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Erzieherin: "Kindergarten stellt für 'Corona-Kinder' große Herausforderung dar"

Viele Kinder in der Kita haben sich mit der Pandemie arrangiert und beziehen sogar die Maske mit ins Spiel ein. (Symbolbild)
Viele Kinder in der Kita haben sich mit der Pandemie arrangiert und beziehen sogar die Maske mit ins Spiel ein. (Symbolbild)Bild: iStockphoto / lithiumcloud
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Erzieherin über die jüngsten Kita-Kinder: "Als sie anfingen, ihre Umwelt aktiv wahrzunehmen, kam schon der erste Lockdown"

16.11.2020, 16:4216.11.2020, 20:49
lena m.
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Lena M. (Name von der Redaktion geändert) arbeitet in einem kirchlichen Kindergarten in Nordrhein-Westfalen. Die meisten Kinder haben sich gut an die Corona-Regeln angepasst, erzählt die 23-Jährige: Einen Unterschied beobachtet sie allerdings bei den jüngsten Kindern, die wegen der Pandemie praktisch von Geburt an kaum Kontakt zu Menschen außerhalb dem engsten Familienkreis hatten.

Über den Corona-Alltag als Erzieherin, die Annahme, dass Kindergärten keine Infektionsherde seien und die Kritik, dass junge Menschen sich nicht an die Maßnahmen hielten, berichtet Lena bei watson.

"Selbst wenn du eine Maske trägst, sehe ich ja an deinen Augen, dass du lächelst."

Wenn die Kinder morgens in den Kindergarten kommen, freuen sie sich, mich zu sehen – daran, dass ich einen Mund-Nasen-Schutz trage, haben sie sich gewöhnt. Ein Kind sagte vor Kurzem zu mir: "Selbst wenn du eine Maske trägst, sehe ich ja an deinen Augen, dass du lächelst." Die Corona-Pandemie zeigt uns: Die Jüngsten unter uns sind anpassungsfähiger, als wir manchmal glauben.

Ich arbeite mittlerweile seit fünf Jahren als Erzieherin, inklusive meiner Ausbildung. Momentan bin ich in einer U3-Gruppe, das heißt also, ich betreue unsere jüngsten Kinder bis drei Jahre. Und obwohl auch die meisten von den ganz Kleinen prima bei den Corona-Maßnahmen mitziehen: Die aktuelle Situation ist natürlich alles andere als gewöhnlich.

watsons Reihe: Wie junge Menschen durch die Corona-Krise helfen
Seit Beginn der Pandemie stehen vor allem junge Leute häufig in der Kritik, sich nicht an die Corona-Maßnahmen zu halten. Deswegen gibt watson jungen Erwachsenen eine Stimme – und zeigt, wie sie helfen, die Corona-Zeit zu überstehen.

Teil 1: Junge Pflegerin: "Merkel scheint alle jungen Leute in eine Schublade zu stecken"
Teil 2: Junge Klinikmitarbeiterin: "Wenn ich Corona-Leugner sehe, denke ich an meine Patienten"
Teil 3: Junge Lehrerin über Corona: "Manche Leute haben Angst, sich mit mir zu treffen"

Eltern dürfen die Kita nicht mehr betreten

Wenn die Eltern ihre Kinder morgens in die Kita bringen, müssen sie, genauso wie wir, eine Maske tragen. Derzeit ist es so, dass die Eltern ihre Kinder an der jeweiligen Gruppentür zum Außengelände übergeben, um die Enge in den Fluren zu vermeiden. Nur für Entwicklungsgespräche betreten die Eltern den Kindergarten. Hierfür nutzen wir nun mit viel Abstand die Turnhalle und alles wird genauestens dokumentiert.

Zwischenzeitlich durften wir die Gruppen nicht miteinander mischen, auch draußen nicht. Wir haben dann einzelne Bereiche mit Absperrbändern markiert, damit die Kinder bei ihren jeweiligen Gruppen bleiben. Aber auch daran haben sie sich prima gehalten: Die Kinder haben sich dann einfach mit großem Abstand über die Absperrbänder hinweg unterhalten.

"Es ist wirklich prima, wie die Kinder das machen – da könnte sich manch ein Erwachsener etwas von ihnen abschauen."

Auch beim Spielen merkt man, wie die Kinder sich an die Situation gewöhnt haben: Wenn sie zum Beispiel Einkaufen spielen, ist klar, dass man erst eine Maske anziehen muss, bevor man den Supermarkt betreten darf. Selbstverständlich wurden diese auch zuvor von den Kindern eigenständig ohne Zutun von uns Erziehern gebastelt. Es ist wirklich prima, wie die Kinder das machen – da könnte sich manch ein Erwachsener etwas von ihnen abschauen.

Lediglich bei den ganz kleinen Kindern, die nun eingewöhnt werden, ist es ein wenig schwieriger als üblich: Das sind Kinder, die teilweise erst Ende vergangenes Jahr geboren sind. Als sie anfingen, ihre Umwelt aktiv wahrzunehmen, kam schon der erste Lockdown: Und damit sind natürlich Krabbelgruppen, Ausflüge auf den Spielplatz oder zu Familienmitgliedern flachgefallen. Der Kindergarten stellt für diese "Corona-Kinder" – auch wenn dieser Ausdruck wahrscheinlich politisch nicht ganz korrekt ist – eine etwas größere Herausforderung dar, merke ich. Sie müssen sich überhaupt erst einmal dran gewöhnen, andere Kinder und Erwachsene um sich herum zu haben. Das fällt ihnen weitaus schwerer als den Kindern, die schon früh einen Zugang zur sozialen Interaktion außerhalb der engsten Familie hatten.

Wir waren schockiert, als es hieß: Kitas sind keine Infektionsherde

Natürlich können Kinder im Kita-Alltag nicht an alles denken. Sie beherrschen die Hust- und Niesetikette nicht vollständig, nehmen vieles in den Mund – selbstverständlich kann es da schnell passieren, dass Krankheitserreger übertragen werden, das ist einfach so bei kleinen Kindern. Deswegen waren wir Erzieher und Erzieherinnen auch so schockiert, als es vonseiten der Politik hieß: Kindergärten und Schulen sind keine Infektionsherde.

"Trotz strenger Hygienevorschriften, die wir auch außerhalb der Pandemie haben, ist es ganz normal, dass sich Krankheiten in der Kita schnell übertragen."

Das stimmt unserer Meinung und unserer Erfahrung nach so nicht: Trotz strenger Hygienevorschriften, die wir auch außerhalb der Pandemie haben, ist es ganz normal, dass sich Krankheiten in der Kita schnell übertragen. Das liegt einfach daran, dass viele Kinder auf engerem Raum miteinander spielen und toben. Spielzeug wird geteilt, die Köpfe zusammengesteckt und nicht selten die Schnupfnase am Ärmel abgewischt. Da passiert es zwangsläufig, dass sich Infektionen schnell verbreiten. Jedes Elternteil, dass sein Kind die ersten Male in den Kindergarten gebracht hat, wird davon ein Lied singen können: Häufig sind die lieben Kleinen erst einmal krank. Auch jetzt haben bestimmt die Hälfte der Kinder in meiner Gruppe eine Schnupfnase. Denn nachdem sie zur 24-stündigen Beobachtung Zuhause geblieben sind und keine weiteren Symptome aufweisen, dürfen sie wiederkommen.

Bestätigte Corona-Fälle hatten wir zum Glück noch nicht. Allerdings sind auch nicht alle Verdachtsfälle, die es bei uns gab, getestet worden, obwohl es positive Corona-Fälle in den Familien gegeben hat. Das Vorgehen vom Gesundheitsamt dazu ist ziemlich ausweichend und zum Teil auch etwas schwammig. Das Kind soll im Fall eines Corona-Verdachts einfach zwei Wochen zu Hause bleiben und danach wiederkommen. Ob das Kind je Corona hatte und damit im Kindergarten war – das erfahren wir nicht. So werden die Kindergärten nun mal offengehalten, nur in den offensichtlichsten Fällen werden Gruppen geschlossen. Natürlich verstehen wir hierbei die Nöte der Eltern, aber ob das so richtig ist, auch im Hinblick auf die anderen Familien und uns Erzieher, wissen wir nicht.

Einzelne Altersgruppen wegen Corona zu beschuldigen, finde ich schwierig

Ich selbst versuche mittlerweile wieder, meine privaten Kontakte zu reduzieren. Da ich jeden Tag sowieso mit über fünfzig Familien zu tun habe, fände ich es eigenartig, privat niemanden mehr treffen zu dürfen. Ich achte allerdings darauf, pro Wochenende nur eine Person zu treffen. Spieleabende mit acht Freunden oder gar Feiern kommen für mich nicht mehr infrage. Insofern kann ich die Kritik an jungen, angeblich ständig Partys feiernden Menschen nicht ganz nachvollziehen: Sicherlich gibt es Menschen in meinem Alter, aber auch ältere, die sich nicht an die Corona-Maßnahmen halten. Ich selbst zähle mich aber nicht dazu und finde es auch schwierig, da eine einzelne Altersgruppe zu beschuldigen.

"Ich bin dankbar, dass die Kinder sich größtenteils so gut an die Lage anpassen und die Eltern auch Verständnis für uns zeigen."

Wie es bei uns im Kindergarten mit Corona nun weitergeht, wird sich noch zeigen. Ich bin jedenfalls unglaublich froh darüber, dass wir nun zusätzliche Alltagshelfer haben, die uns dabei unterstützen, Spielzeug abzuwaschen sowie Lichtschalter und Telefonhörer zu desinfizieren – das ist eine enorme Hilfe. Auch bin ich dankbar, dass die Kinder sich größtenteils so gut an die Lage anpassen und die Eltern auch Verständnis für uns zeigen: Sie wissen, dass die Pandemie für alle schwierig ist, aber sie verstehen auch, dass wir Erzieher nicht die Schuldigen sind.

Protokoll: Agatha Kremplewski

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