Nachhaltigkeit
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IPCC-Bericht 2022: Folgen der Klimakrise – das Warten gefährdet unsere Existenz

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Dieses Jahrzehnt entscheidet darüber, ob das 1,5 Grad-Ziel noch einzuhalten ist.Bild: NurPhoto / Alain Pitton
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Neuer IPCC-Bericht: "Die sichere Existenz der Menschheit steht auf dem Spiel"

04.04.2022, 17:48
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Der Weltklimarat (IPCC) hat an diesem Montag mit etwas Verspätung den dritten Teil seines sechsten Sachstandsberichts "Linderung des Klimawandels" vorgestellt. In dem Bericht legen die Autorinnen und Autoren dar, wie eine klima- und sozialgerechte Transformation aussehen und welche konkreten Bedingungen dafür geschaffen werden müssen. Neben Wegen, wie der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase etwa im Verkehr, der Industrie oder im Gebäudesektor gesenkt werden kann, geht es auch um Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre (hier alle Dokumente als PDF).

In dem vorherigen Bericht hatten die Wissenschaftler bereits davor gewarnt, dass der verschleppte Klimaschutz sowie fehlende Investitionen und Anpassungsmaßnahmen zu Krisenspiralen auf der ganzen Welt führen und den Frieden gefährden würde.

Unter immensen Kraftanstrengungen lässt sich das 1,5 Grad-Ziel noch erreichen

"Wir schlafwandeln in die Klimakatastrophe", hatte UN-Generalsekretär António Guterres am Tag der Eröffnung der IPCC-Plenarsitzung vor zwei Wochen mit Blick auf die anhaltend starke Nutzung von fossilen Energieträgern gewarnt.

Schon der letzte IPCC-Bericht, der vor einem Monat veröffentlicht wurde, war unter den schockierenden Nachrichten des Krieges in der Ukraine sowie steigenden Energiepreisen untergegangen. Das dürfe nicht noch einmal passieren. Denn unter den Wissenschaftlern ist man sich einig: Der heute vorgestellte Bericht könnte der letzte sein, der zu einer Zeit veröffentlicht wird, in der man die schlimmsten Folgen der Klimakrise durch effektiven und schnellen Klimaschutz noch aufhalten könnte.

"Wir befinden uns an einer Weggabelung. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können uns eine Zukunft sichern."
IPCC-Chef Hoesung Lee

"Wir befinden uns an einer Weggabelung", sagt IPCC-Chef Hoesung Lee. "Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können uns eine Zukunft sichern. Wir haben das Wissen und kennen die Anpassungsmaßnahmen, mit denen wir die Erderwärmung aufhalten können." Lee sei ermutigt von Klimaanpassungsmaßnahmen zahlreicher Länder. "Es gibt schon heute Richtlinien, Regularien und Marktinstrumente, die funktionieren. Wenn wir diese auf andere Länder und Bereiche ausweiten, dann können wir nicht nur die CO2-Emissionen senken, sondern auch Innovationen anregen."

IPCC: Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen
Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), oft als Weltklimarat bezeichnet, ist eine Institution der Vereinten Nationen. In regelmäßigen Abständen tragen Fachleute weltweit die aktuellen Kenntnisse zur Klimakrise zusammen. Der IPCC soll Grundlagen für wissenschaftsbasierte politische Entscheidungen bieten, indem er verschiedene Handlungsoptionen und deren Implikationen aufzeigt, ohne dabei jedoch konkrete Lösungswege vorzuschlagen oder Handlungsempfehlungen abzugeben.
IPCC Deutsche Koordinierungsstelle

Hätte die Welt damit schon vor zehn oder 15 Jahren angefangen, wären die Herausforderungen zur Erreichung des 1,5 Grad-Ziels heute deutlich geringer, ist sich Gunnar Luderer, Mitautor des IPCC-Reports und Leiter der Arbeitsgruppe Energiesysteme am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sicher. Gegenüber watson sagt er: "In der Tat haben wir schon in den vorherigen IPCC-Berichten klar gezeigt, dass das ständige Herauszögern von ernsthaften Klimaschutzmaßnahmen einerseits die Risiken des Klimawandels massiv erhöht und andererseits das Erreichen der Klimaziele massiv erschwert."

Luderer betont:

"In der gegenwärtigen Situation ist dieses Ziel nur noch mit einer massiven Kraftanstrengung zu erreichen, die alle Wirtschaftsbereiche umfassen muss."

"Die Herausforderung ist enorm, aber die Klimakrise macht keine Pause"

Diese Herausforderung sei enorm, "aber die Klimakrise macht keine Pause" – auch dann nicht, wenn in der Ukraine der Krieg tobt. "Unser CO2-Ausstoß von heute bestimmt für Morgen, wie viel Extremwetter oder Meeresspiegelanstieg es gibt", sagt Luderer. Viel zu lange galt die Klimakrise als ein Problem der Zukunft, nicht der Gegenwart. Er glaubt, dass sich diese Wahrnehmung durch die Dürresommer und Starkregenfluten in Deutschland sowie die verheerenden Waldbrände und Wirbelstürme in den USA ein Stück weit geändert habe.

"Nur muss die veränderte Wahrnehmung jetzt auch zu verändertem Handeln führen. Die Zahlen des Weltklimarat-Berichtes zeigen in aller Härte, dass der Ausstoß von Treibhausgasen weiter ansteigt anstatt zu fallen." Zwar sei schon viel Richtiges angeschoben worden, aber das reiche noch lange nicht. Der Klimaschutz müsse verstärkt werden, beispielsweise mit einem gemeinsam handelnden "Klima-Club" aus EU, USA und China, wie Luderer erklärt.

Dieses Jahrzehnt entscheidet darüber, ob sich das 1,5 Grad-Ziel einhalten lässt

"In diesem Jahrzehnt wird sich entscheiden, ob wir noch eine Chance haben, das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen", sagt auch Manfred Fischedick, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie sowie Leitautor des IPCC-Reports, gegenüber watson. "Ich spreche auch davon, dass dieses Jahrzehnt das Jahrzehnt der Umsetzung sein muss", betont er.

Jetzt gehe es darum, weltweit zentrale Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Wie genau diese Maßnahmen aussehen sollen, darüber sind sich die Experten einig: Die erneuerbaren Energien müssten "drastisch" ausgebaut und vieles auf Strom umgestellt werden, wofür heute noch Öl und Gas verbrannt würden. Des Weiteren müsse die Bepreisung von CO2 gestärkt und international mit einem sozialen Ausgleich versehen werden – nur so könne der Klimafaktor in das Kosten-Nutzen-Kalkül eingebracht werden, erklärt Luderer. Zudem müsse ein nachhaltiges Management in der Landwirtschaft, den Wäldern und Ökosystemen eingeführt werden, um den Kohlenstoff in der Natur zu binden und die Biodiversität zu stärken.

Klimaschutz kostet – aber weit weniger als der ungebremste Klimawandel

"Der nachhaltige Umbau unserer Wirtschaft kostet – aber ein ungebremster Klimawandel würde uns noch viel mehr kosten", erklärt Luderer auf Nachfrage von watson. "Wir haben gar nicht die Möglichkeit, einfach weiterzumachen wie bisher." Dass sich Investitionen in den Klimaschutz lohnen würden, ließe sich bereits jetzt beobachten und nachweisen.

"Es sollte für die Politiker und Bürger ein Kinderspiel sein, auf ehrgeizige Transformationen zu drängen."
Julia Steinbergerleitautorin des Ipcc-reports

So seien die Erneuerbaren langfristig sogar günstiger, als weiterhin auf Kohle, Öl und Gas zu setzen. "Das gilt erst recht, wenn man den Zusatznutzen durch verminderte Luftverschmutzung und verminderte Abhängigkeit von Energieimporten einpreist." Im Umkehrschluss heißt das, dass zu zaghafter Klimaschutz auch das Risiko birgt, bei wichtigen Entwicklungen den Anschluss zu verlieren.

IPCC-Leitautorin warnt vor gravierenden Folgen und einer verheerenden Zukunft

Dabei sei Klimaschutz unter den jetzigen Voraussetzungen so einfach und kostengünstig wie nie zuvor. "Es sollte für die Politiker und Bürger ein Kinderspiel sein, auf ehrgeizige Transformationen zu drängen", sagt Julia Steinberger, Professorin für Ökologische Ökonomie und Industrieökologie an der Universität Lausanne sowie Hauptautorin des IPCC-Berichts, gegenüber watson. "Wenn die Emissionen bis 2025 nicht ihren weltweiten Höhepunkt erreicht haben und bis 2030 rapide auf die Hälfte ihres Niveaus von 2019 sinken, rückt das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken außer Reichweite." Und selbst, wenn das Ziel doch noch eingehalten werde, würden sich die Folgen der Erwärmung noch verschlimmern.

Julia Steinberger warnt eindrücklich:

"Unsere Zukunft, wenn Politiker sich dagegen entscheiden sollten, jetzt in puncto Klimaschutz zu handeln, ist im IPCC-Report klar und deutlich dargelegt, und sie sieht düster aus. Es ist eine Zukunft der Hitzewellen, Waldbrände, Überschwemmungen, zunehmender Dürren, Ernährungsunsicherheiten und Hungersnöte, die jeden Winkel der Welt erfassen werden. Es ist eine Welt, in der Tiere, Pflanzen, Insekten und Meereslebewesen aussterben und ganze Ökosysteme wie Korallenriffe oder der Amazonas-Regenwald für immer verschwinden werden. Es ist eine Welt, in der sich die Klimazonen so schnell verändern, dass Pflanzen, Insekten und Tiere nicht mithalten und sich anpassen können. Und in der die Stabilität und Ernährungssicherheit, auf die wir Menschen uns verlassen, in sich zusammenbrechen wird. Es ist eine Welt, die geprägt ist von Gefahren, Unsicherheiten, Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten – und Verlusten. Die sichere Existenz der Menschheit steht auf dem Spiel."

"Der Klimawandel ist vom Menschen gemacht, also kann der Mensch ihn auch stoppen"

Gunnar Luderer sieht das ähnlich. "Wir haben überhaupt keine Zeit mehr zu verlieren." Das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, sei nur dann einzuhalten, wenn diese nachhaltige Transformation jetzt sofort angegangen werde. "Eine weitere Verzögerung führt zu einem Überschreiten der 1,5 Grad-Grenze und damit einer deutlichen Verschärfung der Klimarisiken." Zwar sei die Aufgabe riesig, aber machbar: "Der Klimawandel ist vom Menschen gemacht, also kann der Mensch ihn auch stoppen. Wir haben die Möglichkeiten in der Hand, wir müssen sie nur nutzen."

Dabei gehe es jetzt um eine kollektive Anstrengung aller, sagt Steinberger. Die Liste der Schuldzuweisungen sei lang – zu lange seien Journalisten auf die Desinformationskampagnen der fossilen Lobby hereingefallen, Politikerinnen und Politiker, aber auch die Bürger hätten die Klimakrise aufgrund unzureichender Kommunikation durch Wissenschaftler nicht verstanden. "Aber die Frage ist, was wir jetzt mit unserem Wissen tun: Wir haben noch ein kleines Zeitfenster um das Schlimmste zu verhindern, jetzt ist jede und jeder einzelne gefordert, mitzuziehen."

(Mit Materialien von dpa und afp)

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