Nachhaltigkeit
Analyse

Die Klimakrise vertreibt Fische aus ihrer Heimat in den Norden

IZMIR, TURKEY - OCTOBER 14: A diver is seen in sea farmings, where tunas are being breed and prepared to be sold to Japan and European countries, in Karaburun district of Izmir, Turkey on October 14,  ...
Fische fliehen immer weiter in Richtung Norden. Bild: Anadolu / Anadolu Agency
Analyse

Fische auf der Flucht: Wie die Klimakrise die Tiere aus ihrer Heimat vertreibt

01.03.2023, 08:14
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Die Klimakrise wirbelt die Unterwasserwelt kräftig durcheinander. Die Erhitzung unseres Planeten – sie ist unter der Wasseroberfläche längst zu spüren. Das gesamte Ökosystem gerät aus dem Gleichgewicht – und leidet unter den Folgen des Klimawandels. Auch und vor allem die Fische. Denn sie sind wechselwarm, heißt: Sie halten ihre Körpertemperatur nicht konstant wie wir Menschen, sondern passen sich an ihre Umgebung an.

Das Problem daran: Wird es wärmer, laufen die chemischen Reaktionen in den Körpern der Fische schneller ab als normalerweise. Wird es zu warm, können diese Reaktionen überhaupt nicht mehr ablaufen.

In vielen Teilen der Meere ist es schon jetzt zu warm.

Über 90 Prozent der durch Menschen verursachten Treibhausgase haben die Ozeane seit 1970 aufgenommen – und sich dadurch kontinuierlich erhitzt. Den Einfluss der Klimakrise auf das Ökosystem Meer ist daher häufig früher zu beobachten als an Land.

Und es wird immer wärmer.

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Klimawandel macht Nord- und Ostsee bunter – Fische finden neue Heimat

"Die globale Erwärmung ermöglicht es einigen Fischarten, in Gebiete vorzudringen, in denen sie zuvor nicht existieren konnten, weil es einfach zu kalt war", sagt Meeresbiologe Flemming Dahlke vom Thünen-Institut für Fischereiökologie im Gespräch mit watson.

Er geht davon aus, dass auch in der Nord- und Ostsee zunehmend Fischarten beheimatet sein werden, die eigentlich den südeuropäischen Atlantikküsten oder dem Mittelmeerraum zugeordnet werden. Dahlke sagt:

"Das beobachten wir auch jetzt schon. Zum Beispiel gibt es in der Nordsee jetzt neben Sprotte und Hering auch zunehmend Sardellen und Sardinen. Arten also, die sonst vielleicht ganz vereinzelt mal aufgetaucht sind oder nur im Sommer da waren, mittlerweile aber schon in größeren Mengen und ganzjährig vorkommen."

Viel stärker als an den Küsten lässt sich die Abwanderung von immer mehr Arten aber im offenen Meer beobachten – etwa im nördlichen Nordatlantik oder der Arktis. Dies konnte auch in zahlreichen Studien bereits nachgewiesen werden. Der Grund dafür: Dort geht die Meereserwärmung noch schneller vonstatten als an den Küsten.

SAN FRANCISCO-JANUARY 1980: Trio of fishermen in small coastal trawler wind in their nets filled with sardines and anchovies in the bay off San Francisco circa 1980 (Photo by Nik Wheeler/Corbis via Ge ...
Sardellen und Sardinen sind im Mittelmeer Zuhause, mittlerweile findet man sie aber auch in Nord- und Ostsee.Bild: Corbis Historical / Nik Wheeler

Invasive Fischarten bringen das Ökosystem aus dem Gleichgewicht

Doch was viele Taucher:innen freuen dürfte, ist nicht immer ganz unproblematisch. Siedeln sich nämlich neue Arten in für sie neue Gebiete an, werden sie zur Konkurrenz für die vorhandenen. Das System kann so aus dem Gleichgewicht gebracht werden: "Zum Beispiel, wenn sich eine neue invasive Art ansiedelt, die sich von den Eiern schon vorhandener Arten ernährt und diese dadurch verdrängt", gibt Dahlke zu bedenken.

Aber so muss es nicht kommen. Zum Teil werde auch beobachtet, dass sich die Artenvielfalt erhöht, wenn neue Arten dazukommen. Dahlke merkt an:

"Trotzdem verändert sich natürlich das Gefüge. Ob das jetzt positiv oder negativ ist, kommt immer auf die Sicht des Betrachters an, denn wir wollen ja immer, dass uns das Ökosystem einen Service erweist."

Das könne im touristischen Sinne sein, weil es plötzlich auch in der Ost- und Nordsee eine höhere Artenvielfalt mit farbenprächtigeren Fischen gibt. Oder das könnten bestimmte Arten sein, die für die Fischerei von hoher Bedeutung sind. "Und wenn sich da Veränderungen einstellen, die diese Serviceleistungen von Ökosystemen beeinträchtigen, dann ist das natürlich negativ."

"Taucher sind sogar dazu angehalten, diese Feuerfische, die ja sehr schön, aber auch sehr giftig sind, einzufangen, um den Bestand einzudämmen."
Meeresbiologe Flemming Dahlke

Als Beispiel dafür nennt Dahlke etwa die Schwarzmundgrundel, eine sogenannte invasive Art. Heimisch ist sie eigentlich im Schwarzen Meer, doch da sie sehr anpassungsfähig ist, verdrängt sie in für sie eigentlich fremden Gebieten heimische Arten. Ähnlich ist das auch mit dem Feuerfisch. Dieser kommt eigentlich aus dem Pazifik, wurde aber in die Karibik und das Mittelmeer eingeschleppt, wo er nun zahlreiche Fischarten verdrängt, was zu einem Rückgang der Biodiversität in den Riffen führt.

Die Auswirkungen sind so drastisch, dass harte Maßnahmen eingeführt wurden, wie Dahlke erläutert: "Taucher sind dort sogar dazu angehalten, diese Feuerfische, die ja sehr schön, aber auch sehr giftig sind, einzufangen, um den Bestand einzudämmen. Aber meistens funktionieren solche Maßnahmen nicht."

Der Feuerfisch bringt das Ökosystem in für ihn neuen Gebieten aus dem Gleichgewicht.
Der Feuerfisch bringt das Ökosystem in für ihn neuen Gebieten aus dem Gleichgewicht. bild: pexels / Jeffry Surianto

Immer mehr Fische durch Klimakrise und Erhitzung der Meere bedroht

"Wir sehen hauptsächlich Bewegungen zu den Polen hin – also von den wärmsten Gebieten in Richtung Norden, wo es kühler ist", sagt Dahlke.

"Die Worst-Case-Szenarios sehen vor, dass wir in vielen Gebieten einen erheblichen Verlust an Arten sehen können, wenn der Klimawandel ungebremst voranschreitet."
Meeresbiologe Flemming Dahlke

Schon heute existieren in den wärmsten, tropischen Gebieten viele Arten an ihrer oberen Temperaturgrenze. Steigen die Temperaturen weiter – und diese Tendenz lässt sich schon jetzt beobachten – wird sich die Artenvielfalt in den tropischen Meeren immer weiter reduzieren. Dahlke warnt:

"Im Extremfall kann es dazu kommen, dass insbesondere bei Hitzewellen in diesen Regionen keine Fische mehr existieren können. Das sind Prognosen, die leider nicht unrealistisch sind. Auch Fischarten, die in der Arktis oder Antarktis beheimatet sind, werden durch den Klimawandel besonders bedroht, da es für sie auf der Welt keine Ausweichgebiete mit kühleren Temperaturen gibt."

Das bereitet Forschenden wie Dahlke große Sorgen. "Die Worst-Case-Szenarios sehen vor, dass wir in vielen Gebieten, zum Beispiel in den tropischen Korallen-Gebieten, einen erheblichen Verlust an Arten sehen können, wenn der Klimawandel ungebremst voranschreitet", warnt der Meeresbiologe.

Die Korallen gehören nicht nur zu den "allerempfindlichsten Arten", sie sind auch die sogenannten "Kinderstuben der Meere", wie Meeresbiologin Judith Hauck sie bezeichnet. Denn obwohl Korallen weniger als einen Prozent der Gesamtoberfläche der Ozeane bedecken, beherbergen sie ein Viertel aller marinen Arten. Hinzu kommt noch, dass sie die Küsten vor Erosionen schützen und uns Menschen Nahrung und Einkommen aus Tourismus und Fischerei liefern.

Flemming Dahlke ergänzt:

"Wenn die Korallen weiter sterben, wie wir es in den letzten Jahren vermehrt beobachten konnten, dann geht ein ganzer Lebensraum verloren."

Einhaltung der Klimaziele für Fische überlebensnotwendig

"Die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels, das sehen wir in vielen Studien, würde einen Großteil der Verluste verhindern", betont Dahlke. Mit jedem zehntel Grad steige die Wahrscheinlichkeit, dass Arten in bestimmten Ökosystemen verloren gehen. "Insofern ist der Kampf gegen den Klimawandel natürlich das primäre Ziel, auf das wir global hinarbeiten müssen."

Andererseits gebe es auch weitere lokale Schutzmaßnahmen, die sinnvoll seien. Wichtig sei etwa die Ausweisung von zusätzlichen Umwelt- und Meeresschutzgebieten, wo keine oder nur reduzierte Fischerei stattfindet. Dahlke ergänzt:

"Das heißt auch: keine Lärmbelastung durch den Schiffsverkehr oder Baumaßnahmen. Außerdem müssen wir den Eintrag von Umweltgiften, Plastikmüll und Nährstoffen aus der Landwirtschaft in unsere Küstengebiete verringern, denn diese Faktoren belasten die Ökosysteme erheblich und erhöhen die Empfindlichkeit von Fischen und anderen Arten gegenüber dem Klimawandel."
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