Die Gletscher- und Eismassen schmelzen linear zum Anstieg der globalen Temperaturen, zeigt eine neue Studie.Bild: NurPhoto / NurPhoto
Analyse
06.01.2023, 15:4517.04.2023, 17:31
Die globale Temperatur der Erde steigt, die Gletscher schmelzen. Und das immer schneller. Eine neue im Fachjournal "Science" veröffentlichte Studie zeigt nun, dass selbst im günstigsten Falle – nämlich wenn der Temperaturanstieg auf 1,5 Grad begrenzt wird – ein großer Teil der Gletscher verschwinden wird.
Rund die Hälfte der etwa 215.000 in der Studie berücksichtigten Gletscher dürften demnach bis zum Jahr 2100 schmelzen. Besonders davon betroffen sind Gletscher in den mittleren Breiten und den europäischen Alpen.
Der Zanfleuronpass in den Schweizer Alpen war über 2000 Jahre mit Schnee und Eis bedeckt, jetzt liegt die Erde frei. Bild: AFP / FABRICE COFFRINI
Gletscherschmelze hängt linear mit globaler Temperaturerhöhung zusammen
Der Studie zufolge steht das Schmelzen der Gletscher in linearem Zusammenhang mit dem Anstieg der globalen Temperatur.
Bei einem Anstieg um zwei Grad, dem im Pariser Abkommen vereinbarten Ziel für die maximale Erwärmung, könnten gar bis zu 70 Prozent der Gletscher bis zu einer Größe von einem Quadratkilometer verschwinden. Von den Gletschern zwischen einem und zehn Quadratkilometern Größe würden knapp 20 Prozent komplett abschmelzen.
Nach derzeitigem Stand der Klimazusagen steuert die Welt allerdings auf eine globale Durchschnittstemperatur von 2,7 Grad zu. In vielen Regionen würden die Gletscher dann nahezu ganz verschwinden. Denn bei Gletschern handelt es sich um große Massen aus Schnee und Eis, die, wenn sie schmelzen, in Sturzbächen in Richtung Tal strömen.
"Jedes Zehntelgrad weniger Erwärmung zählt, um das weitere Abschmelzen einzudämmen."
Glaziologe und Co-Autor der Studie Fabien Maussion
"Die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine Erwärmung von über 1,5 Grad erreichen, ist hoch. Aber es ist immer noch Zeit für einen Kurswechsel", sagt Fabien Maussion gegenüber watson. Er ist Glaziologe am Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften an der Universität Innsbruck und Co-Autor der Studie. Er betont: "Jedes Zehntelgrad weniger Erwärmung zählt, um das weitere Abschmelzen der Gletscher einzudämmen."
Wasserknappheit, steigende Meeresspiegel, veränderte Flora und Fauna
Die Folgen der Gletscherschmelze sind zahlreich – und dramatisch: Die größte unter ihnen ist wohl der Meeresspiegelanstieg, weil das Schmelzwasser der Gletscher in die Ozeane läuft. Das ist auch deshalb problematisch, weil Gletscher natürliche Süßwasserspeicher sind. "Sie sind vor allem in trockenen, heißen Sommermonaten nützlich, wenn es keine andere Wasserquelle gibt", erklärt Glaziologe Maussion.
Eine Gletscherschmelze bedeutet zwar nicht, dass es kein Süßwasser mehr gibt, wohl aber, dass das Wasser nicht kommt, wenn es gebraucht wird: nämlich in Phasen der Dürre und extremen Trockenheit.
"Jedes Zehntelgrad weniger verringert die Wahrscheinlichkeit, Kipppunkte im Erdsystem zu erreichen."
Glaziologe und Co-Autor der Studie Fabien Maussion
Die schmelzenden Gletscher aber bringen auch weitere Gefahren mit sich. In Peru etwa, wo sich 71 Prozent der tropischen Gletscher weltweit befanden, ist das mächtige Gletschereis in vielen Hochgebirgsgipfeln bereits geschmolzen. Die Überbleibsel: Wasser und Geröll. Durch die steigenden Temperaturen lösen sich Eisbrocken, ganze Lawinen brechen in die Dörfer herein – und zerstören diese.
Einst war dies ein mit Eis und Schnee bedeckter Gletscher, jetzt grasen hier Tiere. Bild: AFP / LUKA GONZALES
Doch der Verlust der Andengletscher birgt nicht nur schwerwiegende Folgen für die Region selbst, sondern auch weit darüber hinaus: Die Bedingungen des Klimas in Peru und den Anden haben Einfluss auf großräumige Luftströmungen und Wetterlagen, die bis ins Amazonasgebiet reichen. Schmelzen sie, könnte eine kritische Grenze überschritten werden.
Die Folge: Das System organisiert sich um, kippt – und zwar unumkehrbar. Im schlimmsten Falle könnte dies gefährliche Dominoeffekte auslösen.
Maussion betont daher immer und immer wieder die Haupterkenntnis ihrer Studie: "Jedes Zehntelgrad weniger verringert die Wahrscheinlichkeit, Kipppunkte im Erdsystem zu erreichen."
Ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt.
Folgen der Gletscherschmelze in Deutschland und Europa
Doch nicht nur in Gebieten wie Südamerika oder Hochasien drohen Naturkatastrophen aufgrund der Gletscherschmelze, auch Deutschland und viele weitere Regionen Europas sind davon betroffen. "Der Tourismus in den Alpen ist davon etwa betroffen – Gletscherskigebiete und Tourismusorte müssen sich heute schon an den Gletscherrückzug anpassen", erklärt Glaziologe Maussion.
Und auch Überschwemmungen aufgrund des steigenden Meeresspiegels sind längst ein Thema, auf das sich auch die Studie bezieht. Maussion ergänzt:
"Küstengebiete verschwinden schon jetzt durch Erosionen. Allerdings sind die EU-Länder gut gerüstet und reich genug, um Schutznahmen wie etwa Deiche zu errichten. Aber das bedeutet nicht, dass Deutschland die Folgen nicht zu spüren bekommen wird: Die globale Erwärmung und der Meeresspiegelanstieg führen zu einem Anstieg von Armut, zu Hungersnöten und Konfliktpotenzial mit globalen Auswirkungen."
Die Forschenden unterstreichen in der Studie dennoch, dass umfassende Klimaschutzmaßnahmen auf globaler Skala mittelfristig dazu beitragen könnten, die Gletscherschmelze zumindest zu verlangsamen. Retten könne man die Gletscher zwar nicht mehr, aber zumindest die negativen Folgen würden sich verringern.
Maussion ergänzt daher: "Wir brauchen einen kompletten Wechselkurs, was unsere Emissionen angeht, wir müssen die globalen Emissionen wirklich deutlich stärker reduzieren."
(Mit Material der dpa)
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