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Ukraine-Krieg: Ausfall von Getreideexporten schwächt internationale Landwirtschaft

Ein nicht abgeerntetes Maisfeld in der Nähe von Kerpen-Türnich ( Rhein-Erft-Kreis NRW ). Aus den vertrockneten Maiskolben gewinnen Bauern ein gehäckseltes Gemisch aus Spindel, kombiniert mit den Körne ...
Durch den Krieg kommt es in der Ukraine und auch in Russland aktuell zu einem Export-Stopp von Millionen Tonnen an Getreide. Die deutsche Landwirtschaft könnte vor allem vom Maismangel getroffen werden.Bild: picture alliance / R4223
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Ukraine: Krieg verknappt internationale Getreidemengen – was das für Deutschland bedeutet

04.03.2022, 11:5508.06.2022, 18:38
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Der Krieg in der Ukraine hat die Getreideexporte aus Russland und der Ukraine abrupt gestoppt – und auch die kommenden Getreideernten werden offensichtlich ausfallen. Denn statt auf ihren Feldern Mais oder Sommergetreide zu säen, kämpfen ukrainische Landwirte jetzt für den Fortbestand ihrer Unabhängigkeit gegenüber Russland.

Ukraine-Krieg verknappt global verfügbare Getreidemengen

Diese Situation hat direkte Auswirkungen auf die weltweiten Getreidemengen, da die Ukraine einer der größten Getreideexporteure der Welt ist. Das ukrainische Ackerland ist flächenmäßig so groß wie ein Viertel aller bestellten Flächen, die es in der gesamten EU gibt. Der komplette Stopp der ukrainischen Landwirtschaft, sowie die Unterbrechung des Schiffsverkehrs am Schwarzen Meer und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland verknappen damit die weltweiten Handelsmengen, vor allem von Weizen, Mais und Gerste.

Russland und die Ukraine stellen nach Angaben einer aktuellen Hochrechnung des Deutschen Raiffeisenverbands zusammen ein Drittel der Weltexporte von Weizen und über ein Drittel der weltweiten Gerstenmengen; die Ukraine ist zudem international der viertgrößte Exporteur von Mais und damit auch ausschlaggebender Zulieferer für die Tierfutterproduktion. Durch einen anhaltenden Krieg in der Ukraine würden somit nach Einschätzung der Hochrechnung für die kommende Saison insgesamt 59 Millionen Tonnen Weizen, 38 Millionen Tonnen Mais und 10,5 Millionen Tonnen Gerste ausfallen.

Kann es zu einem Versorgungsstopp kommen?

"Die Versorgung innerhalb der EU ist nicht gefährdet", teilte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir am Mittwoch in einer offiziellen Pressemitteilung mit.

"Trotzdem halten wir die Auswirkungen auf die Agrarmärkte genau im Blick. Weltweit ist nicht zuletzt wegen der stark gestiegenen Energiekosten mit Preissteigerungen bei Agrarrohstoffen und Düngemitteln zu rechnen. In der Konsequenz können wir auch nicht ausschließen, dass das bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern an der Supermarktkasse ankommt. Wir beobachten die Lage der Märkte weltweit sehr genau."

Friederike Lenz, Pressesprecherin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, erklärt auf Nachfrage von watson: "In Deutschland haben wir eine hohe Selbstversorgung bei den meisten Getreidesorten und sind damit momentan nicht abhängig von Importen."

"In Deutschland haben wir eine hohe Selbstversorgung bei den meisten Getreidesorten."
Friederike Lenz, PressesprecherinBundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft

Die EU betreffend gibt auch Wienke von Schenck, Marktanalystin für Pflanzenanbau bei der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH (AMI) Entwarnung, allerdings nur für bestimmte Getreidesorten: "Beim Mais hat die Ukraine den wichtigsten Marktanteil für die EU, der Weizenanteil dagegen ist für die EU verschwindend gering, da sie selbst neben den USA, Argentinien und Australien zu den weltweit größten Weizenproduzenten gehört", ordnet von Schenck ein. Wenn Deutschland jetzt also keinen Weizen mehr aus der Ukraine bekommen würde, wäre das komplett zu verkraften. Die Situation sähe aber anders aus beim Mais.

Ukraine als wichtigster Maislieferant für die EU

"Der Importmarkt für Mais ist momentan aufgeteilt zwischen Brasilien und der Ukraine. Doch Brasilien hatte in der letzten Saison schlechte Wetterbedingungen und damit eine schlechte Ernte, damit wären wir also noch mehr auf die Exportmengen aus der Ukraine angewiesen", sagt die Marktanalystin auf Nachfrage von watson. Das müsse sich jetzt mit dem Wegfall der Ukraine ändern, "denn wenn die Ukraine jetzt nicht mehr liefert, dann sind es bis September noch sieben Monate, bevor die EU wieder auf eigenen Mais zurückgreifen kann."

Agrarfoto - Getreideernte. Moderner Deutz-Fahr Mähdrescher Modell C9306TS bei gutem Erntewetter auf dem Feld im Ernteeinsatz. Landwirtschaftliches Symbolfoto.
Bild: Countrypixel / FRP

Alternativen zum Mais gebe es beim Futtermittel dabei kaum: "Statt Getreide könnte man sonst eben nur noch Maiskleberfutter nehmen“, erklärt von Schenck gegenüber watson. Maiskleberfutter enthält dabei nur Nebenprodukte, wie Mehlkörperanteile, Schalen oder entölte Keime, die im Laufe des Fabrikationsvorgangs anfallen und den Tieren wenig Nährstoffe bieten. Damit Landwirte ihre Tiere deshalb weiterhin mit richtigem Futter versorgen könnten, würde es also auch indirekt zur Verteuerung von Fleisch- oder Milchprodukten bei deutschen Verbrauchern kommen.

Preissteigerungen übertreffen bereits hohe Transportkosten

Um die fehlenden Maismengen auszugleichen, "wird es Ausweichbewegungen auf Importe aus anderen Ländern wie den USA geben", heißt es aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Auch Serbien oder Moldawien würden jetzt als Exporteure ins Spiel kommen, sie könnten jedoch den Ausfall allein beim Mais mengenmäßig nicht decken, spekuliert auch von Schwenck. Eins sei aber klar: Durch den jetzt erzwungenen Import aus weiter entfernten Ländern steigt der Getreidepreis auch in der EU eher früher als später.

Denn die Aussichten auf die kommende Angebotsverknappung werden bereits jetzt schon auf dem Weltmarkt miteinkalkuliert und führen zu aktuell starken Preissteigerungen bei den Getreidemengen der letzten Ernteerträge, die gerade noch gehandelt werden: Wie die Tagesschau berichtet, sprang der Weizenpreis um rund neun Prozent auf 9,2 Dollar je Scheffel (Getreidemaß, Anm.d.Red.), das ist der höchste Wert seit mehr als neun Jahren.

"Mit veränderten Preisbedingungen werden Importe aus Südafrika inzwischen als Ausweichoption gesehen"
Wienke von Schenck, Marktanalystin für Pflanzenanbau Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH

"Ich sehe es jetzt noch nicht für unmöglich an, dass die Liefermengen, die durch die Ukraine fehlen werden, nicht auch durch die anderen Produktionsländer gedeckt werden können. Aber mit neuen Bezugsquellen anstelle der Ukraine sind natürlich die Lieferwege viel länger", erklärt die Lebensmittelökonomin von Schenck.

So könnte Deutschland beispielsweise bald Mais aus Südafrika beziehen: "Bisher hat es sich nicht gelohnt, von dort Mais in die EU einzuschiffen, aber mit veränderten Preisbedingungen werden Importe aus Südafrika inzwischen als Ausweichoption gesehen", sagt sie. Denn die Preissteigerungen von Mais würden selbst die sehr hohen Transportkosten rechtfertigen – dessen dann entstehende CO2-Emissionen aber umso mehr beim Weltklima zu Buche schlagen.

Steigende Getreidepreise werden zu mehr Hunger führen

Nach Angaben des Fachmagazins agrarheute treffen die höheren Preise für Weizen und Mais vor allem Verbraucherländer im arabischen Raum wie Tunesien, den Libanon, sowie auch die Länder Subsahara-Afrikas, die Türkei und des Nahen Ostens. Diese importieren teilweise 70 Prozent ihres Weizens und sind damit besonders abhängig von der Ukraine. Zudem sind die Vorräte in diesen Ländern zum Ende der laufenden Saison eher gering. Die Probleme der bereits von einer massiven Dürre betroffenen Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens würden dabei durch die Krise zusätzlich verschärft:

"Das ist besonders prekär, da hier große Teile der Bevölkerung durch die Corona-Krise bereits arg in Mitleidenschaft gezogen wurden", sagte Marita Wiggerthale, Agrarexpertin der Hilfsorganisation Oxfam dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Die Menschen dort haben keine Reserven mehr", so Wiggerthale weiter. "Steigende Lebensmittelpreise werden in vielen Regionen zu mehr Hunger führen."

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Um es mal auf den Punkt zu bringen: Nachdem in den letzten Jahren viel Bewegung in den Klimaschutz kam, sieht es heute nicht gut für ihn aus.

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