Es sind fünf "außerordentliche Kehrtwenden", die notwendig sind, um die Risiken gesellschaftlicher Zusammenbrüche und Erschütterungen des Erdsystems substanziell zu reduzieren.
Nicht mehr und nicht weniger.
"Diese außerordentlichen Kehrtwenden können bis 2050, also innerhalb einer einzigen Generation, erreicht werden. Aber wir müssen sofort handeln." Davon sind die Autor:innen um Sandrine Dixson-Declève, Co-Präsidentin des Club of Rome, und Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), überzeugt.
Gemeinsam mit weiteren Umweltexpert:innen haben sie in ihrem neuen Bericht an den Club of Rome – "Earth for all. Ein Survivalguide für unseren Planeten" – eine Gebrauchsanweisung geschrieben, wie wir den Planeten und uns vor dem Kollaps retten können.
Das Buch ist die Antwort auf den ersten Bericht an den Club of Rome. In der Forschungsarbeit "Die Grenzen des Wachstums", die 1972 veröffentlicht wurde, warnten Forschende des Massachusetts Institutes for Technology (MIT) vor den Folgen des ständigen Wachstums der Weltbevölkerung, der Industrie, des Verbrauchs an Rohstoffen, der Produktion von Nahrungsmitteln sowie der Umweltverschmutzung.
Was damals wie ein unwirkliches Bild des Grauens wirkte, hat sich heute, 50 Jahre später, bewahrheitet.
Die gute Nachricht: "Ein Zusammenbruch ist vermeidbar", sagt Owen Gaffney, Nachhaltigkeitsanalyst am Stockholm Resilience Centre und am PIK sowie Mitautor des Survivalguides, gegenüber watson.
Noch sei es möglich, eine systemische Transformation in Gang zu setzen. Und noch seien die Kosten dafür zu stemmen.
Etwa zwei bis vier Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts müssten den Autor:innen zufolge jedes Jahr für eine nachhaltige Energie- und Ernährungssicherheit aufgewendet werden.
Gaffney ergänzt: "Wir wollen den Menschen Hoffnung und Optimismus vermitteln." Immerhin befinde sich die Weltbevölkerung nicht mehr im exponentiellen Wachstum, sondern werde sich stabilisieren – auf einem Niveau, das beherrschbar sei.
Dass diese Investition allein durch die Kräfte des Marktes zustande komme, sei unwahrscheinlich. Umso wichtiger sei es, die "außerordentlichen Kehrtwenden" zu realisieren:
Die Liste der Wissenschaftler:innen liest sich wie eine Wunschvorstellung, eine Utopie. "Das Ausmaß dieser Transformation mag entmutigend erscheinen", erklären auch die Autor:innen. Aber nur mithilfe "der schnellsten wirtschaftlichen Transformation der Geschichte" ließen sich auch eben jene so dringend benötigten Verbesserungen erzielen.
"Seit 50 Jahren schon läuten die Wissenschaftler die Alarmglocken in Sachen Klima", erklärt Sandrine Dixson-Declève gegenüber watson. Sie ist Co-Präsidentin des Club of Rome und Mitautorin des Survivalguides. Zwar habe es seitdem einige grundlegende Fortschritte gegeben – so sei etwa Solarenergie die billigste Energieform der Geschichte.
"Dennoch stehen die Fortschritte nicht im Verhältnis zum Ausmaß der Risiken, mit denen wir konfrontiert sind."
Exponentielle Kurven würden langsam beginnen – und irgendwann einen Wendepunkt erreichen. "Ich glaube, dass wir genau jetzt an diesem Wendepunkt stehen", ist Dixson-Declève überzeugt.
Um zu zeigen, wie unterschiedlich die Welt – je nach Reaktion von Politik und Gesellschaft – aussehen kann, zeigen die Expert:innen in dem Buch zwei Szenarien auf, die beide 1980 beginnen und 2100 enden: "Too Little Too Late" (zu wenig, zu spät) und "Giant Leap" (Riesensprung). Anschaulich gemacht werden die potenziellen Entwicklungen an fiktiven Schicksalen von vier im Jahr 2020 geborenen Mädchen aus China, den USA, Bangladesch und Nigeria.
Der wissenschaftlich fundierte Report geht auf die Themen Armut, Ungleichheit, Geschlechtergerechtigkeit, Ernährung und Energie ein – und kreidet klar an, was sich verändern muss, um "eine unverzichtbare Grundlage für eine resilientere Zivilisation" zu schaffen. Dabei betonen die Expert:innen allem voran die Wichtigkeit von Gleichheit und Gerechtigkeit. Anderenfalls würden soziale Spannungen mutmaßlich um die Mitte des 21. Jahrhunderts zunehmen, Konflikte sich verschärfen, Vertrauen untergraben – und die Regierbarkeit auf eine harte Probe stellen.
Zwar malen die Forschenden ein düsteres Zukunftsszenario. Aber sie sind bemüht zu verdeutlichen, dass wir es sind, die die Zukunft in der Hand haben.
Alle zusammen.
"Ich denke, es wäre naiv zu glauben, dass ein Buch die Welt verändern kann", erklärt Dixson-Declève auf Nachfrage von watson. "Aber wir hoffen, dass wir zeigen können, dass es möglich ist. Und wir hoffen, dass diejenigen, die einen Wandel der Wirtschaftssysteme fordern, 'Erde für alle' als Teil eines Werkzeugkastens sehen, mit dem sie diesen Wandel umsetzen können."