Das Wochenende hat mal wieder gezeigt: Die Klimakrise ist längst da, hat Einzug in unser aller Leben erhalten. In Cottbus wurde mit 39,2 Grad der Temperaturrekord Deutschlands gebrochen. In Brandenburg mussten – mal wieder – ganze Ortschaften evakuiert werden, weil Brände sie gefährdeten. In Südasien ist es bei Unwettern zu Überschwemmungen gekommen – Millionen von Menschen wurden obdachlos, 60 starben. Und im Norden Italiens wird Wasser rationiert.
Einfach gesagt: In der Klimakrise jagt eine Krise die nächste. Und: Was wir auch tun, es wird schlimmer. Leider.
Der logische Schritt, den wir also ziehen sollten: Klimapolitik endlich umsetzen – die Lösungen dazu liegen auf der Hand.
Stattdessen kommt – mal wieder – eine Krise dazwischen, macht die klimapolitischen Pläne der Regierung zunichte, oder schiebt sie zumindest auf. Nach der Corona-Krise in den beiden vorherigen Jahren ist es nun Putins Krieg in der Ukraine und die damit einhergehenden Engpässe beim Gas.
Anstatt die Energiewende schneller voranzutreiben, kündigte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) also an, die sinkenden Gaslieferungen aus Russland durch das Verfeuern von Kohle aufzufangen.
Moment mal – wirklich jetzt?
Aber ja, richtig gelesen: Der Minister also, der die Klimakrise voll und ganz durchblickt hat, und dem – so weit nachvollziehbar – wirklich etwas daran liegt, sie aufzuhalten, befeuert die Erderwärmung, um eine andere Krise abzumildern.
Klingt unlogisch?
Ist es auch.
Was dabei in den Hintergrund gerät: Die Folgen der Klimakrise und des Artensterbens sind die größte Gefahr für die Menschheit überhaupt.
So harsch und unsensibel das auch klingen mag – die Folgen der Erderwärmung werden das Leid der Menschen in der Ukraine noch übertreffen. Auch wenn uns das jetzt unmöglich erscheinen mag.
Weil die Abstände zwischen den Klimakatastrophen kleiner, die Katastrophen gleichzeitig schlimmer werden.
Weil die Klimakrise Millionen von Menschen ihr Zuhause nehmen wird – und schon jetzt nimmt.
Weil Lebensmittel und Wasser knapp werden, was zu Verteilungskriegen führen wird. Und zu Flucht.
Weil Extremwetter zunehmen und die Gesundheit der Menschheit bedrohen wird.
Weil sich Schädlinge und Krankheitserreger verbreiten werden – es zu weiteren, "vielleicht noch gefährlicheren Pandemien" kommen wird, wie Berit Lange, Leiterin der Klinischen Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) sagt.
Weil wir einen Verlust der Biodiversität erleben werden. Und unsere Umwelt dadurch weniger widerstandsfähig wird, ganze Ökosysteme kippen können.
Weil die Ozeane versauern werden.
Und und und.
Die Liste ließe sich endlos weiterführen.
Aber in der Kohleindustrie macht es den Anschein, als würde all das nur eine geringfügige Rolle spielen.
Sie jubelt und unterstützt Habecks Pläne, die Kohlekraftwerke aus der Reserve zu holen. RWE reagiert – und stoppt prompt die Frühverrentung von Mitarbeitenden, die aufgrund des Umstiegs auf die erneuerbaren Energien in den Vorruhestand hätten gehen sollen.
Eigentlich.
Wären da nicht die Gasengpässe. Und der Krieg.
Natürlich hat Habeck seine Gründe, auf die Kohle zu setzen.
Weil es schon im Winter sehr ungemütlich bei uns werden könnte, wir nicht mehr richtig heizen könnten.
Weil Unternehmen pleitegehen, Jobs wegbrechen und Güter nicht mehr produziert werden könnten.
Die Folge: Steigende Preise, Versorgungsausfälle.
Auf der anderen Seite aber befeuert er damit die noch viel größere Klimakrise.
Natürlich muss Habeck das große Ganze im Blick haben – das Wohl der Menschen in 20 Jahren, aber auch in diesem Winter. Und was, möchte man meinen, macht es da schon aus, nur noch ein klitzekleines bisschen länger auf Kohlekraft zu setzen? Immerhin könnte man das für Deutschland errechnete, also noch übrige CO2-Budget, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, einfach umverteilen.
Ganz nach dem Motto: Okay, wir haben zwar länger Kohle verfeuert, dafür führen wir ein Tempolimit und einen erhöhten Steuersatz auf tierische Produkte ein. Nur mal als Beispiel.
Möglich jedenfalls wäre eine solche Umverteilung, rein theoretisch. Angenommen, wir würden alle weiteren Ziele, die wir uns klimapolitisch gesetzt haben, einhalten. Oder – um genau zu sein – übertreffen. Denn dass wir die Klimaziele für dieses und nächstes Jahr verfehlen werden, hatte Habeck gleich zu Beginn seiner Amtszeit angekündigt.
Wichtig ist es, jetzt daran zu arbeiten, die Klimaziele nicht auch 2024 noch zu verfehlen. Denn mit jedem weiteren verfehlten Ziel bauscht sich die Klimakatastrophe weiter auf. Und was dann passiert, wollen wir uns lieber nicht ausmalen.
Sagen wir es mal so: Besonders gut sieht es derzeit nicht aus.
Bleibt die verlängerte Laufzeit der Kohlekraftwerke eine Ausnahme und wird aufgefangen durch andere Klimaschutzmaßnahmen, kommen wir vielleicht mit einem blauen Auge davon.
Was wir aber aus der Corona-Pandemie gelernt haben, ist: Oftmals bleibt es nicht bei nur einer Ausnahme, nur einer Zielverfehlung. Oftmals kommt eine weitere Ausnahme dazu, und noch eine – weil eine Krise die nächste jagt, auch fernab der Klimakrise.
Heißt: Wir müssen unseren Worten endlich Taten folgen lassen und ambitionierte Klimapolitik umsetzen. Und zwar nicht nur das, was wir uns vorgenommen haben, sondern mehr.
Denn die nächste Krise, die nächste Ausnahme – und damit "Pause von der Klimakrise" – kommt bestimmt.
Das muss aber nicht bedeuten, dass wir unsere Klimaziele verfehlen. Zumindest dann nicht, wenn wir uns endlich vor Augen führen, was auf dem Spiel steht: Ein lebenswertes Leben. Die Erde kommt auch ohne uns klar, ob mit 1,5 oder 4 Grad Erderwärmung. Wir aber nicht.
Ist das den Kampf nicht wert?