Es klingt wie ein Hilferuf.
Ein verzweifelter Schrei danach, endlich gehört zu werden. Verstanden zu werden. Und vor allem: Den so dringend notwendigen Wandel in Gang zu bringen.
Am Montag haben sechs Klimaforscher:innen gemeinsam einen Kommentar im Online-Fachmagazin "Nature Climate Change" veröffentlicht. Darin gehen sie darauf ein, warum ziviler Ungehorsam durch Forschende so dringend notwendig ist, um endlich Bewegung in den Klimaschutz zu bringen.
Die Zeit, um eine lebenswerte Zukunft zu sichern, sei knapp, schreiben die Wissenschaftler:innen. Doch die Untätigkeit von Regierungen, Industrien und der Zivilgesellschaft lässt die noch übrigen Reaktionsmöglichkeiten immer schneller schrumpfen. Und sie stellt die Weichen für eine Erwärmung um 3,2 Grad – mit katastrophalen Folgen für alles und jeden.
Das geht auch Aaron Thierry unter die Haut. Er ist Mit-Autor des Fachbeitrags und forscht als Doktorrand an der Universität Cardiff zum Zusammenspiel von Vernunft und Emotionen in der Klimabewegung.
Das allein reicht ihm aber längst nicht mehr.
Deswegen ist Thierry auch Mitglied von Scientists for Extinction Rebellion – und klebte sich bei einer Protestaktion im April gemeinsam mit einigen Kolleg:innen und wissenschaftlichen Papieren an die Glaswände des britischen Wirtschafts- und Energieministeriums.
Im Gespräch mit watson sagt er:
Vor allem aber empfinde er eine "tiefe Wut" auf Interessensgruppen wie die fossile Lobby. Denn die habe dem Klimaschutz durch Desinformation und Leugnungskampagnen jahrzehntelang im Weg gestanden. Und tue es sogar heute noch mit "grüngewaschenen Versprechungen".
Mittlerweile ist es fast zu spät, ist sich der Experte sicher. "Wir sehen die Schäden täglich um uns herum: Überschwemmungen, Dürren, Brände – diese Klimaveränderungen haben erhebliche Auswirkungen", sagt Thierry.
Auch deshalb rechtfertigen seine Kolleg:innen und er zivilen Ungehorsam in ihrem Kommentar als angemessen. "Lange Zeit habe ich ganz naiv darauf gehofft, dass die Regierungen einfach auf die Wissenschaft hören würden", erklärt Thierry. Aber das sei nicht passiert.
Er glaubt, dass es ein Fehler sei, Wissenschaft und Aktivismus separat zu betrachten.
Thierry erklärt im Gespräch:
Als Wissenschaftler:innen stünden sie daher in der Verantwortung, ihre Stimme zu erheben und mithilfe von zivilem Ungehorsam auf die alarmierenden Folgen der Klimakrise aufmerksam zu machen. Den Planeten zu behandeln, zu retten. "Wissenschaftler gehören zu den am meisten respektierten Stimmen in der Gesellschaft", sagt Thierry.
Wenn Wissenschaftler:innen, die lange Zeit immer nur nüchtern Daten und Fakten vorgestellt haben, plötzlich zu drastischeren Methoden greifen, könnte das für Aufsehen sorgen. Und die Dringlichkeit ihrer Forschungsergebnisse verdeutlichen.
Das jedenfalls hoffen Thierry und die Mit-Autor:innen des Textes.
Thierry selbst wurde bei einem seiner Proteste bereits verhaftet. Im April dieses Jahres hatte er sich gemeinsam mit anderen Forschenden an das britische Wirtschafts- und Energieministerium geklebt. Ihr Ziel: Die Pläne zur Ausweitung der Öl- und Gasbohrungen in der Nordsee zu stoppen.
Der Klimawissenschaftler erzählt:
Aktionen wie jene von Scientists for Extinction Rebellion kämen zwar nicht für jede und jeden infrage, dennoch gebe es viele Möglichkeiten, wie man seine Stimme erheben und Veränderungen erwirken könne.
"Die Wissenschaft ist sich sicher, dass die bisherigen Störungen nur die Anfangsphase des Klimanotstands sind", sagt Thierry. "Wenn wir nicht bald aufhören, fossile Energien zu verbrennen, werden große Teile des Planeten unbewohnbar werden – und das sogar noch zu meinen Lebzeiten."
Was dann passiert, ist wissenschaftlich längst erwiesen.
Hunderte Millionen Menschen werden aus ihrer Heimat vertrieben oder sterben.
Weil ihre Heimat nicht länger bewohnbar ist.
Weltweit brennen Wälder. Tödliche Hitzewellen machen Städte und ganze Regionen unbewohnbar.
Getreide verdorrt auf den Feldern, verschlimmert Hungerkrisen auf der ganzen Welt – die sozialen Systeme kippen, lösen Unruhen und Verteilungskrisen aus. Neue Krankheiten springen auf die Menschen über, die Liste lässt sich endlos weiterführen.
"Wir können uns keine weiteren Verzögerungen leisten", betont Thierry. "Die Regierungen müssen uns so schnell wie möglich zu Netto-Null-Emissionen bringen."
Die Entscheidung, als Wissenschaftler zivilen Ungehorsam zu leisten, hätte Thierry nicht leichtfertig getroffen – sie war "der letzte Ausweg".
Er sagt: