Nachhaltigkeit
Interview

FFF-Aktivistinnen über Klimakrise und Aktivismus: "Nicht Gegner der Menschen"

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Interview

Bevor die Angst uns überwältigt: "Wir sind der Klimakrise nicht ausgeliefert, sondern haben noch Möglichkeiten, gegenzusteuern"

Die Fridays for Future-Aktivistinnen Pauline Brünger und Carla Reemtsma kämpfen seit Jahren für mehr Klimagerechtigkeit: Sie gehen in Talk-Shows, demonstrieren und diskutieren mit Politikern. Wie viel Druck auf ihren Schultern lastet, was für Gefühle die Folgen der Klimakrise in ihnen auslösen und was ihnen hilft ins Handeln zu kommen, verraten sie im Interview.
15.05.2022, 16:3716.05.2022, 17:56
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Pauline Brünger und Carla Reemtsma von Fridays for Future kennt man als unerschrockene Kämpferinnen gegen den Klimawandel. Aber auch sie plagen Angst und Sorgen vor den Folgen der Klimakrise.

Denn für sie ist klar, dass es schnell gehen muss mit dem Klimaschutz. Deswegen kämpfen sie – für mehr Klimagerechtigkeit, für mehr Nachhaltigkeit, für eine gesündere Welt und gegen ihre eigenen Sorgen. Dass sie bei Politikern nicht selten gegen Wände rennen, frustriert sie zwar, aber spornt sie auch an, noch mehr zu geben: Aufzugeben kommt für sie nicht in Frage.

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bild: aa / neal waters
#Klimaangst – was tun?
Wie umgehen mit der Klimaangst?

Was bedeutet es Klimaangst zu haben? Wie geht es den Menschen, wenn sie bei dem Gedanken an die nächste Hitzewelle, die nächste Überschwemmung, die nächste Wahl und den nächsten IPCC-Bericht in Panik geraten? Wie kommt man aus dieser Angststarre wieder raus? Und was können wir tun, um nicht nur die Angst, sondern auch die Klimakrise zu besiegen?

In einer mehrteiligen Serie nimmt sich die watson-Nachhaltigkeitsredaktion dieser Fragen an und begleitet vier Menschen auf ihrem Weg aus der Klimaangst. Wir sprechen mit Wissenschaftlerinnen, Aktivisten, Betroffenen und Politikerinnen, die anders denken, nach Lösungen suchen und von ihrer Klimaangst berichten.

Serienteil 1:
"Ich habe Klimaangst": Wie mich die Folgen der Klimakrise in Panik versetzen

Serienteil 2:
Der Meeresspiegel steigt, die Temperatur ebenfalls, überall auf der Welt fallen Menschen der Klimakrise zum Opfer: Wie umgehen mit der Klimaangst?

Portrait von Luisa Müller:
Angst vor Klimawandel: Klimaaktivistin kämpft mit Burnout – "Habe viel Hass abbekommen"

Serienteil 3:
Protest und Politik: Wann das eine wirkt, wann das andere

Portrait von Gabriel Baunach:
Warum der Climaware-Gründer mehr unperfekten Klimaschutz will

Serienteil 4:
FFF-Aktivistinnen über Klimakrise und Aktivismus: "Nicht Gegner der Menschen"

Portrait von Charlotte Münzig:
David gegen Goliath – Aktivistin geht über ihre Grenzen: "Ich fühle, wie mich das kaputt macht"

Serienteil 5:
Luisa Neubauer im Interview: "Wenn wir nicht schnell Klimaschutzmaßnahmen umsetzen, machen wir Rückschritte"

Portrait von Daniel Obst:
Familienvater aus Angst vor Klimawandel: "Vor diesem Hintergrund hätten wir wahrscheinlich keine Kinder bekommen"

Im Interview mit watson erzählen die beiden, warum sie aus Angst vor den Folgen der Klimakrise auch mal auf Instagram ihren Tränen freien Lauf lassen und warum es so wichtig ist, die eigenen Ängste zu akzeptieren – um dann ins Handeln zu kommen.

Pauline Brünger und Carla Reemtsma kämpfen seit Jahren für mehr Klimagerechtigkeit.
Pauline Brünger und Carla Reemtsma kämpfen seit Jahren für mehr Klimagerechtigkeit.bild: josephine andreoli

watson: Durch euer Engagement als Klimagerechtigkeitsaktivistinnen beschäftigt ihr euch tagtäglich mit den Folgen der Klimakrise und einer Politik, die davor zum Teil die Augen verschließt. Empfindet ihr so etwas wie Klimaangst?

Pauline Brünger: Auf jeden Fall. Wenn man sich dem ganzen Schrecken und dem ganzen Ausmaß der Katastrophe bewusst wird, ist das etwas total Überwältigendes. Deswegen glaube ich, dass ich diese Angst nicht oft zulasse – sonst könnte ich, glaube ich, mein Leben lang zu Hause sitzen und weinen, weil man denkt, dass die Welt ja eh vor die Hunde geht. Wenn wir als Gesellschaft aber so stagnieren und durch unsere Angst so gelähmt sind, dann kommen wir nicht aus dieser Krise raus, deswegen müssen wir einen anderen Weg finden, damit umzugehen.

Carla Reemtsma: Für mich ist es weniger ein wirkliches Angstgefühl. Klar, wenn ich mich mit der Klimakrise beschäftige, finde ich das krass bedrohlich und grausam. Aber wir sind der Klimakrise ja nicht eins zu eins ausgeliefert, sondern haben immer noch Möglichkeiten, gegenzusteuern und die Folgen abzumildern.

Wie könnte denn ein Umgang mit dieser Krise aussehen?

Brünger: Zu wissen, dass man diese Angst nicht allein aushalten muss, ist ein wichtiger Punkt und auch, anzuerkennen, dass das eine angemessene Reaktion ist. Diese Angst ist ja nicht irrational, es ist ja nicht wie eine Panik vor der Dunkelheit. Sondern es ist die Erkenntnis, dass sehr, sehr viel Leid auf der Welt existiert und dass es potenziell noch schlimmer wird in der Zukunft. Und das anzuerkennen und dann im besten Fall etwas gegen diese Umstände zu unternehmen, gibt mir das allerbeste Gefühl, um aus dieser Ohnmacht auszubrechen.

"Deswegen glaube ich, dass ich diese Angst nicht oft zulasse – sonst könnte ich, glaube ich, mein Leben lang zu Hause sitzen und weinen, weil man denkt, dass das Leben ja eh vor die Hunde geht."
Pauline BrüngerKlimagerechtigkeitsaktivistin

Ist diese Sorge vor den Folgen der Klimakrise der Grund für euer Engagement?

Brünger: In Teilen schon. Zum einen, weil ich weiß, dass ich jung bin und ja selbst ein Interesse daran habe, in einem intakten Ökosystem und einer stabilen Demokratie zu leben. Und zum anderen habe ich ein großes Verantwortungsgefühl, weil ich ein junger Mensch aus Deutschland bin und weiß, dass wir ganz wesentlich von der Klimazerstörung und der globalen Ausbeutung profitieren, während Millionen von Menschen schon jetzt leiden – das ist unerträglich.

Reemtsma: Dem kann ich mich nur anschließen. Es ist eben nicht nur die Angst vor den Naturkatastrophen, Wetterextremen und vielen weiteren Klimakatastrophen, sondern damit einhergehend diese riesige Ungerechtigkeit. Die globale Ausbeutung hat ja mit der industriellen Revolution, letztendlich schon mit der kolonialen Ausbeutung angefangen, wodurch wir uns hier viel Wohlstand erarbeitet haben – auf Kosten von Millionen von Menschen in den betroffenen Regionen. Für mich sind das einfach unaushaltbare Zustände und Ungerechtigkeiten.

"Nach mehreren Jahren Klima-Aktivismus hat sich das mittlerweile ein bisschen eingependelt – ich kann gar nicht mehr so wütend über einzelne Entscheidungen sein, das würde einen kaputt machen."
Carla Reemtsmaklimagerechtigkeitsaktivistin

Brünger: Und man wird ja auch aktiv, weil man glaubt, dass man etwas besser machen kann. Wenn wir es jetzt beispielsweise schaffen würden, eine richtige Verkehrswende einzuleiten, dann würde das auch mein Leben in der Großstadt ganz schön verbessern. Und ich glaube, es gibt ganz, ganz viele Möglichkeiten, wie wir diese große Transformation jetzt nutzen können, um unser aller Leben lebenswerter zu machen – dass wir gesünder leben, nachhaltiger, sozial-gerechter.

Die Verkehrswende ist dafür ein ziemlich gutes Beispiel: Eigentlich liegen alle positiven und klimatechnisch sinnvollen Punkte auf der Hand – und dennoch sträubt sich ein Großteil der Politiker:innen dagegen. Was macht das mit euch?

Reemtsma: Lange Zeit war das vor allem eine Mischung aus Unverständnis und Wut darüber, dass sich so wenig ändert. Nach mehreren Jahren Klima-Aktivismus hat sich das mittlerweile ein bisschen eingependelt – ich kann gar nicht mehr so wütend über einzelne Entscheidungen sein, das würde einen kaputt machen. Ich versuche aber immer zu gucken: Okay, woran liegt es, dass sich nichts bewegt? Welche Interessen stehen dahinter? Und mit wem müssen wir sprechen, damit sich das vielleicht ändert.

Brünger: Aber es ist natürlich total krass, auch jetzt unter der Ampel-Regierung sieht man ein kollektives Versagen in der deutschen Regierungspolitik. Und das löst, glaube ich, nicht nur bei uns beiden, sondern bei unfassbar vielen Menschen sehr negative Gefühle aus. Im letzten Jahr wurde zum ersten Mal eine groß angelegte Studie darüber veröffentlicht, wie junge Menschen auf der ganzen Welt von Klimaangst betroffen sind. Und auch da wurde festgestellt, dass es einen signifikanten Zusammenhang damit gibt, ob ihre Regierungen gegen die Klimakrise handeln.

Pauline, gerade wer dir auf Twitter oder Instagram folgt, bekommt deine Verzweiflung und dein Unverständnis für die Politik häufiger mal zu spüren. Du schreibst Tweets wie: "Hier ist es sehr still von meiner Seite und das liegt daran, dass ich mich einfach nicht mehr in der Lage fühle, kohärente Sätze zur Klimakrise zu formulieren. Ich möchte nur noch schreien." Du lässt auch mal deinen Tränen freien Lauf. Warum hast du dich dazu entschieden, diese Momente mit der Öffentlichkeit zu teilen?

Brünger: Das sind so Momente, in denen ich merke, wie wenig der Kampf gegen die Klimakrise Entscheidungsträger:innen kümmert, zum Beispiel im Sommer nach der Flutkatastrophe in NRW. Keine einzige Partei hat das zum Anlass genommen, um ihre Wahlprogramme an die Realität der Klimakrise anzupassen. Und am Ende steht man da ganz allein mit seinen Freunden und denkt sich nur: Wow, sollen wir das allein fixen?

Und was löst das in dir aus?

Brünger: Das macht mich total wütend. Ich finde es ultra abgefuckt, dass wir in einer Situation sind, in der junge Menschen eine so große Verantwortung tragen müssen. Und ich persönlich finde es einfach wichtig, diese Gefühle auch zu zeigen. Damit die Menschen mitbekommen, was das auslöst – weil das ja auch eine reale Folge dieser krisenüberfluteten Welt ist, die ich spüre. Und weil ich mir wünschen würde, dass mehr junge Menschen es schaffen, diese Gefühle erstmal zuzulassen. Ich glaube, dass das der erste Schritt ist, um sich von seiner Angst zu befreien und aktiv zu werden.

"Wir sind so einem krassen Druck ausgesetzt, professionell zu sein. Und sobald man etwas sagt, wo mal Gefühle durchkommen, gilt man gleich als hysterisch oder irgendwie übertrieben."
Carla Reemtsmafridays for future-aktivistin

Und wie sind die Reaktionen darauf?

Brünger: Ganz unterschiedlich – in beide Extreme. Es gibt viele Leute, die sich bei mir melden und sagen, dass es ihnen genauso geht. Gleichzeitig stößt es auf viel Widerstand, dass man sich in so Momenten zeigt, in denen es einem nicht gut geht. Und ganz grundsätzlich sind wir als junge weibliche Klima-Aktivistinnen auch irgendwie einer Menge blöder Menschen im Internet ausgesetzt, für die das ein gefundenes Fressen ist. Deswegen lese ich diese Kommentare auch einfach nicht mehr.

Reemtsma: Ich finde es sowieso krass, dass du so offen darüber sprichst. Ich habe das Gefühl, dass ich das gar nicht kann, dass ich zu vielen Dingen auch gar nicht mehr so viel fühle. Und dazu kommt, dass wir so einem krassen Druck ausgesetzt sind, professionell zu sein. Und sobald man etwas sagt, wo mal Gefühle durchkommen, gilt man gleich als hysterisch oder irgendwie übertrieben.

Mit welchem Gefühl sollten wir als Gesellschaft uns denn den Herausforderungen der Klimakrise stellen?

Brünger: Die größte Gefahr sehe ich in Leuten, die total fatalistisch sagen: "Jetzt ist eh schon alles zu spät." Das klingt für mich nach einer Ausrede, um aufzugeben und nichts zu tun. Man muss einmal anerkennen, dass wir schon einen wahnsinnig weiten Weg gegangen sind in den letzten zwei, drei Jahren. Dadurch, dass sich so viele Menschen für Klimagerechtigkeit und eine konsequente Klimapolitik engagiert haben, sind wir jetzt in einer Situation, in der zwar immer noch unfassbar viel auf dem Spiel steht, aber noch ganz, ganz viel zu retten. Das sind jetzt die entscheidenden Jahre, wir werden alle etwas tun müssen, dass vielleicht im ersten Moment unangenehm oder unbequem ist, aber anders funktioniert es nicht.

Reemtsma: Früher haben die Leute die Klimakrise als nicht real gesehen, da haben sie gesagt: "Wir können keinen Klimaschutz betreiben, weil das schlecht für die Wirtschaft ist und Arbeitsplätze kostet." Jetzt sagen sie: "Wir können keinen Klimaschutz betreiben, oder nicht so viel wie für das 1,5 Grad-Ziel notwendig, weil wir noch so viele weitere Krisen haben, die Geld kosten." Und da aufzuzeigen, dass es möglich ist, sozial-gerechten Klimaschutz zu machen und dass vor allem Menschen mit geringerem Einkommen stärker von den Folgen betroffen sein werden, das ist jetzt wichtig. Wir sind ja nicht die Gegner der Menschen, im Gegenteil.

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