Nach dem Eingeständnis von Bundeswirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne), dass Deutschland auch 2022 und 2023 die im Klimaschutzgesetz verankerten Ziele vermutlich nicht erreichen werde, gehen Klimaschützer und Umweltverbände auf die Barrikaden.
Die Aussage verdeutliche das Versäumnis der ehemaligen Bundesregierung, funktionierende Klimaschutzmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die bereits 2020 und 2021 Sektorklagen gegen die Regierung eingereicht hatte, erklärte im Gespräch mit dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (RND), auch jetzt prüfen zu wollen, welche juristischen Schritte möglich sind, "um sicherzustellen, dass Deutschland endlich ausreichende Klimaschutzmaßnahmen ergreift", so der Bundesgeschäftsführer der DUH, Jürgen Resch.
Carla Reemtsma, Aktivistin der Klimaschutzbewegung "Fridays for Future" (FFF), erklärte Habecks Eröffnung gar als "ein Bruch des Versprechens mit Ansage". Und auch FFF-Aktivistin Pauline Brünger zeigt sich unzufrieden über die verfehlten Ziele und schockiert über das Ausbleiben einer angemessenen Reaktion angesichts der Dramatik dieser Verkündung, wie sie auf Twitter schrieb.
Doch wie sollte die Bundesregierung jetzt weiter vorgehen? Und womit hängt es zusammen, dass eine Ankündigung der zweifachen Verfehlung der Klimaziele Deutschlands von einem Großteil der Gesellschaft scheinbar geräuschlos hingenommen wird? Um das herauszufinden, hat watson mit verschiedenen Experten gesprochen.
Johannes Hillje, Politik- und Kommunikationsberater, erklärt gegenüber watson: "Habeck hat einen enormen Rückstand beim Ausbau der Erneuerbaren und der Senkung der CO2-Emissionen von der Vorgängerregierung geerbt." Da gehöre es schlicht zu einem "guten Kommunikationsstil, eine realistische Erwartungshaltung zu schaffen. Der Rückstand sollte Anlass für eine Debatte sein, wie die Klimaziele schnellstmöglich wieder erreicht werden können."
Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, setzt sogar noch einen oben drauf: So seien auch die Klimaschutzziele im Jahr 2020 nur "dank der starken Coronadelle beim Energieverbrauch erreicht" worden und nicht durch eine "konsequente Klimaschutzpolitik". Die Tatsache, dass sie in den kommenden beiden Jahren wieder nicht erreicht würden sei "extrem besorgniserregend, denn sie wird natürlich negative Konsequenzen nach sich ziehen. Er ergänzt:
Der Hamburger Klimaforscher Hans von Storch zeigt sich hingegen wenig überrascht darüber, dass die Informationen über die nicht mehr einzuhaltenden Klimaziele zügig nach der Pressekonferenz verpufft sind: "Diejenigen, denen das ohnehin klar war, nehmen es einfach zur Kenntnis und begrüßen den Zuwachs an Realismus", sagt er gegenüber watson. "Und diejenigen, die es überraschen könnte, wollen 'ihren' Habeck nicht beschädigen – so meine Deutung." Panik, so von Storch, sei ohnehin kein guter Status, deswegen gehe es jetzt allem voran darum, die Emissionen zu mindern, "auch im Verkehr und in den Gebäuden. Leicht zu erreichen ist das sicher nicht, aber nicht unmöglich."
Wilhelm Hofmann, Sozialpsychologe der Ruhr-Universität Bochum, erklärt gegenüber watson, dass das Problembewusstsein über schwerwiegende Folgen der Klimakrise auch hierzulande angekommen sei, spätestens seit den Extremwetterereignissen im Ahrtal im Juli vergangenen Jahres. Das würden auch Umfragen bestätigen.
Hofmann betont zudem, dass es wichtig sei, dass die Politik immer auch skizziere, mit welchen mittel- bis langfristigen positiven Effekten zu rechnen sei, wie die Maßnahmen sozialverträglich gestaltet werden können und die Kostenrechnung nicht als absolute Werte betrachtet, sondern ins Verhältnis gesetzt würden. Dabei gehe es um die "Kosten, die gesellschaftlich entstehen und weiter auf uns zukommen werden, wenn wir nicht adäquat handeln." So müsse man sich lediglich vor Augen führen, dass die Flutkatastrophe im Rheinland aus Versicherungsperspektive das zweitteuerste Katastrophenereignis im letzten Jahr gewesen sei.
Hofmann ergänzt wörtlich:
Dass es jetzt darauf ankomme, alle mitzunehmen und politisch klar zu kommunizieren, darin sind sich die Experten einig: "Das Klimaschutzgesetz hat Regeln für den Fall definiert, dass Emissionsziele in einzelnen Sektoren nicht erreicht werden", erklärt der Politikberater Johannes Hillje. "Wird in einem Sektor zu viel CO2 ausgestoßen, wird dieser Überschuss auf die Ziele der kommenden Jahre draufgeschlagen." Die Verfehlung eines Sektorziels erfordere also automatisch zusätzliche Maßnahmen für die darauffolgenden Jahre.
Und dann komme es darauf an, die politische Kommunikation zu verändern. Hillje spricht hierbei von der sogenannten Transformationskommunikation. Er sagt:
Auch Quaschning pocht auf Veränderungen: "Die Folgen einer ungebremsten Klimakrise haben das Potenzial, unsere Zivilisation so wie wir sie kennen, vollständig zu zerstören." Die Klimaauswirkungen würden die Heimat und Lebensgrundlage von Milliarden von Menschen vernichten, was dramatische Folgen nach sich ziehen würde. "Angesichts der enormen Bedrohung ist die Bereitschaft für die nötigen Veränderungen in unserem Land immer noch nicht ansatzweise ausreichend vorhanden. Für zu viele scheint die Bedrohung noch weit weg zu sein. Andere sind am Verzweifeln und Resignieren. Das ist eine ungute Mischung", so Quaschning gegenüber watson.
Der Klimaforscher Hans von Storch zweifelt einen "wesentlichen" Beitrag Deutschlands zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels ohnehin an: "Der deutsche Beitrag zum Erreichen des Ziels sollte vielmehr sein, Technologien zu entwickeln und zu erproben, die überall auf der Welt Emissionsminderung wirtschaftlich attraktiv werden lassen. Generell aber scheint mir das 1,5-Grad-Ziel ohnehin Wunschdenken zu spiegeln und praktisch nicht erreichbar. Wenn es für zwei Grad reichen würde, was ich ebenfalls bezweifle, wäre das ein toller Erfolg", erklärt er gegenüber watson.