Die Lage in der Ukraine ist eskaliert, Russlands Präsident Wladimir Putin hat das Undenkbare wahr gemacht: Seine Armee greift die Ukraine an. Die Nato, dessen Generalsekretär Jens Stoltenberg bereits vor Tagen von der schwersten Sicherheitskrise in Europa seit Jahrzehnten gesprochen hatte, reagiert – und aktiviert ihre Verteidigungspläne für Osteuropa. Damit bekommt der Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte in Europa weitreichende Befugnisse, um beispielsweise Truppen anzufordern oder zu verlegen.
Was ein Krieg – neben den Folgen für die Menschen vor Ort – für den internationalen Klimaschutz bedeuten würde, hat watson noch vor dem Einzug russischer Truppen in die Ukraine in Erfahrung gebracht.
"Zum Glück ist das Parisabkommen und sein Regelbuch zu Ende verhandelt", sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch gegenüber watson. Er ergänzt: "Aber ernsthafter Klimaschutz ist auf ein gewisses Maß an Kooperation zentraler Akteure angewiesen." Der Krieg, so Bals, könnte dazu beitragen, die Länder beim Klimaschutz zu entzweien.
Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen stehen einer vertrauensvollen internationalen Zusammenarbeit immer im Wege. Dass ein Krieg um die Ukraine somit "verheerende Auswirkungen auf den internationalen Klimaschutz" hätte, davor hatte auch der US-Politikberater John Podesta kürzlich in einem Interview mit dem "Spiegel" gewarnt. Seine Sorge: Dass Russland gemeinsam mit verbündeten Staaten sämtliche Verhandlungen zum Klimaschutz in den Vereinten Nationen und anderen internationalen Institutionen blockieren könnte, wie die Osteuropa- und Klimaexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Astrid Sahm, für watson einordnet.
Hinzu kommt, dass auch die militärischen Einsätze an sich negative Auswirkungen auf das Klima und die Umwelt hätten – denn die Waffenproduktion sowie ihr Einsatz verbrauchen sowohl enorme materielle und finanzielle Ressourcen, als auch fossile Treibstoffe. "Militärische Aktivitäten sind selbst mit hohen Emissionen verbunden, die aber in den Emissionsbilanzen der Länder nicht erfasst werden", erklärt Stefan Kroll, Senior Researcher der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). "Ein Krieg wäre also immer auch eine direkte Belastung für das Klima und es wäre notwendig, das transparent zu machen."
Und damit nicht genug: Die Zerstörung von Ökosystemen durch Kampfhandlungen, die Verseuchung von Böden und Gewässern zeigen sich zunächst vor allem in dem betroffenen Krisengebiet. Doch die steigenden Emissionen durch militärische Auseinandersetzungen sowie die Abholzung von Wäldern zur Rohstoffgewinnung würden zur weltweiten Klimakrise – und damit der Erderwärmung beitragen. "Der Krieg zerstört menschliches Leben und verursacht hohe Kosten – und bindet damit Ressourcen, die für Klimaschutzmaßnahmen und andere wichtige Reformen fehlen", erläutert die Politologin Astrid Sahm.
In Russland selbst mache sich die Klimakrise laut Sahm bereits seit einigen Jahren "deutlich" bemerkbar, auch ohne militärische Auseinandersetzungen. "Das Land erwärmt sich 2,5-mal schneller als der Rest der Welt." Die Folge: Permafrostböden tauen auf, Brände und Überflutungen nehmen zu. Angesichts der erkennbaren Folgen hätte die russische Führung 2019 "endlich" auch das Pariser Klimaabkommen ratifiziert. "Gleichzeitig", so Sahm, "steht sie [die russische Führung] dem Green Deal der Europäischen Union zwiespältig gegenüber. So sieht der Kreml beispielsweise in den CO2-Steuerplänen der EU vor allem eine wettbewerbsverzerrende Maßnahme, da sie der energieintensiven russischen Wirtschaft schaden würde."
Mit dem neuen Ost-West-Konflikt dürfte die Wahrnehmung, dass der Westen die internationale Klimaschutzpolitik im Kampf gegen Russland instrumentalisiere, Sahm zufolge noch zunehmen. Dennoch sieht die Expertin angesichts der unübersehbaren Klimaprobleme auch die Chance, mithilfe der internationalen Klimapolitik Spannungen in anderen Bereichen abzubauen.
"Die Klimakrise bleibt weiterhin eine Priorität auf der internationalen Agenda der EU", schreibt eine Sprecherin der Europäischen Kommission auf Anfrage von watson. "Die Klimakrise stellt eine weltweite Bedrohung dar, was einer der Hauptgründe dafür ist, multilaterale Anstrengungen zu unternehmen." Die EU werde auch weiterhin mit allen Partnern auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens sowie weitere "ehrgeizige internationale Klimaschutzmaßnahmen" hinarbeiten.
Laut Astrid Sahm ist die Klimakrise nur eine von mehreren Ursachen gesellschaftlicher Konflikte und transnationaler Krisen. Vor Kriegen um knapper werdende Umweltressourcen und dem Auftauchen von Umweltflüchtlingen sei schon in den 1980er Jahren gewarnt worden. "Mit fortschreitendem Klimawandel steigt das Risiko, dass Umweltprobleme zum Krisenfaktor werden." Das hieße aber nicht automatisch, dass insgesamt mehr Kriege geführt würden, als früher. "Wir haben es lediglich mit anderen Krisen zu tun." Sahm betont:
Auch Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch, bezeichnet die Klimakrise als "Risikoverstärker" – deutlich werde das am Beispiel des Syrienkriegs: "Die lange Dürre in Syrien war ein Auslöser für massive Proteste gegen die ausgebliebene Landreform." Der Wechsel zu erneuerbaren Energien habe daher eine zivilisationsgeschichtliche Bedeutung. "Diese Proteste wurden brutal niedergeschlagen. Immer mehr Gruppen oder Staaten versuchten, sich dann in der instabilen Situation direkt oder durch Söldner einzumischen. Die Klimakrise war nicht die Ursache für den Krieg, aber sie hat das Entstehen begünstigt."
Umso wichtiger sei jetzt eine "starke Beschleunigung der Transformation" sowie eine Vertiefung von Klimapartnerschaften: "Es geht um die Neukonstruktion der energiepolitischen Geopolitik – in drei Jahrzehnten die praktisch völlige Umstellung von Kohle, Öl und Gas auf erneuerbare Energien und Wasserstoff." Dafür bräuchte es in jeder Botschaft Akteure, die diese Transformation außenpolitisch mitgestalten. "Und wir brauchen Persönlichkeiten, die fast alle Klimadiplomaten der Welt, die Herausforderungen in den USA, in China, Indien oder Afrika bei diesem Prozess kennen und dieses Wissen zu einer überzeugenden Strategie zusammenfügen."
Hinweis: Dieser Artikel wurde vor dem Einzug russischer Truppen in die Ukraine geschrieben und aktualisiert.