine private Hilfeleistung handelt, bitten wir Helfende, sich eigenständig um eine Lösung zu bemühen."
Ja, der in Kraft getretene besondere EU-Schutzstatus beinhaltet grundsätzlich für Ukrainerinnen und Ukrainer eine Krankenversicherung, ebenso wie das Recht, ihre Kinder hier zur Schule schicken. Für Informationen zur konkreten Inanspruchnahme von Leistungen oder Angeboten kann man sich die örtliche Ausländerbehörde wenden.
Laut Initiative #Unterkunft Ukraine kann man davon ausgehen, dass Menschen aus der Ukraine in der Regel über eigene finanzielle Mittel verfügen. Die Teilung von anfallenden Lebensmittel- oder Energiekosten kann also nach der Ankunft mit den Gästen besprochen werden. Darüber hinaus, was beispielsweise Kleidung betrifft, besteht in der Regel Zugang zu kostenlosen Angeboten der Kommune, der Kirchengemeinde und Hilfsorganisationen.
Psychologisch-medizinischer Beistand oder Übersetzertätigkeit wie zum Beispiel notwendiges Dolmetschen bei Behördengängen wird schnell und unbürokratisch von Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, der Caritas oder Diakonie vor Ort zur Verfügung gestellt. Auch benennen viele der aufgezählten Unterbringungs-Initiativen Ansprechpartner auf Ihren Webseiten, die mit Rat zur Seite stehen können.
(mit Material der afp)