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"Ich habe Klimaangst": Wie mich die Folgen der Klimakrise in Panik versetzen

Mit jeder Katastrophe, jedem IPCC-Bericht und jeder Wahl verstärkt sich die Klimaangst unserer Autorin.
Mit jeder Katastrophe, jedem IPCC-Bericht und jeder Wahl verstärkt sich die Klimaangst unserer Autorin. Bild: dpa / Fabian Sommer
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"Ich habe Klimaangst": Wie mich die Folgen der Klimakrise in Panik versetzen

Zukunftsangst ist unter Millennials weit verbreitet. Der Grund: Junge Menschen sorgen sich über die Folgen der Klimakrise. Unsere Autorin, 26 Jahre alt und Nachhaltigkeitsredakteurin bei watson, kennt dieses Gefühl. Hier berichtet sie, was in ihr vorgeht.
18.04.2022, 15:4119.04.2022, 11:18
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"Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache."
Hanns Joachim Friedrichs

Wer in den Journalismus geht, der stolpert unweigerlich über dieses Zitat des bekannten Journalisten Hanns Joachim Friedrichs. Es gilt als die Maxime schlechthin und bedeutet schlicht: Stell die unbequemen Fragen. Die Fragen, die den anderen in Erklärungsnot bringen. Und: Stell diese Fragen insbesondere dann, wenn du selbst von einer Sache überzeugt bist. Suche die Schwachstelle, den wunden Punkt. Denke immer daran, du bist keine Aktivistin.

"Manche Geschichten sind so grausam, dass ich am liebsten weinen würde. Aber ich beiße die Zähne zusammen. Nicht zusammenbrechen."

Das hat für mich immer gut funktioniert. Bis mir das Ausmaß der Klimakrise bewusst wurde. Mit einem lauten Rumms.

A social worker weighs a malnourished child in the nutrition centre by the aid organisation Action contre la Faim in a slum of Antananarivo, Madagaskar (Africa). Thousands of children in Madagascar di ...
In Madagaskar leiden die Menschen unter der weltweit ersten klimabedingten Hungersnot: Knapp die Hälfte der fast drei Millionen Menschen im Süden der Insel sind vom Hungertod bedroht, 500.000 Kinder leiden an akuter Unterernährung.Bild: dpa / Jürgen Bätz

Warum nur habe ich die Signale dieser Katastrophe nicht eher bemerkt? Warum passiert politisch nichts oder zumindest zu wenig – obwohl doch Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen und Journalist:innen immer und immer wieder auf die Folgen der Krise hinweisen, erklären, warnen, protestieren?

In meiner Brust breitet sich Panik aus, mein Herz rast. Ich lese Studien, spreche mit Wissenschaftlern, Politikerinnen, Betroffenen, Aktivistinnen. Manche Geschichten sind so grausam, dass ich am liebsten weinen würde. Aber ich beiße die Zähne zusammen. Nicht zusammenbrechen: Geschichte anhören, aufschreiben, rausschreien – aber nicht weinen, nicht jetzt. Wenn die Menschen nur oft genug lesen, sehen und hören, was uns durch die Klimakrise droht, wie es Menschen andernorts schon jetzt aufgrund der daraus resultierenden Folgen geht, dann wird etwas passieren. Ganz sicher.

Oder etwa nicht?

Ich fühle mich machtlos, hilflos.

Dafür war ich doch in den Journalismus gegangen – um anderen eine Stimme zu geben, um darauf hinzuweisen, wenn etwas schief läuft. Und bei der Klimakrise läuft etwas schief, gewaltig schief. Ich schreibe. Ich höre zu, schreibe wieder. Und nichts passiert. Die Welt dreht sich weiter, wie zuvor.

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bild: aa / neal waters
#Klimaangst – was tun?
Wie umgehen mit der Klimaangst?

Was bedeutet es Klimaangst zu haben? Wie geht es den Menschen, wenn sie bei dem Gedanken an die nächste Hitzewelle, die nächste Überschwemmung, die nächste Wahl und den nächsten IPCC-Bericht in Panik geraten? Wie kommt man aus dieser Angststarre wieder raus? Und was können wir tun, um nicht nur die Angst, sondern auch die Klimakrise zu besiegen?

In einer mehrteiligen Serie nimmt sich die watson-Nachhaltigkeitsredaktion dieser Fragen an und begleitet vier Menschen auf ihrem Weg aus der Klimaangst. Wir sprechen mit Wissenschaftlerinnen, Aktivisten, Betroffenen und Politikerinnen, die anders denken, nach Lösungen suchen und von ihrer Klimaangst berichten.

Serienteil 1:
"Ich habe Klimaangst": Wie mich die Folgen der Klimakrise in Panik versetzen

Serienteil 2:
Der Meeresspiegel steigt, die Temperatur ebenfalls, überall auf der Welt fallen Menschen der Klimakrise zum Opfer: Wie umgehen mit der Klimaangst?

Portrait von Luisa Müller:
Angst vor Klimawandel: Klimaaktivistin kämpft mit Burnout – "Habe viel Hass abbekommen"

Serienteil 3:
Protest und Politik: Wann das eine wirkt, wann das andere

Portrait von Gabriel Baunach:
Warum der Climaware-Gründer mehr unperfekten Klimaschutz will

Serienteil 4:
FFF-Aktivistinnen über Klimakrise und Aktivismus: "Nicht Gegner der Menschen"

Portrait von Charlotte Münzig:
David gegen Goliath – Aktivistin geht über ihre Grenzen: "Ich fühle, wie mich das kaputt macht"

Serienteil 5:
Luisa Neubauer im Interview: "Wenn wir nicht schnell Klimaschutzmaßnahmen umsetzen, machen wir Rückschritte"

Portrait von Daniel Obst:
Familienvater aus Angst vor Klimawandel: "Vor diesem Hintergrund hätten wir wahrscheinlich keine Kinder bekommen"
"Die Panik, die Angst vor den Folgen der Klimakrise, kommt in Wellen. Mal kleiner, mal größer. Und mal übermannt sie mich komplett."

Und auch der Politikbetrieb geht weiter wie zuvor – ohne Sinneswandel. Dabei bräuchte es doch genau das: einen Sinneswandel, eine Revolution. Sehen die Politiker, Unternehmer und Aktionäre denn nicht, was vor ihren Augen passiert? Was uns droht, wenn sie wegschauen, weitermachen wie bislang?

Die Panik, die Angst vor den Folgen der Klimakrise, kommt in Wellen. Mal kleiner, mal größer. Und mal übermannt sie mich komplett. Ich möchte schreien, muss aber an mich halten. Schließlich bin ich keine Aktivistin, sondern Journalistin. Ich möchte Fridays for Future zustimmen, muss aber an mich halten. Schließlich bin ich keine Klimagerechtigkeitsaktivistin, sondern Journalistin – und muss hinterfragen, nicht nur die Politik, sondern auch Fridays for Future. Ihre Forderungen – gehen die nicht zu weit? Immerhin ist klimapolitisch einiges passiert, seit die Aktivisten auf die Straße gehen.

Ich fühle mich innerlich zerrissen.

Vielen geht das ähnlich. Laut einer Studie der renommierten Medizinfachzeitschrift "The Lancet" verursacht die Klimakrise insbesondere bei jungen Leuten weltweit Emotionen wie Stress und Wut. 84 Prozent aller Befragten gaben an, sich aufgrund der Klimakrise und ihrer Folgen zu sorgen.

"Keiner von uns ist perfekt, keiner von uns kann alles richtig machen. Vor allem nicht in einer Welt, die es einem so schwer macht, klimatechnisch richtig zu handeln."

Kann ich für den Klimaschutz auf die Straße gehen, wenn ich ein Auto habe? Kann ich in den Urlaub fliegen, obwohl ich weiß, dass ich damit tonnenweise CO2 produziere und meinen Eltern predige, vegan zu essen – der Umwelt zuliebe? Kann ich Veranstaltungen und Workshops zur Klimakrise organisieren, obwohl ich doch selbst nicht alles perfekt mache?

Kann ich als Journalistin die Forderungen von Fridays for Future richtig finden, obwohl ich doch keine Aktivistin bin?

Es sind Fragen, die nicht nur mich quälen, sondern uns alle. Es sind Fragen, die einen innerlich zerreißen. Aber die Antwort lautet: Natürlich kannst du, natürlich kann ich!

Keiner von uns ist perfekt, keiner von uns kann alles richtig machen. Vor allem nicht in einer Welt, die es einem so schwer macht, klimatechnisch richtig zu handeln.

Ja, ich stimme Hanns Joachim Friedrichs zu. Ein Journalist sollte sich nicht gemein machen mit einer Sache. Eigentlich. Aber die Klimakrise ist anders. Denn ein bisschen Klimaschutz, ein bisschen Klimapolitik reichen nicht aus. Es geht um alles oder nichts. Mit Aktivismus hat das nichts zu tun.

Das heißt natürlich nicht, dass ich meine journalistische Sorgfaltspflicht vergesse. Hinterfragen ist wichtig und das tue ich. Auch bei Fridays for Future. Nicht alles, was die Klimaaktivisten tun, halte ich für richtig. Aber: Ihre Kernforderungen unterstütze ich zu 100 Prozent.

Als junge Frau.

Als Journalistin.

Als Mensch.

Dessen musste ich mir bewusst werden.

Denn die Sache ist die: Als Nachhaltigkeitsredakteurin setze ich mich tagtäglich mit der Klimakrise auseinander, den Aufschrei der Wissenschaft und der Bewegung zu ignorieren ist unmöglich. Aus jedem Interview, aus jeder Studie lese ich diese eine Botschaft: Die Zeit drängt. Aber noch können wir das 1,5 Grad-Ziel erreichen, noch können wir die Welt retten. Oder genauer gesagt: Noch können wir uns retten.

"Aber wir müssen kämpfen – auf die Krise hinweisen, erklären, hinterfragen, warnen, protestieren. Jeder auf seine eigene Art und Weise. Ob nun Wissenschaftlerin, Politiker, Aktivistin, Lehrer. Oder eben Journalistin."

In diesen Momenten der Realisation ebbt mein Herzschlag ab.

Ich darf fühlen: Angst, wenn sich nichts tut – obwohl doch alles Wissen über die Klimakrise in der Welt verfügbar ist. Freude, wenn sich in der Klimapolitik etwas tut. Erleichterung, wenn es Protagonistinnen und Protagonisten, die schwer von den Folgen der Klimakrise getroffen wurden, gut geht. Und mit mir im Reinen, weil ich all das fühle.

Wir sind alle nur Menschen. Uns alle eint die Angst vor den Folgen der Klimakrise. Aber sie muss uns nicht übermannen.

Auch deshalb starten wir heute bei watson eine Serie zur Klimaangst. Nicht, um mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Welt zu laufen. Sondern um zu informieren, wachzurütteln, der jungen Generation eine Stimme zu geben. In den kommenden Wochen und Monaten werden wir das Phänomen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchten.

Denn noch können wir das 1,5 Grad-Ziel erreichen – noch ist alles möglich. Aber wir müssen kämpfen – auf die Krise hinweisen, erklären, hinterfragen, warnen, protestieren. Jeder auf seine eigene Art und Weise. Ob nun Wissenschaftlerin, Politiker, Aktivistin, Lehrer. Oder eben Journalistin.

Und dazu gehört eben auch, offen über Klimaangst zu sprechen.

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