Der Sommer schreitet voran, die Sommerferien stehen langsam aber sicher vor der Tür. Und damit für viele auch eine Urlaubsreise. Ein beliebtes Touristen-Ziel ist da die Nordsee. Ob auf deutschen Inseln wie Helgoland und Sylt oder an Küstenabschnitten im Ausland – Tourist:innen können sich nicht nur auf weite Strände, sondern auch auf eine Abkühlung im Meer freuen.
Wobei: Nach Abkühlung sieht es dort bei genauerem Hinsehen derzeit nicht aus. Denn Klimaexpert:innen beobachten in den letzten Wochen starke Veränderungen der Oberflächentemperatur der Nordsee.
Und die Erhitzung der Meere zeigt eine klare Richtung. Das hat gravierende Gründe – und kann auch gefährliche Auswirkungen für die Urlauber:innen und Menschen vor Ort haben.
Wie stark sich die Wassertemperatur der Nordsee zuletzt verändert hat, ist von Region zu Region unterschiedlich. Im Norden zwischen Schottland und Norwegen lagen die Wassertemperaturen in der ersten Juniwoche noch bei um die zehn Grad, zwölf bis 13 Grad waren es an der britischen Ostküste. Entlang der deutschen Küste wurden Temperaturen von 13 bis 14 Grad gemessen.
Doch in der zweiten Juniwoche machen die Temperaturen einen Sprung: An deutschen Küsten werden plötzlich Wassertemperaturen zwischen 15 und 16 Grad gemessen – und teilweise sogar darüber hinaus, betont Tim Kruschke gegenüber watson. Er ist Sachgebietsleiter für Marine Klimafragen vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg.
An der Nordseeküste von den ostfriesischen Inseln bis nach Belgien hingegen bewege sich die Wassertemperatur noch immer im Normalbereich, wie Helge Gößling vom Alfred-Wegener-Institut gegenüber watson berichtet. Anders so in Teilen der Nordsee und auch Ostsee.
Dort berichtet der Wissenschaftler von "Abweichungen von bis zu fünf Grad über dem langjährigen Mittel der 70er, 80er und 90er Jahre". Diese Temperaturabweichungen fänden sich vor allem im Finnischen und Bottnischen Meerbusen, im Kattegat und Skagerrak, sowie an der Nordseeküste Nordenglands und Schottlands.
Im Nordatlantik sind die Temperaturen zuletzt besonders stark in die Höhe geschnellt. Eine Entwicklung, die Forschende mit großer Sorge beobachten. Denn die Temperaturanstiege haben weitreichende Auswirkungen. So können unter anderem mehr und stärkere Hurrikans entstehen.
Die Situation im Nordatlantik steht auch in direktem Zusammenhang mit der erhitzten Nordsee. Kruschke erläutert gegenüber watson:
Doch was ist der Grund der stark gestiegenen Wassertemperaturen?
Ein Grund ist – natürlich – das Wetter. Wochenlange Hochdrucklagen, geringe Wolkenbedeckung, viele Sonnenstunden – all das sind Vorkommnisse, die die Meeresoberfläche recht stark erwärmen, wie der Experte erklärt.
Die Hochdrucklage über Nordeuropa und damit einhergehende Ostwinde hätten nicht nur die Nord- und Ostsee erhitzt, erklärt Gößling. "Die gleiche Großwetterlage ist übrigens auch für die ungewöhnliche Wärme mitverantwortlich, die sich in den letzten Tagen in großen Teilen des nördlichen Nordatlantiks entwickelt hat."
Das Wetter ist es der eine Grund für die starke Erhitzung, die Klimakrise der andere.
Die "wetterbedingten Zufallsschwankungen" setzen sich "auf den langfristigen Erwärmungstrend durch den Klimawandel obendrauf", sagt Gößling. "Nord- und Ostsee haben sich über die letzten Jahrzehnte durchschnittlich bereits um ungefähr zwei Grad erwärmt."
Ein Trend, der sich bereits im Ökosystem widerspiegelt. Biologische Prozesse verändern sich, das Wachstum von Phyto- und Zooplankton – die am Anfang der Nahrungskette stehen – lässt etwa nach, sagt Kruschke. Auch eine "Abwanderung von Arten" ließe sich bereits beobachten.
Denn: In der sich immer weiter erwärmenden Nordsee wird es manchen ihrer Bewohner einfach zu heiß. Die Folge: Die eigentlich dort beheimateten Fische wandern weiter in Richtung Norden ab, wo die Gewässer noch kühler sind. Gleichzeitig machen sich invasive Fischarten breit, werden zur Konkurrenz für andere Fische. Das bringt das Ökosystem weiter aus dem Gleichgewicht. Ein Domino-Effekt wird in Gang gesetzt.
Doch die erhöhten Wassertemperaturen haben nicht nur Einfluss auf das Ökosystem selbst. Sie bringen auch gesundheitliche Gefahren für die Menschen mit sich.
Denn sogenannte Vibrionen-Bakterien fühlen sich im warmen Wasser ebenso wohl, wie invasive Fischarten.
Laut Robert-Koch-Institut (RKI) vermehren sich Vibrionen unter anderem ab einer Temperatur von über 20 Grad stark. In warmen Sommern seien diese Bedingungen auch in Teilen der Nord- und Ostsee gegeben, warnt das Institut.
Eine Infektion mit dem Erreger kann etwa erfolgen, wenn man mit einer offenen Wunde schwimmen geht. Die Bakterien können aber auch durch eine Wunde eintreten, die man sich erst im Wasser zugezogen hat.
Infiziert man sich, stellen sich schnell Symptome ein: ein lokaler, angesichts der sichtbaren Wunde überproportional erscheinender Schmerz, wie das RKI schreibt. Auch Fieber, Schüttelfrost oder gar eine Blutvergiftung können durch Infektion mit den Vibrionen auftreten.
Aber nicht nur beim Baden gehen in der Nord- oder Ostsee kann man sich mit dem Bakterium infizieren – sie können auch über andere Wege in den Körper gelangen. Denn die Bakterien können sich auch in Fischen und anderen Meerestieren festsetzen, wie Insa Meinke, Abteilungsleiterin des Norddeutschen Küsten- und Klimabüros am Helmholtz-Zentrum Hereon in Hamburg in einem früheren Gespräch mit watson erklärte. Sie ergänzte: