"Our world is on fire", sagte schon Greta Thunberg. Der IPCC-Bericht bestätigt: Die Klimakrise kommt schlimmer und schneller kommen als gedacht. Bild: Zoonar.com/Serg Zastavkin / Serg Zastavkin
Analyse
Der Weltklimarat (IPCC) hat an diesem Montag den zweiten Teil seines sechsten Sachstandsberichts vorgestellt. Im Fokus des Berichts stehen die Folgen der Klimakrise sowie Klimaanpassungen (hier alle Dokumente als PDF). Die Warnung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist klar und deutlich: Die Risiken durch die Klimakrise für Menschen und Ökosysteme nehmen weltweit rapide zu. Die Folgen der Krise stellen sich nach Zusammentragung aller aktuellen Forschungsberichte als noch gravierender dar, als zuvor angenommen.
IPCC: Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen
Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), oft als Weltklimarat bezeichnet, ist eine Institution der Vereinten Nationen. In regelmäßigen Abständen tragen Fachleute weltweit die aktuellen Kenntnisse zur Klimakrise zusammen – in den aktuellen Sachstandsbericht flossen Erkenntnisse aus 34.000 wissenschaftlichen Papern. Der IPCC soll Grundlagen für wissenschaftsbasierte politische Entscheidungen bieten, indem er verschiedene Handlungsoptionen und deren Implikationen aufzeigt, ohne dabei jedoch konkrete Lösungswege vorzuschlagen oder Handlungsempfehlungen abzugeben.
IPCC Deutsche Koordinierungsstelle
"Die Fakten sind unbestreitbar, wir müssen jetzt handeln", sagt António Guterres, UN-Generalsekretär auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Weltklimaberichts. "Ein weiteres Aufschieben von Klimaschutz bedeutet den Tod." Nur konsequenter Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen könnten die Risiken noch verringern.
Ob das im Pariser Klimaabkommen vereinte 1,5 Grad-Ziel noch zu erreichen ist, ist unklar
Doch bislang greifen die weltweiten Bemühungen zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad zu kurz, wie Rupa Mukerji, Hauptautorin des fünften und sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates, gegenüber watson erklärt: "Wenn wir die Emissionen nicht mit sofortiger Wirkung großflächig zurückschrauben, werden wir das 1,5 Grad-Ziel nicht mehr erreichen können. Und selbst wenn es zu solchen tiefgreifenden Klimaschutzmaßnahmen kommen sollte", so Mukerji, "besteht die Möglichkeit, dass wir die 1,5 Grad zumindest zeitweise überschreiten werden."
Trotz dieser niederschmetternden Aussicht bleibt Mukerji optimistisch, immerhin hätten mittlerweile über 170 Länder den Klimaschutz zur Priorität erklärt und in ihre nationalen Aktionspläne aufgenommen. Hinzu kommt, dass insbesondere die junge Generation sich engagiere – auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse: "Alle sind sie besorgt und engagieren sich für den Klimaschutz, das gibt mir Hoffnung."
Es braucht standortspezifische Klimaschutzmaßnahmen
Allem voran komme es jetzt aber darauf an, tatsächlich zu handeln. "Sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen sind all jene, die die Folgen und Risiken der Krise reduzieren", so Mukerji. Da sich der Klimawandel aber von Region zu Region unterschiedlich bemerkbar macht, ist ein allgemeiner Lösungsweg wenig sinnvoll, vielmehr schlägt der Weltklimarat für die verschiedenen Staaten unterschiedliche Herangehensweisen und standortspezifische Anpassungsmaßnahmen vor. Generell aber gilt: Es braucht gesellschaftliche Auffangsysteme und an die klimatischen Folgen anpassungsfähige Strukturen, Zugang zu Gesundheitssystemen und an Extremwetter angepasste Gebäude.
Mukerji ergänzt:
"Für die 3,4 Milliarden Menschen, die weltweit in ländlichen Gebieten leben, kann die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel durch die Bereitstellung wichtiger Basisinfrastrukturen wie Straßen, verlässliche Energie und sicheres Wasser, verbesserte Ernährungssicherheit und zuverlässigere Lieferketten verbessert werden. Auch der Zugang zu Bildung und die Bekämpfung der Armut sind zentral. Die Stärkung der Gesundheitssysteme kann die Auswirkungen von Infektionskrankheiten, Hitzestress und anderen klimabedingten Risiken verringern."
Exekutivdirektorin der UN-Umweltkonferenz: "Die Natur kann uns retten – aber nur, wenn wir sie zuerst retten"
"Die Natur hält so viele Lösungen bereit, die Folgen des Klimawandels zu limitieren und das Leben der Menschen nachhaltig zu verbessern", erklärt Mukerji gegenüber watson. Auch Inger Andersen, Exekutivdirektorin der UN-Umweltkonferenz, bestätigte das in der Pressekonferenz, in der der IPCC-Bericht vorgestellt wurde: "Der Natur nachzuhelfen und sie zu unterstützen, ist der beste Weg, den Klimawandel aufzuhalten und uns an die Folgen anzupassen. Die Natur kann uns retten – aber nur, wenn wir sie zuerst retten."
Rupa Mukerji zufolge bedeutet das: Der Natur Platz machen – für Wasser, Moore, Wälder, Bäume. "Städte und urbane Gegenden, wo die meisten Menschen leben, hängen maßgeblich von der Resilienz der Natur sowie der sozialen und physikalischen Infrastruktur ab", betont sie.
"Wir verlassen die Welt, wie wir sie kennen."
Katja Frieler, Ko-Leiterin der Forschungsabteilung Transformationspfade am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ko-leiterin der forschungsabteilung transformationspfade am pik
Auch Katja Frieler, Ko-Leiterin der Forschungsabteilung Transformationspfade am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hat als Leitautorin am IPCC-Bericht sowie der Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger mitgearbeitet. Gegenüber watson erklärt sie: "Wir verlassen die Welt, wie wir sie kennen. Unser Bericht zeigt, dass die beobachteten Klimafolgen in allen Bereichen zunehmen." Zwar würde eine globale Erwärmung um 1,1 Grad nach nicht sonderlich viel klingen, aber die Auswirkungen machten sich schon jetzt deutlich für Mensch und Natur bemerkbar: Warmwasserkorallen bleichen aus, was ihr baldiges Absterben ankündigt. Dürren führen zu einem vermehrten Waldsterben. "Der Klimawandel führt außerdem zu weitreichenden Verschiebungen im Zeitablauf vieler Prozesse in der Natur", sagt Frieler.
Im Vergleich zum letzten IPCC-Bericht verstehen die Forschenden heute weitaus besser, wie empfindlich die Gesellschaft auf die Folgen der Klimakrise reagiert – "insbesondere auch, wie sich Wetterextreme auf unsere Infrastruktur, Wirtschaft und Gesundheit auswirken": Menschen sterben vermehrt an hitzebedingten Gesundheitsproblemen, tropische Wirbelstürme verursachen immense Schäden, der Anstieg des Meeresspiegels sowie verstärkte Stürme und Niederschläge ebenfalls. "Nochmal", betont Frieler, "all das geschieht bereits heute, und zwar bei einer Erwärmung von nur 1,1 Grad – was deutlich zeigt, dass wir den weiteren Temperaturanstieg dringend begrenzen müssen. Es geht hier nicht um Umweltprobleme, es geht um unsere eigene Sicherheit."
Die Biosphäre ist "unser Lebenserhaltungssystem"
"Die Lösung der Klimakrise muss hier und jetzt erfolgen und ist unsere globale Priorität für eine sichere und gerechte Zukunft der Menschen auf der Erde", sagt Johan Rockström, Direktor des PIK und Professor an der Universität Potsdam gegenüber watson. Der IPCC-Bericht zeige deutlich, dass es keine sichere Landung unter zwei Grad globalem Temperaturanstieg gebe. Rockström betont, dass es jetzt darum gehe, die Widerstandsfähigkeit der Biosphäre zu sichern: Land, Wasser, Pflanzen, Tiere.
Er ergänzt:
"Sie ist unser Lebenserhaltungssystem und unser Puffer für Klimaschocks. Wenn wir versagen, riskieren wir nicht nur massive Klimaauswirkungen, sondern lösen womöglich auch Folgen-Kaskaden aus. Kaskaden, bei denen der Zusammenbruch von Ökosystemen die Erwärmung verstärkt und zu noch größerer sozialer Instabiltät führt. Der IPCC-Bericht zeigt sehr klar: Die Zeit zum Handeln ist jetzt gekommen."
Klimaschutz muss sozial gerecht umgesetzt werden
Daniela Jacob, Leiterin des Climate Service Center Germany (GERICS) und Mitglied im Exzellenzcluster für Klimaforschung der Universität Hamburg, ist nicht überrascht über die Deutlichkeit des neu veröffentlichten Berichts: "Er weist deutlich darauf hin, dass wir eine Vielzahl von massiven Folgen des Klimawandels vermeiden können, wenn wir schnellstens Klimaschutz betreiben und uns gleichzeitig an die nicht mehr vermeidbaren Folgen anpassen", sagt sie gegenüber watson.
Dabei dürfe nicht aus den Augen verloren werden, dass es sich um ein gekoppeltes System handele, in dem es zu Wechselwirkungen komme: Das Klima, die Ökosysteme und Biodiversität, die menschliche Gesellschaft sind miteinander verflochten. "Deshalb müssen wir Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels auch immer unter den Gesichtspunkten von sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit betrachten", so Jacob.
Greenpeace: "Es besteht auch Hoffnung"
Klimaschutz und Artensterben müssten zusammen gedacht werden, Treibhausgase gesenkt werden: "Es muss Schluss sein mit halbherzigen Scheinlösungen", sagt Karsten Smid, Klimaexperte von Greenpeace, gegenüber watson. "Die Folgen und Risiken der Klimakrise werden – je länger wir warten – komplexer und schwieriger zu bewältigen sein." Diese Entwicklungen verliefen schneller, als angenommen. Dennoch hat Smid noch Hoffnung: "Mehr denn je stehen die Zeichen auf einen entschlossenen Ausbau der erneuerbaren Energien. Es gibt machbare und wirksame Optionen für eine nachhaltige Klimaanpassung, welche die Risiken für Mensch und Natur reduzieren können."
Die Zeichen für eine Beschleunigung der Energiewende stehen derzeit gut. Bild: dpa-Zentralbild / Patrick Pleul
Bundesumweltministerium sieht sich vor "gewaltiger Zukunftsaufgabe"
Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sieht das ähnlich: "Die Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffimporten und Klimaschutz sind dringendere Aufgaben denn je", schreibt das Bundesumweltministerium in einer Pressemitteilung im Rahmen der Veröffentlichung des IPCC-Berichts. Der massive Ausbau der erneuerbaren Energien, sowie nötige Klimaanpassungen seien eine "gewaltige Zukunftsaufgabe", die die Bundesregierung aber "konsequent angehen" wolle.
"Verlierer dieser Entwicklung ist aber nicht nur die Natur, sondern auch der Mensch: Denn Schäden an Ökosystemen gefährden die wirtschaftliche Existenz zum Beispiel der Fischerei und der Land- und Forstwirte", so Lemke. "Und vor allem: Der Klimawandel gefährdet auch unsere Gesundheit – und die der künftigen Generationen." Aus diesem Grund plant die Regierung in ihrer vorsorgenden Anpassungsstrategie klare Ziele vorzugeben und mithilfe des Klimaanpassungsgesetzes einen sicheren Rechtsrahmen zu schaffen.
"Wenn ihr euch nicht in Sicherheit bringt, werdet ihr sterben", warnt Tampas Bürgermeisterin Jane Castor vor "Milton". Es ist ein Sturm sondergleichen, der auf Floridas Westküste zurast, ein Hurrikan der höchsten Stufe, ein Kategorie-5-Hurrikan, mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 250 Kilometern die Stunde. Eintreffen soll er noch im Laufe des Tages.