Whatsapp, Instagram, Tiktok – viele Kinder und Jugendliche sind heutzutage überall und jederzeit vernetzt. Die Kommunikation im Freundeskreis oder mit Mitschülern verläuft oftmals über soziale Netzwerke, was wohl vor allem in Zeiten der Corona-Pandemie ein Vorteil war und ist.
Doch immer wieder tritt auch die Schattenseite dieser digitalen Welt zum Vorschein: Fast jeder sechste Heranwachsende im Alter zwischen acht und 21 Jahren war schon von Mobbing im Internet betroffen. Das geht aus einer Studie vom Bündnis gegen Cybermobbing aus dem Jahr 2020 hervor.
Demnach waren in absoluten Zahlen bereits zwei Millionen Kinder und Jugendliche Opfer von Cybermobbing. Sie waren vor allem mit Beschimpfungen und Beleidigungen sowie Gerüchten und Verleumdungen konfrontiert. Infolgedessen haben laut der Studie ein Viertel der Betroffenen Suizidgedanken geäußert, ungefähr jeder Fünfte griff aus Verzweiflung zu Alkohol und Tabletten.
Damit diese erschreckenden Zahlen nicht weiter steigen, ist der 16-jährige Lukas Pohland Ende Mai mit der Online-Plattform "Cybermobbing-Hilfe" an den Start gegangen. Bereits mit 14 Jahren hat er den gleichnamigen Verein gegründet, nachdem er selbst im Netz gemobbt worden war.
Nun stehen der Schüler und ein neunköpfiges Team von Ehrenamtlichen bereit, um gleichaltrige Betroffene von Cybermobbing zu beraten und Präventionsarbeit zu leisten.
Pohland hat vor Kurzem die Realschule abgeschlossen und will nun noch sein Abitur machen. Im Interview mit watson erklärt der 16-Jährige, was er Cybermobbing-Betroffenen rät, wie er zu Social Media steht und welche persönlichen Erfahrungen er in der Vergangenheit machen musste.
Watson: Lukas, wie hast du den Start eurer Online-Plattform "Cybermobbing-Hilfe" und das Medienecho erlebt?
Lukas Pohland: Es war für uns sehr schön, dass das Thema so präsent im öffentlichen Raum stand. Denn unser Ziel ist es, so vielen Kindern und Jugendlichen wie möglich zu helfen. Dafür müssen sie aber erst einmal auf das neue Angebot aufmerksam gemacht werden.
Wie funktioniert die Plattform? Wie läuft eine Beratung ab?
Man kann sich sehr niedrigschwellig bei uns registrieren. Es ist nur ein Benutzername und Passwort nötig, alle andere Angaben sind freiwillig. Dadurch hat man ein komplett anonymes Hilfsangebot, bei dem man seine Sorgen, Ängste und Probleme schildern oder konkrete Fragen stellen kann. Wir haben in jedem Fall ein offenes Ohr und können ein erster Ansprechpartner sein. Vielen Betroffenen fällt es nämlich am Anfang schwer, sich persönlich Hilfe vor Ort zu suchen. Oder sie haben nicht die Hilfe gefunden, die sie sich gewünscht hätten. Da versuchen wir immer wieder Mut zu machen, aufzubauen und zu helfen, das richtige Hilfsangebot zu finden.
Wie schnell könnt ihr den Betroffenen helfen?
Die erste Antwort von uns gibt es innerhalb von 24 Stunden. Dann wird ein fester Berater zugewiesen, der sich dann um die Person kümmert.
Was sind die Folgen von Cybermobbing für Kinder und Jugendliche?
Cybermobbing geht an niemandem spurlos vorbei. Es macht jeden betroffen, den einen mehr, den anderen weniger. Aber wenn es systematisch über mehrere Wochen oder Monate hinweg passiert, dann können schwerwiegende psychische Probleme entstehen. Das kann so weit führen, dass manche Betroffene Ängste oder Depressionen entwickeln. Neue Studien zeigen, dass jeder Vierte, der von Cybermobbing betroffen ist, Suizidgedanken hat. Das sind wirklich dramatische Auswirkungen!
Wie unterscheidet sich Cybermobbing von "normalem" Mobbing?
Cybermobbing ist klassisches Mobbing, das sich in den digitalen Raum verlagert hat. Es gibt kein soziales Netzwerk, das frei davon ist. Deshalb sind die Angriffe auch sehr vielfältig. Die Bandbreite reicht von vermeintlich harmlosen Beleidigungen über schlimme Drohungen bis zur Veröffentlichung privater Fotos und Videos, die die Betroffenen immer wieder traumatisieren können.
Die Folgen von Cybermobbing können Betroffene also für den Rest ihres Lebens verfolgen?
Genau, das ist das besonders Gefährliche bei Cybermobbing: Das Internet vergisst nicht. Egal ob Drohungen, Bilder oder Videos – die Sachen bleiben immer bei Tätern oder Mitläufern auf dem Handy. Teils stehen sie sogar öffentlich zugänglich im Internet und können dadurch immer wieder auftauchen. Gerade wenn man als Kind oder Jugendlicher Cybermobbing erfahren hat, kann man später sogar noch im Berufsleben damit konfrontiert werden. Das ist besonders dramatisch, weil man dem Ganzen nicht durch einen Schulwechsel oder Umzug entkommen kann.
Sollte man sich also lieber von Social Media verabschieden?
Man muss ganz klar sagen, dass soziale Medien zum Leben dazugehören. Deswegen macht es meiner Meinung nach keinen Sinn, darüber zu philosophieren, ob es sinnvoll ist, Abstand davon zu nehmen, nur um nicht von Cybermobbing betroffen zu sein oder nicht zum Täter zu werden. Man sollte seine eigene Mediennutzung zwar kritisch hinterfragen, meines Erachtens ist es aber wichtiger, schon in der Präventionsarbeit anzusetzen. Nur weil man soziale Medien viel und gerne konsumiert, gibt es kein Recht darauf, Cybermobbing-Täter zu werden.
Woran liegt das überhaupt, dass Menschen zu Cybermobbern werden?
Die Motive sind ganz unterschiedlich. Was aber erstaunlich ist, ist, dass ganz viele Täter aus Spaß mobben. Das ist erschreckend, weil es den Betroffenen natürlich keinen Spaß bereitet. Da greift häufig eine Gruppendynamik, wenn mehrere Personen, auf einen oder mehrere Schwächere losgehen. Zum anderen gibt es aber auch ehemalige Betroffene, die zu Tätern werden, weil sie sich zum Beispiel gegen Mobbing wehren möchten.
Was ratet ihr Betroffenen?
Der erste Rat ist immer: Such dir Hilfe! Wenn man sich an uns wendet, ist der erste Schritt also schon getan, aber auch lokal muss es Hilfsangebote geben. Zweitens ist es wichtig, dass man auf die Angriffe nicht direkt reagiert, weil man dem Täter dadurch neue Angriffsfläche liefern kann. Drittens ist es wichtig, die Attacken zu dokumentieren und so Beweise zu sichern. Das kann zum Beispiel in Form von Screenshots geschehen oder indem man ein Mobbing-Tagebuch führt.
Das ist wichtig, weil man es danach zur Anzeige bringen kann?
Genau, wenn man es später anzeigen möchte oder muss, ist es natürlich wichtig, etwas in der Hand zu haben.
Wer steckt hinter eurem Beratungsteam?
Wir sind zehn ehrenamtliche Jugendliche zwischen 15 und 21 Jahren, die beraten. Darunter sind Menschen, die schon selbst von Cybermobbing betroffen waren, aber auch solche, die es in ihrem Umfeld mitbekommen haben oder sich einfach engagieren möchten. Das ist ein großes Alleinstellungsmerkmal unserer Plattform, dass wir durch unser Alter und unsere eigenen Erfahrungen so nah am Thema sind.
Ihr bietet also eine Beratung auf Augenhöhe an?
Ja, es fällt natürlich einfacher, sich an jemanden zu wenden, der etwas von dem Thema versteht und damit letztlich auch aufgewachsen ist.
Du selbst musstest auch Erfahrungen mit Mobbing im Internet machen.
Ja, ich war auch von Cybermobbing betroffen, nachdem ich einer Mitschülerin geholfen habe, die im Internet gemobbt wurde. So wurde ich letztlich selbst zur Zielscheibe. Ich wurde beleidigt und bedroht – teilweise anonym, teilweise mit Klarnamen – und das wurde zum Teil auch öffentlich verbreitet zusammen mit unseren Adressen. Es war eine schwierige Zeit.
Und wie ging es weiter?
Die Geschichte hat dann ein unschönes Ende genommen. Aufgrund der Angriffe hat meine Mitschülerin die Schule gewechselt. Das ist natürlich unschön, weil so am Ende die Täter gewonnen haben, aber die Mitschülerin hat keinen anderen Ausweg gesehen.
Damit das nicht mehr so häufig passiert, ist die Plattform an den Start gegangen. Was ist euer Ziel?
Unser Ziel ist es, dass jeder Schüler, der von Cybermobbing betroffen ist, eine erste Hilfe bei uns finden kann. Uns ist es ein großes Anliegen, den Betroffenen zu helfen und schnell und effektiv erreichbar zu sein. Deswegen versuchen wir unser Angebot jetzt auch bekannter zu machen, damit wir möglichst vielen Menschen helfen können.