Erst jahrelang Corona, dann Putins Krieg in der Ukraine und jetzt auch noch die neuesten Erkenntnisse aus dem Bericht des Weltklimarats: Da kommen so einige Krisen zusammen. Bild: Zoonar.com/Axel Bueckert / Axel Bueckert
Interview
Seit Montag liegt sie vor, die Zusammenfassung des sechsten IPCC-Berichts des Weltklimarats, die "Summary for Policymakers" (hier alle Dokumente als PDF). Der Titel des Berichts: "Folgen, Anpassung und Verwundbarkeit" durch die Klimakrise. Das Fazit: Niederschmetternd – die Klimakrise kommt schneller und schlimmer als noch vor 20 Jahren angenommen.
In einer Zeit, in der immerzu schlechte, gar beängstigende Nachrichten auf uns einprasseln, kann Angst unseren Alltag bestimmen. Wie kommt unsere Psyche mit dieser Vielzahl existenzieller Krisen zurecht? Was können wir tun, um unsere Ängste zu mindern – und ins Handeln zu kommen?
Lea Dohm ist Psychotherapeutin und Mit-Initiatorin von "Psychologists for Future". Im Interview mit watson gibt sie Tipps, wie man seine Ängste überwinden kann und warum es wichtig ist, die eigenen Sorgen ernst zu nehmen.
Lea Dohm ist Mit-Initiatorin von "Psychologists for Future".privat
watson: Corona, Putins eskalierender Krieg in der Ukraine – und jetzt wurde zusätzlich noch der neueste IPCC-Bericht des Weltklimarates veröffentlicht, der wirklich entmutigend ist. Wie hält unsere Psyche so viele Krisen auf einmal aus?
Lea Dohm: Ja, das ist schon ganz schön viel auf einmal und wirklich schlimm. All diese Nachrichten können natürlich Gefühle in uns entstehen lassen, die als sehr unangenehm erlebt werden: Angst, Wut, Hilflosigkeit und viele mehr. Unsere Psyche ist im Großen und Ganzen zum Glück darauf ausgerichtet, unangenehme Gefühle auszuhalten und trotzdem unsere Handlungsfähigkeit zu bewahren. Genauso verständlich ist es aber auch, wenn es uns einmal zu viel wird. Wir können uns dann Unterstützung bei der Verarbeitung suchen.
Wo denn zum Beispiel?
Zum Beispiel auf der Homepage der "Psychologists for Future" (Psy4F), da gibt es einige frei verfügbare Materialien zur Selbstfürsorge und Verlinkungen zu verschiedenen Beratungsangeboten. Bestenfalls können wir die Gefühle aber auch nutzen und so sind sie auch unserer psychischen Gesundheit dienlich, um ins Handeln zu kommen. Unsere Gefühle zeigen uns ja auch unsere Bedürfnisse an – in der jetzigen Situation zum Beispiel Sicherheit, politische Stabilität, ein gesundes Lebensumfeld – und geben uns die Motivation, aktiv zu werden.
"Aus psychologischer Perspektive wäre Panik kein wünschenswerter Zustand, auch wenn die wissenschaftlichen Befunde so ernst sind, dass sie auch ein Panik-Erleben wohl rechtfertigen würden."
Im IPCC-Bericht ist die Rede von "gefährlichen Folgen", die sich aufgrund der Erderwärmung auf unser aller Leben auswirken werden – angefangen bei Extremwetterereignissen über Wasserknappheit, schlecht ausfallende Ernten bis hin zu unserer Gesundheit. Ein ziemlich allumfassendes Problem, das in seinen Dimensionen kaum lösbar scheint.
Wie kommt es, dass trotz der wissenschaftlichen Evidenz für diese alarmierenden Auswirkungen dennoch keine Panik unter den Menschen und damit auch in der Politik ausbricht – und ein der Krise angemessenes Handeln auslöst?
Aus psychologischer Perspektive wäre Panik kein wünschenswerter Zustand, auch wenn die wissenschaftlichen Befunde so ernst sind, dass sie wohl auch ein Panik-Erleben rechtfertigen würden. In der Panik selbst sind wir zu rationalem Handeln nämlich nur noch bedingt in der Lage.
Das klingt, als käme da ein Aber.
Ja, zur Frage, wie wir ins dringend erforderliche Handeln kommen: Hier brauchen wir mehr Möglichkeiten, die den Menschen aus ihrer persönlichen Situation heraus machbar und möglich erscheinen. Beim Klimaschutz fangen viele dankenswerterweise damit an, ihren eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern – ein toller erster Schritt. Wovon wir jedoch in der aktuellen Situation deutlich mehr brauchen, sind vor allem viele Gespräche und Medienbeiträge über die Bewältigungsmöglichkeiten der Krise, nachhaltige Veränderungen auch in den Gruppen, in denen wir uns bewegen, und politische Partizipation in jeder Form.
"Die Klimakrise ist so ernst, dass sie künftig in allen Zusammenhängen mitgedacht werden muss, damit wir für die Zukunft gut gerüstet sind."
Und das funktioniert wie?
Damit können wir anfangen, indem wir zum Beispiel auch in unserem Freundeskreis, in der Familie oder am Arbeitsplatz das Klima-Thema nicht mehr aussparen, sondern gemeinsam überlegen, wie wir erste Schritte der Veränderung gehen können. Oder indem wir Briefe an unsere Lokalzeitungen oder Abgeordneten schreiben, uns einer Gruppe der Klimabewegung anschließen oder auch einer Partei beitreten. Die Klimakrise ist so ernst, dass sie künftig in allen Zusammenhängen mitgedacht werden muss, damit wir für die Zukunft gut gerüstet sind.
Woran liegt es, dass noch immer so viele Menschen die Klimakrise nicht als Bedrohung wahrnehmen?
Das kann vielfältige psychologische Gründe haben, zum Beispiel, dass wir als Menschen gern dazu neigen, unangenehme Themen so lange wie möglich innerlich beiseitezuschieben – siehe Steuererklärung oder Darmkrebsvorsorge. Mir ist es jedoch auch wichtig, an dieser Stelle keiner falschen Psychologisierung aufzusitzen.
"Zum Glück gibt es aber mehr und mehr Menschen, die es dennoch wagen, sich mit all diesen Themen auseinanderzusetzen und die eigenen Klimagefühle mutig zu konfrontieren."
Was genau wollen Sie damit sagen?
Wirksamer Klimaschutz wurde in den letzten Jahrzehnten zum Beispiel durch die Politik und fossile Industrien ganz bewusst verzögert und verhindert. Da sind handfeste finanzielle Machtinteressen wirksam, hinzu kommen alte vertragliche Bindungen und die Macht der Gewohnheit, also dass Dinge einfach so weitergemacht werden, weil sie schon immer so waren. Und dann gibt es noch die Werbung, die uns Greenwashing-Kampagnen präsentiert, die uns glauben lassen, dass sogar eine Kreuzfahrt letztlich eine nachhaltige Form des Reisens ist. Und in den Schlagzeilen des Tages erzielen die neuesten Entwicklungen bei unseren Lieblings-Promis mehr Klicks als das Austrocknen der Moore. Es läuft also nicht nur psychologisch, sondern auch strukturell so einiges schief.
Hängt das auch damit zusammen, dass wir uns selbst eingestehen müssten, mitverantwortlich für diese Krise zu sein?
Es kommt beides zusammen: Zum einen, dass die Klimakrise für viele Menschen im Alltag als im Moment noch überwiegend schleichende Entwicklung wenig spürbar ist. Das ist übrigens in Ländern des globalen Süden schon heute ganz anders, die Menschen dort leiden ja schon jetzt erheblich unter den Folgen der Klimaveränderungen. Zum anderen kommt aber hinzu, dass die Wahrnehmung der Klimakrise zu vielen unangenehmen Gefühlen führen kann, die wir als Menschen lieber vermeiden. Zum Glück gibt es aber mehr und mehr Menschen, die es dennoch wagen, sich mit all diesen Themen auseinanderzusetzen und die eigenen Klimagefühle mutig zu konfrontieren. So können wir der Entschärfung der Krise einen großen Schritt näher kommen.
Sie sind Psychologin und Mit-Initiatorin der "Psychologists for Future". Warum beschäftigen Sie sich mit der Klimakrise?
Ich muss zugeben, dass ich auch oft denke, dass ich gerade lieber mit meinen Kindern einen schönen Nachmittag verbringen würde. Aber ich spüre wirklich eine moralische Verpflichtung und merke, dass ich es kaum aushalten kann, gerade nichts zu tun.
"Ehrlich gesagt sind die psychischen Folgeschäden durch die Klimakrise so erheblich – eine Zunahme diverser schwerer psychischer Erkrankungen wird erwartet – dass wir unterm Strich zusammenfassen können: Das kann niemand wollen."
Das ist bewundernswert. Welche Auswirkungen hat die Klimakrise denn auf unsere Psyche?
Die Klimakrise hat erhebliche direkte und indirekte Auswirkungen auf unsere psychische Gesundheit. Das ist empirisch gut belegt und sollte aus meiner Sicht viel deutlicher kommuniziert werden. Wir wissen zum Beispiel, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Hitze, Suizidalität und Aggressivität gibt, ebenso wie zwischen Hitze und dem Zusammengehörigkeitsgefühl von Gruppen, das nimmt unter Hitze nämlich ab. Bei allen Folgen sind vor allem Kinder und sozial Benachteiligte am stärksten betroffen. Ehrlich gesagt sind die psychischen Folgeschäden durch die Klimakrise so erheblich – eine Zunahme diverser schwerer psychischer Erkrankungen wird erwartet – dass wir unterm Strich zusammenfassen können: Das kann niemand wollen. Und das gilt es zu verhindern. Zumal die Behandlungskapazitäten für psychisch erkrankte Menschen bereits heute völlig unzureichend sind.
Und was kann man tun, wenn man von der Tragweite der Klimakrise überfordert ist und in einer Art Angststarre verharrt?
Die sogenannte "Angststarre" ist erstmal keine unübliche Reaktion bei einem Bedrohungserleben und wird in aller Regel von selbst nach einer gewissen Zeit überwunden. Leichter und schneller geht das, wenn wir für uns selbst Handlungsmöglichkeiten erkennen. Hier ist aus meiner Sicht dann ein entscheidender Punkt, nicht bei einzelnen, individuellen Verhaltensänderungen steckenzubleiben – also heute mal kein Fleisch, morgen mal mit dem Fahrrad zur Arbeit.
Sondern? Was sollte man stattdessen machen?
Wir können zum Beispiel oft sehr viel mehr bewirken, wenn wir uns mit Menschen, die wir gern mögen, zusammen tun und Ideen entwickeln. Oder indem wir das eigene Wissen nutzen und es mutig auf die Klimakrise anwenden: Hast du zum Beispiel viel mit Kindern zu tun? Super, wir brauchen dringend mehr Bildungs- und Freizeitangebote, die sich auf Umwelt und Nachhaltigkeit beziehen. Wenn du Lehrerin bist, lässt sich das bestimmt auch hier und da in den Lehrplan integrieren. Surfst du gern in den sozialen Medien? Auch gut, wir brauchen mehr Menschen, die hier Informationen zur Klimakrise einbringen, Zusammenhänge aufzeigen und sich Fake News und Hetze entgegenstellen. Es gibt so viele Möglichkeiten, etwas zu tun!
"Die wirksamste Medizin gegen Klimaangst wäre ein ernstzunehmender, in Emissionsreduktionen messbarer Klimaschutz. Solange dieser nicht gegeben ist, liegt es an uns allen, ihn einzufordern."
Und was kann ich tun, um resilienter gegen Krisen wie die Klimakrise zu werden?
Damit wir auch in Krisen persönlich bei Kräften bleiben können, braucht es Selbstfürsorge. Die kann je nach Person und Vorlieben ganz unterschiedlich ausfallen. Mir tut es zum Beispiel gut, mich zu bewegen und mich abends nicht mehr zu spät mit schwierigen Themen zu beschäftigen. Auch Musik, Kultur, Verabredungen, Entspannungsverfahren und gesunde Ernährung sind wichtige Stellschrauben, um die eigenen Ressourcen zu schonen und nicht auszubrennen. Niemandem, auch nicht der Welt, ist damit geholfen, wenn wir dauernd über unsere eigenen Kräfte wirtschaften – zumal dieses Thema uns wohl für den Rest unseres Lebens begleiten wird.
Das klingt logisch. Aber wie überwindet man sich, um selbst ins Handeln zu kommen und etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen?
Klimaengagement kann unglaublich sinnstiftend und individuell bereichernd sein, insbesondere, wenn wir eine Gruppe finden, die gut zu uns passt. Ich glaube also nicht, dass es sich wie etwas anfühlen muss, zu dem wir uns "überwinden" müssen, da es so viele Möglichkeiten gibt, die wirklich Freude machen. Und wir können spüren, wie wir als einzelne Person Wirksamkeit für unsere Gemeinschaft entfalten – eine ganz wunderbare Erfahrung, die ich vielen Menschen wünsche. Engagement stellt auf jeden Fall eine gesunde Form des Umgangs mit den eigenen Klimagefühlen dar. Denn genau dafür sind unsere Gefühle da: Damit wir sie ernst nehmen und in Handlungen übersetzen.
Haben Sie noch einen Tipp gegen die Angst vor der Klimakrise und ihren Folgen?
Die wirksamste Medizin gegen Klimaangst wäre ein ernstzunehmender, in Emissionsreduktionen messbarer Klimaschutz. Solange dieser nicht gegeben ist, liegt es an uns allen, ihn einzufordern.