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OECD: Schulen im Corona-Jahr durchschnittlich an 83 Tagen zu – Erfahrungsbericht

A young college student is studying on laptop in a cafe.
Schüler mussten zwischen Hybrid-Unterricht und Homeschooling hin und her wechseln. Das war für viele eine Herausforderung. (Symbolbild)Bild: E+ / recep-bg
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"Ich habe verlernt, zu lernen": Wie Hybrid-Unterricht und Dauerlockdown uns Schüler an die Grenze gebracht haben

16.09.2021, 15:50
Josefina Bickenbach; oskar schmitz
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Das Schuljahr 2020/21 war von Anfang bis Ende von der Corona-Pandemie geprägt. Laut einer aktuellen Bildungsstudie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) waren die Schulen in Deutschland zwischen dem 1. Januar 2020 und dem 20. Mai 2021 im Bereich der gymnasialen Oberstufe durchschnittlich an 83 Tagen geschlossen. Das waren zwar weniger als im Durchschnitt der von der OECD betrachteten Länder (101 Tage), aber dennoch: Die Auswirkungen der Pandemie und der Schulschließungen auf die Bildungsgerechtigkeit bezeichnet die OECD als "Grund zur Sorge". Wie hat sich die Situation für Schülerinnen und Schüler angefühlt? Unsere beiden Autoren haben für uns aufgeschrieben, wie ihr Schuljahr in der 10. Klasse eines Gymnasiums in Aachen für sie war:

Wir kamen nach der ersten Welle der Corona-Pandemie aus den Sommerferien – mit der Hoffnung auf ein besseres Schuljahr. Aber die wurde schon am ersten Schultag erschüttert. Kaum hatte der nämlich seinen Lauf genommen, sprach sich herum, dass eine Mitschülerin aus unserem Jahrgang mit dem Coronavirus infiziert war. Natürlich haben wir dementsprechend besonders gewissenhaft unsere Masken getragen und auf den Mindestabstand im Klassenzimmer geachtet. Trotzdem war unsere Stimmung sofort gedrückt.

Auf den ersten Schreck folgten drei Monate, die gefüllt waren mit den Pausengesprächen, nach denen wir uns im ersten Lockdown so lange gesehnt hatten. Mit Freistunden mit Freunden, tatsächlich lustigem Unterricht und neuen Formen der Vernetzung. Wir haben unsere Zeit zurück in der Schule tatsächlich in vollen Zügen genossen.

Im November endete die neue Normalität

Dann war es vorbei mit der neuen Normalität. Im November wurden zwei Kurse aus unserer Jahrgangsstufe in Quarantäne geschickt, da eine Lehrkraft positiv getestet wurde. Als auf einmal etwa 40 Leute fehlten, war das erstmal ein komisches Gefühl, welches aber später im Hybridmodell zu unserem Alltag werden sollte.

Damit wir uns während der Weihnachtstage möglichst sicher mit unserer Familie treffen können, verbrachten wir die letzte Woche vor den Ferien im Distanzlernen. Schon in diesen wenigen Tagen kamen die ersten Mitschüler an ihre Grenzen. Doch das war nur der Anfang einer langen Durststrecke. Die zweite Pandemiewelle rollte über das Land. Aus dem vermeintlich früheren Ferienbeginn wurde ein drei Monate langer Lockdown, den wir lediglich im Distanzunterricht verbrachten.

Wann würden wir zum Hybridunterricht zurückkehren – und zumindest teilweise wieder in der Klasse lernen können? Woche für Woche wurden unterschiedliche Daten angepeilt, an denen es soweit sein sollte. Das nordrhein-westfälische Schulministerium schob den Termin immer weiter. Dazu kam: Die Regelungen für unseren Unterricht passten nicht zu unserem Alltag in der Pandemie. Wir Schülerinnen und Schüler merkten, dass viele, die in der Politik über Bildung entscheiden, zu weit weg von den Schulen sind. Dass sie in der Umsetzungen ihrer Entscheidungen eingeschränkt sind und nicht direkt auf den Schulalltag im Jahr 2021 Einfluss nehmen können.

Die Leistungsnachweise etwa passten gar nicht zur Pandemiezeit: Uns wurden wöchentliche Aufgaben zur Abgabe erteilt, anstatt uns projektorientiert arbeiten zu lassen – was einfach besser zu dieser Sondersituation gepasst hätte. Wir bearbeiteten teilweise eingescannte Buchseiten mit Texten und Aufgaben. Das ist schon im Präsenzunterricht reine Fleißarbeit, die keinen Spaß macht. Es wäre deutlich einfacher gewesen, sich zu motivieren, hätte man Langzeitprojekte gehabt, an denen man mit den Mitschülern zusammenarbeiten gedurft hätte.

"Müsst ihr bei ihm die Kamera anmachen?"

Wie müde uns der Distanzunterricht machte, merkte man an den Gesprächen untereinander. Wenn wir uns über die verschiedenen Lehrer und ihre Methoden im Fernunterricht unterhielten, fiel fast immer die Frage: "Müsst ihr bei ihm die Kamera anmachen?"

Da es dazu keine Vorgaben gab, konnten die Lehrer uns nicht dazu verpflichten und uns oft nur schwer auffordern, unsere Kamera einzuschalten. Das führte dazu, dass immer mehr von uns während des Unterrichts im Bett lagen, nebenbei Netflix guckten oder die Zeit auf sozialen Netzwerken totschlugen.

Den Lehrern merkte man die Anstrengung auch an

Den Lehrern fiel es natürlich genauso schwer, wochenlang mit einer Klasse aus schwarzen Kacheln in einer Videokonferenz-Software zu sprechen. Auch ihnen merkte man an, wie sehr die Situation sie belastete. Von den Lehrern kam mit der Zeit kaum noch Initiative, die Videokonferenzen interessanter zu gestalten. Weil jeder Lehrer unterschiedlich mit der Situation umgegangen ist, war es eine zusätzliche Herausforderung, zu verstehen, in welchem Fach welcher Einsatz nötig war.

Klausuren zwei Tage vorher abgesagt

Besonders problematisch war aus unserer Sicht die Leistungsbewertung. Es gab durchaus Vorschläge zu alternativen Prüfungsformaten. Sie wurden aber abgelehnt, nicht nur von unserer Schule – sondern auch, weil sie in unserer Jahrgangsstufe gemäß den Richtlinien des Ministeriums gar nicht erlaubt waren. Das sollte sich unbedingt ändern – auch in der Zeit nach Corona.

Denn Klausuren allein können es nicht mehr sein. Bei uns lief das so: Als geplant war, dass wir nur in die Schule kommen sollten, um zweistündige Klausuren zu schreiben, versuchten wir alle, uns so gut wie möglich darauf vorzubereiten. Das fiel uns schwer, aber nach den Videokonferenzen mussten wir einen Weg finden, unsere Noten sicherzustellen. Als wir dann alle mehr oder minder bereit für die Klausurenphase waren, wurde sie schließlich zwei Tage vor Beginn komplett abgesagt. Wer hätte vor der Corona-Pandemie jemals gedacht, dass wir uns mal über eine vorerst verschobene Klausur ärgern würden – oder darüber, unnötig zu viel gelernt zu haben?

Mit der Rückkehr zum Hybridmodell haben viele aufgegeben

Nach den Osterferien durften wir schließlich dank eines Hybridmodells in die Schule zurückkehren. Die Stufe wurde in der Hälfte geteilt, je eine Gruppe war erst eine Woche lang zu Hause, dann eine vor Ort in der Klasse. Wir haben uns alle sehr gefreut, unsere Mitschüler nach so langer Zeit wiederzusehen. Endlich wieder in eine Art Alltag zu kommen, war sehr angenehm.

20.04.2021, Hessen, Gro
Nach den Osterferien gab es in vielen Bundesländern Hybrid-Unterricht mit Testkonzepten.Bild: dpa / Sebastian Gollnow

Doch es lief alles andere als glatt. Da im Präsenzunterricht einiges aufgeholt werden musste, lag der Fokus der Lehrer immer auf der aktuellen Präsenzgruppe. Die jeweilige Distanzgruppe hatte das Gefühl, völlig zurückgelassen zu werden. Die Lehrer konnten sich kaum Gedanken darüber machen, ob dasselbe Arbeitspensum für eine Stunde in Präsenz genauso angemessen war wie für eine Stunde in Distanz. Das war es leider nicht.

"Wir mussten dabei zuschauen, wie unsere Mitschüler durch den Klassenraum schrien, damit wir sie zu Hause verstehen. Denn pro Raum gab es nur ein einziges Mikrofon."

Wer vorher noch gut klargekommen war, gab spätestens dann auf, als Unterrichtsstunden aus der Schule per Videokonferenz nach Hause gestreamt wurden. Wir mussten dabei zuschauen, wie unsere Mitschüler durch den Klassenraum schrien, damit wir sie zu Hause verstehen. Denn pro Raum gab es nur ein einziges Mikrofon.

Plötzlich erfuhren wir: In fünf Tagen müsst ihr die Klausuren schreiben

Nachdem die Klausurenphase während des Distanzunterrichts abgesagt worden war, gingen wir alle davon aus, im letzten Quartal in den absoluten Lernstress zu geraten. Da die Inzidenz der Corona-Fälle aber lange hoch blieb, durften wir auch nach Ostern noch nicht in den kompletten Präsenzunterricht zurückkehren. Lange war es umstritten, wie viel Zeit man in der Schule verbracht haben musste, um an einer Klausur teilnehmen zu dürfen. Im Zusammenhang mit den unberechenbar schwankenden Corona-Zahlen wurde der vorläufige Klausurplan ständig verändert. Am Ende gab es fünf unterschiedliche Klausurpläne auf einmal. Hier den Überblick zu behalten, war also schlichtweg unmöglich.

Dann der Schock. Fast beiläufig sagte unser Mathelehrer eines Tages: "Das ist jetzt der endgültige Klausurplan." Uns reichte ein Blick auf das Dokument, um zu verstehen: Fünf Tage später, an einem Montag, sollten wir die erste Klausur schreiben. Das mag erstmal machbar klingen. Das Problem: Für Dienstag und Mittwoch waren bereits zwei weitere Klausuren geplant. Dabei war das erst der Anfang. Es folgten drei Wochen voller Stress. Jede Beschwerde bei der Schule half nichts: Drei Klausuren pro Woche sind nach dem Ministerium erlaubt. Und wieder wurden keine alternativen Prüfungsformate genehmigt.

Wir mussten es also angehen und versuchen, in so kurzer Zeit den gesamten Stoff in unsere Köpfe zu bekommen. Auch schon unter normalen Umständen hätten wir vermutlich gemerkt, wie vollständig aus der Übung wir waren.

"Ich habe verlernt zu lernen."

"Ich habe verlernt, zu lernen", hat eine Mitschülerin gesagt und uns allen damit aus der Seele gesprochen. Ein halbes Jahr lang hatten wir jetzt keine Klausur mehr geschrieben. Keine und keiner wusste mehr so richtig: Wie ging das nochmal mit der Vorbereitung? Dazu kam: Wir waren immer noch im Hybridunterricht. Von unseren Lehrern konnten wir also wenig Hilfe erwarten. Diese drei Wochen bedeuteten selbst für die vermeintlichen starken Schüler merklich großen Stress. Das merkte man dann auch an den Leistungen.

„Es liegt uns sehr am Herzen, andere zu schützen und uns den Risikogruppen gegenüber solidarisch zu zeigen. Aber es ist in dieser Krisensituation äußerst problematisch, wie wenig politische Entscheidungen mit dem Schulalltag kompatibel sind – egal ob in Präsenz- oder im Distanzunterricht.“

Lehren aus der Pandemie: Das System Schule muss neu gedacht werden

Für uns zeigen diese Erfahrungen aus der Pandemiezeit: Viele Regeln an der Schule, etwa die zur Leistungsüberprüfung, sind überholt. Es müssen Vorgaben her, wie Distanzlernen gehen soll, damit sich im Online-Unterricht niemand zurückgelassen fühlt.

Es liegt uns sehr am Herzen, andere zu schützen und uns den Risikogruppen gegenüber solidarisch zu zeigen. Aber es ist in dieser Krisensituation äußerst problematisch, wie wenig politische Entscheidungen mit dem Schulalltag kompatibel sind – egal ob in Präsenz- oder im Distanzunterricht.

Als alle Klausuren endlich geschafft waren, brachen auch schon die letzten Wochen vor den Sommerferien an. Auch in diesem ungewöhnlichen Jahr, das mehr einer Achterbahnfahrt als einem gelungenem Einstieg in die Oberstufe glich, bestanden sie fast nur noch aus Eisessen gehen und Filme gucken.

Nie schien uns diese ruhigere Zeit zum Schuljahresende so verdient wie in diesem Jahr. Nach allem, was wir Schülerinnen und Schüler durchgestanden haben. Wir hoffen, dass im kommenden Schuljahr alles erträglicher wird.

Bär, Wolf, Löwe oder Delfin: So ticken die verschiedenen Schlaftypen

Lieber Frühaufsteher oder Morgenmuffel? Beim Thema Schlaftypen wird klassicherweise zwischen zweit Typen unterschieden. Die sogenannten Lerchen gehen lieber früh ins Bett und sind morgens fit für den Tag. Das komplette Gegenteil sind die Eulen: Sie sind nachtaktiv und planen ihre Termine vorzugsweise später ein. Es gibt aber noch ein weniger bekanntes System, um die verschiedenen Schlaftypen – auch Chronotypen genannt – zu beschreiben. Demnach ist jeder Mensch entweder ein Bär, Wolf, Löwe oder Delfin.

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