"Wie ist es möglich, dass wir in den folgenden zwei Jahrzehnten, trotz zunehmenden Wissens über die Gefahren eines ungebremsten Klimawandels 'explodierende' CO2-Emissionen relativ gelassen zur Kenntnis nahmen?": Das fragt Herausgeber Klaus Wiegandt im Vorwort des am 7. Juli erschienenen Buches "3 Grad mehr – Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern".
Eine wirkliche Antwort darauf gibt es nicht, Erklärungen und Gedanken allerdings viele: Vom Verdrängen und Negieren bis hin zur Hybris. Eine wichtige Rolle aber würden Wiegandt zufolge Fehlinformationen und Gutgläubigkeit spielen. Fehlinformationen, weil die Menschen glauben würden, ihr größtes Problem sei ein Anstieg des Meeresspiegels um 35 Zentimeter bis Ende des Jahrhunderts. Gutgläubigkeit, weil viele glauben würden, die Politik werde das Problem schon lösen – wenn es denn so gravierend wäre.
Tut sie aber nicht.
Zumindest nicht annähernd so resolut, wie es nötig wäre.
"Drei Grad mehr, was für Landgebiete und damit auch für unsere Breiten im Schnitt zu sechs Grad höheren Temperaturen führen wird, wird das Leben der Menschen in einer nie da gewesenen Dimension verändern und bedrohen", schreibt Wiegandt weiter.
Er war Vorstandsvorsitzender an der Spitze der Metro AG – bis er mit 60 Jahren eine 180-Grad-Kehrtwende wagte: Im Jahr 2000 gründete er die Stiftung "Forum für Verantwortung" und zog in den Kampf gegen die Klimakatastrophe. Zahlreiche Bücher namhafter Forschender hat Wiegandt seitdem herausgegeben.
Und gibt noch immer nicht auf.
Mit "3 Grad mehr" erschien nun das nächste Buch mit realistisch düster gezeichneten Szenarien über die Erderwärmung – und der Einbindung sogenannter naturbasierter Lösungen. Denn eines machen die 18 Autorinnen und Autoren, unter denen auch der Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) Hans Joachim Schellnhuber und die Soziologin Jutta Allmendinger sind, in ihren Reports sehr deutlich: Noch lässt sich die größte Katastrophe verhindern.
Allem voran ein schneller Stopp der Rodung der Regenwälder könnte ein entscheidendes Zeichen setzen und gleichzeitig den größtmöglichen Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität leisten. Darüber hinaus nennen die Klima-Expertinnen und -experten die Aufforstung von etwa 350 Milliarden Bäumen in den Tropen und Subtropen sowie die Wiedervernässung trockengelegter Moore als unverzichtbar.
Zudem bräuchte es eine Wende im Bausektor und die Rückkehr zum Holzbau sowie weltweit politischen Konsens, um eine umfassende Finanzierung der Klimaschutzmaßnahmen sicherzustellen. Neben der Akzeptanz und Überzeugung der Gesellschaft das vermutlich größte Hindernis.
Drei Grad Erderwärmung, das betonen die Autoren immer und immer wieder, bedeuten an Land keine Erwärmung um drei, sondern um bis zu sechs Grad.
Und nicht nur das: Dieser Erwärmung würde eine kaum vorstellbare Radikalisierung des Wettergeschehens verursachen – mit verheerenden Folgen für die gesamte Menschheit. Die globale Landwirtschaft. Die großen Ökosysteme. Unzählige Menschen werden verhungern, verdursten oder verlieren ihr Leben durch kriegerische Auseinandersetzungen um die immer knapper werdenden Ressourcen.
Die materiellen volkswirtschaftlichen Schäden, vor allem bei Infrastrukturen, werden jährlich mehr als zehn Prozent des Weltsozialprodukts ausmachen. Große Teile der Erde werden unbewohnbar werden. Riesige Ströme von Klimaflüchtenden werden sich auf die Suche nach einem neuen Zuhause machen müssen.
Und das ist längst nicht alles.
Der Klimaphysiker Stefan Rahmstorf, einer der Leitautoren des IPCC-Berichts sowie Mitautor von "3 Grad mehr", bringt es in seinem Report auf den Punkt: Sollte sich die Erde tatsächlich um drei Grad erwärmen, sei es "eine Erde, wie wir sie nicht kennen (wollen)".
Er schreibt weiter:
Auch wenn diese Entwicklung unter den derzeitigen politischen Bemühungen wahrscheinlich ist – noch hat Rahmstorf Hoffnung, die Erwärmung auf nahe der 1,5-Grad-Marke zu begrenzen. Gleichzeitig betont er: "Um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, muss die Welt endlich in den ernsthaften Krisenmodus schalten, wie die jungen Menschen von Fridays for Future völlig zu Recht einfordern. Klimaschutz muss dazu die höchste Priorität bekommen."
Die Autorinnen und Autoren des Buches wollen aufzeigen, wie es um uns und unsere Welt steht, sollten wir nicht nur die 1,5-Grad-Grenze, sondern gar die 3-Grad-Grenze überschreiten. Dass dies noch vor Ende des Jahrhunderts passieren könnte, halten die Forschenden – sollte es keine gravierenden Fortschritte bei der Reduzierung der CO2-Emissionen geben – für durchaus wahrscheinlich.
Mit ihren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Beschreibungen einer sich rapide zum Schlechteren verändernden Welt, versuchen sie die Gesellschaft wachzurütteln und von ihrer Naivität zu befreien. Die nötigen Veränderungen zur Erreichung der Klimaneutralität ließen sich nur dann erwirken, wenn die Gesellschaft an einem Strang zöge – und der Politik so die Legitimität verliehe, Klimaschutz auch effektiv umzusetzen.
"3 Grad mehr – Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern", 352 Seiten, 25 Euro