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Analyse

Wie der Ukraine-Krieg die Klimakrise verschärft und Lebensmittelsicherheit bedroht

An agrarian wears a bulletproof vest during the sowing which takes place 30 km from the front line, Zaporizhzhia Region, southeastern Ukraine, on April 08, 2022. Photo by Dmytro Smoliyenko/Ukrinform/A ...
Weil viele Felder zerstört wurden und Arbeiter in den Krieg ziehen mussten, fällt die Ernte in der Ukraine drastisch geringer aus. Das verschlimmert die Hungerkrise allem voran in afrikanischen Ländern. Bild: abaca / Smoliyenko Dmytro/Ukrinform/ABACA
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Wie der Ukraine-Krieg die Klimakrise verschärft und Lebensmittelsicherheit bedroht

29.04.2022, 17:4108.06.2022, 17:02
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Putins Angriffskrieg in der Ukraine verursacht Tod, Leid, Zerstörung. Doch neben den katastrophalen Auswirkungen auf die Menschen vor Ort treibt der Krieg auch eine weitere Krise mit gravierenden Folgen an – die Klimakrise.

Wie schwerwiegend sich der Krieg auf die Umwelt, die steigende Erderwärmung und die internationale Klimaschutzpolitik auswirken wird, lässt sich der Osteuropa- und Klimaexpertin Astrid Sahm zufolge erst nach dessen Ende sagen. Sahm ist Politologin von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

Klar aber ist schon jetzt: Insbesondere die Belastung der Böden, Luft und Gewässer wird durch die Zerstörung von Ölspeichern, Stahlwerken und weiteren Industrieanlagen zunehmen. Die 15 Atomreaktoren in der Ukraine dramatisieren die Situation zusätzlich.

"Auch Naturschutzgebiete werden zu Kriegsschauplätzen. Daher nimmt auch die Biodiversität Schaden."
Astrid SahmOsteuropa- und klimaexpertin von der stiftung wissenschaft und politik

"Auch die Militärtechnik selbst belastet mit ihrem hohen Treibstoffverbrauch, ihren Geschossen und Minen die Umwelt", erklärt die Politologin gegenüber watson. So verbrauche ein russischer T-72-Panzer auf einer befestigten Straße 250 Liter Benzin je 100 Kilometer, im unebenen Gelände noch einmal mehr, wie Lutz Weischer, Leiter des Berliner Büros von Germanwatch, gegenüber watson erläutert.

Die ersten ersichtlichen Folgen des Krieges auf die Umwelt: Landwirtschaftliche Flächen werden kontaminiert, Fabriken, Treibstofflager und Wälder brennen, das Trinkwasser vergiftet, Nutztiere verenden aufgrund von Futter- und Stromausfällen. "Auch Naturschutzgebiete werden zu Kriegsschauplätzen. Daher nimmt auch die Biodiversität Schaden", ergänzt Sahm.

Der Krieg gefährdet die Ernährungssicherheit

Dass dies die Ernährungssicherheit insbesondere in afrikanischen Ländern gefährdet, prognostizieren Experten schon seit Längerem. "Zum einen verknappen sich die Exporte von Nahrungsmitteln aus den Konfliktgebieten", sagt Stefan Kroll, Senior Researcher der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), gegenüber watson. "Zum anderen macht sich die Verringerung von Düngemittelexporten in anderen Produktionsländern bemerkbar."

Die steigenden Preise für Lebensmittel wirken sich allem voran negativ auf Länder des globalen Südens aus. Denn aufgrund eines geringen Einkommens sowie einem durch die Klimakrise verknappten Angebot an Wasser und Nahrung ist die Bevölkerung ohnehin verletzlicher. Erhöhte Lebensmittelpreise könnten so weitere Konflikte befördern, wie Kroll zu bedenken gibt.

Heuschreckeninvasion, Hochland von Madagaskar, Afrika, Indischer Ozean
Auf Madagaskar gibt es immer wieder Heuschreckenplagen – eine Folge der Klimakrise. Bild: imageBROKER / Josef Niedermeier

Schon heute vernichten Heuschreckenplagen, Dürren und Wasserknappheit ganze Ernten in Teilen Afrikas und des Nahen Ostens. Erst Ende Februar hatte die libanesische Regierung die USA um 20 Millionen US-Dollar gebeten, um die Getreidespeicher wieder auffüllen zu können. Die Abhängigkeit von Importen aus Russland und der Ukraine sind entsprechend groß.

Hungersnot kann zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und Migration führen

Bleiben die Getreidepreise derartig hoch, verschärft sich die Lage allem voran im Norden Afrikas. Grundnahrungsmittel werden dort schon jetzt subventioniert, ohne Zuschüsse reicher Staaten würde es den Regierungen nicht gelingen, die Preisschocks abzufedern.

Fallen die ukrainischen und russischen Importe durch das Kriegsgeschehen plötzlich weg oder drastisch geringer aus, verschlechtert sich die Ernährungslage für die von Hunger bedrohten Menschen nochmals. Das Welternährungsprogramm warnt, dass als Folge des Krieges weltweit bald 330 Millionen Menschen an Hunger leiden könnten, aktuell spricht die UNO-Organisation von rund 276 Millionen hungernden Menschen.

Denn allein aus Russland und der Ukraine stammen rund 31 Prozent der weltweiten Weizenexporte. Auch bei anderen Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln, Karotten, Gurken und Weißkohl zählen die beiden Länder zu den Top-Exporteuren. Beim Mais steht die Ukraine mit knapp 15 Prozent weltweit an vierter Stelle.

"Der Krieg hat also bereits jetzt auch in anderen Ländern spürbare Folgen."
Frank Roseliebkieler institut für krisenforschung

"In diesem Jahr kann wohl noch, wenn auch deutlich reduziert, geerntet werden – mit der Folge weiter steigender Preise", sagt Frank Roselieb, geschäftsführender Direktor des Kieler Instituts für Krisenforschung sowie geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement, gegenüber watson. Im Laufe der Zeit werde sich das aber ändern – durch Verminung ukrainischer Felder, durch den Kriegseinsatz zahlreicher Arbeitskräfte. "Der Krieg hat also bereits jetzt auch in anderen Ländern spürbare Folgen", so Roselieb.

ZAPORIZHZHIA REGION, UKRAINE - APRIL 08, 2022 - An agrarian wears a bulletproof vest during the sowing which takes place 30 km from the front line, Zaporizhzhia Region, southeastern Ukraine, Credit:Dm ...
Die Gefahr bei der Arbeit auf den Feldern in der Ukraine ist durch den Krieg groß. Aus diesem Grund trägt der Landwirt eine schusssichere Weste. Bild: picture alliance / Photoshot

Schwere der Ernährungskrise hängt von westlichen Politikern ab

Wie schlimm die Ernährungskrise und neue Migrationswellen ausfallen, hängt laut der Politologin Astrid Sahm vor allem aber davon ab, ob westliche Politiker aus früheren Krisen, insbesondere dem Arabischen Frühling und dem Syrien-Krieg, gelernt hätten. Denn steigende Lebensmittelpreise waren auch einer der vorherrschenden Gründe des Arabischen Frühlings. "Durch präventive Maßnahmen ließen sich viele negative, konfliktfördernde Folgen des Klimawandels abmildern", so Sahm.

Zu den Problemen durch den Krieg kommen noch die sich ohnehin aufgrund der Erderwärmung vollziehenden Folgen der Klimakrise: So zeigt ein Spezialbericht des Weltklimarates IPCC, dass rund zehn Prozent der heute produktiven Flächen im Jahr 2050 nicht mehr für die Vieh- oder Landwirtschaft geeignet sein könnten.

Effektiver Klimaschutz beugt Konflikte vor

"Die beste Vorbeugung gegen die konfliktverschärfende Wirkung der Klimakrise ist mehr Klimaschutz", betont daher Lutz Weischer, Leiter des Berliner Büros von Germanwatch gegenüber watson. Jedes zehntelgrad Erderwärmung weniger führe zu weniger Konflikten. Das bedeutet, dass jede eingesparte Tonne CO2, jede nicht verbrannte Tonne Kohle, jeder nicht verbrauchte Kubikmeter Gas, jeder eingesparte Liter Öl ein Beitrag zu einer "friedlicheren Welt" ist.

"Um zu verhindern, dass bereits nicht mehr vermeidbare Folgen der Klimakrise zu ernsthaften Konflikten führen, müssen arme Länder und Bevölkerungsgruppen beim Umgang mit diesen Folgen stärker unterstützt werden", sagt Weischer. Reiche Industrienationen wie Deutschland stünden in der Pflicht, die internationale Klimafinanzierung zu erhöhen und so einen "globalen Schutzschirm" gegen die Folgen der Klimakrise aufzuspannen. Zudem brauche es ein Frühwarnsystem, das Länder alarmiert, wenn klimatische Kipppunkte drohen und Handlungsempfehlungen für die Politik formuliert.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze will schnelle Hilfe vorantreiben

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze hat deshalb dafür gekämpft, dass ihr Etat nicht weiter gekürzt wird. Ursprünglich sollte dieser auf 10,8 Milliarden Euro gesenkt werden. Am vergangenen Mittwoch aber genehmigte das Kabinett eine weitere Milliarde. Teile davon will die Ministerin nun für das von ihr kürzlich angekündigte "Globale Bündnis für Ernährungssicherheit" nutzen.

Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin fuer wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, besichtigt die zerstoerten Getreidesilos im Hafen von Beirut. (hier mit dem deutschen Botschafter Andreas Ki ...
Vor einigen Tagen besichtigte Entwicklungsministerin Svenja Schulze die zerstörten Getreidesilos im Libanon. Bild: PHOTOTHEK / Thomas Koehler

Das Bündnis solle unterschiedliche Maßnahmen koordinieren: Zunächst müsse sichergestellt werden, dass die Lagerbestände an Nahrungsmitteln fair verteilt würden und die Preise nicht weiter in die Höhe schießen. Außerdem müssten die Länder wieder mehr Lebensmittel anbauen, um so krisenfester zu werden.

Die Ministerin drängt wie auch Lutz Weischer von Germanwatch darauf, weniger Weizen für die Gewinnung von Biosprit und die Massentierhaltung zu nutzen. "In den von der Ernährungskrise betroffenen Regionen müssen wir ländliche Entwicklung fördern, mit an die Umwelt und die Klimafolgen angepasster, nachhaltiger Landwirtschaft", so Weischer gegenüber watson.

"Konflikte müssen rechtzeitig wahrgenommen werden"

Osteuropa und Klimaexpertin Astrid Sahm sieht das ähnlich: "Wichtig ist, dass konsequent nach nachhaltigen Lösungen gesucht wird – und zwar global, national und lokal." Auch wenn nicht alle durch die Klimakrise verursachten Probleme beseitigt werden könnten, ließen sich bei entsprechender Moderation und sozial gerechter Politik doch konstruktive Lösungen für alle Betroffenen finden. "Dafür müssen Probleme jedoch rechtzeitig wahrgenommen und dürfen nicht verdrängt werden", sagt Sahm.

"Notwendig ist wie bei jedem guten Krisenmanagement ein nüchterner Blick auf die Realitäten – jenseits aller Überzeichnungen."
Frank Roseliebkieler institut für krisenforschung

Frank Roselieb betont aber, dabei keinen Alarmismus zu verbreiten. "Notwendig ist wie bei jedem guten Krisenmanagement ein nüchterner Blick auf die Realitäten – jenseits aller Überzeichnungen." Dass beispielsweise namenhafte Klimaforscher und sogar die Nasa 2007 das Abschmelzen der Pole bis spätestens 2013 voraussagten (die "Welt" berichtete), sei im Rückblick unseriös gewesen.

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