Spätestens der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas und Öl erschreckend deutlich gemacht. Gleichzeitig erhöhen Energieversorgungsunternehmen ihre Preise drastisch, sodass viele Endverbraucher schon jetzt ihre gestiegenen Nebenkostenabrechnungen kaum bezahlen können. Die Rufe nach Alternativen, vor allem nach einem flächendeckenden Ausbau von Erneuerbaren Energien werden lauter – der läuft allerdings nur schleppend voran.
Für diese Mammutaufgabe hat nun das Bündnis Bürgerenergie einen neuen Vorschlag vorgestellt: Mit einem Energy-Sharing-Konzept sollen auch Privatleute in "Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften" an der Gewinnung von grünem Strom beteiligt werden.
Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) hat das Potenzial, das diese Form der Energiegewinnung birgt, bewertet: Laut einer Untersuchung des IÖW gäbe es in ganz Deutschland geeignete Standorte, sodass sich mehr als 90 Prozent der Menschen in "Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften" zusammenschließen könnten. Diese Standorte würden also den Anforderungen für eine ausreichende Solar- und Windstromgenerierung genügen.
Die Potenzialanalyse des Instituts zeigte zudem, dass bis 2030 allein durch Energy Sharing 42 Prozent des Ausbauziels der Bundesregierung erreicht werden könnte: Die Windenergie an Land soll laut Plänen der Regierung bis zum Jahr 2030 um 40 GW auf dann 100 GW ausgebaut werden, Photovoltaik soll um 140 GW auf 200 GW steigen.
Professor Niklas Höhne, Klimaforscher und Experte für erneuerbare Energien, sieht in dem Konzept eine Chance:
Noch gebe es aber einige Hindernisse bei einer erfolgreichen Umsetzung des Konzepts.
Dafür hat das IÖW nun folgende Empfehlungen ausgesprochen, die zunächst von der Politik umgesetzt werden müssten:
Zum einen müssten die bestehenden Förderinstrumente vom Bund hier greifen können. Zum anderen müsste aber auch die direkte finanzielle Beteiligung durch Privatpersonen an Erneuerbare Energien-Anlagen zugelassen werden. Klappt diese finanzielle Abwicklung, wären Investitionssummen in Höhe von 6,5 Milliarden Euro durch Bürger*innen möglich. Das Energiesystem könnte so schneller dezentral und damit auch resilienter werden.
Damit Energy Sharing im öffentlichen Netz wirtschaftlich möglich ist, müsste der gesetzliche Rahmen an das geltende EU-Recht angepasst werden. So könnten sich Erneuerbare Energien(EE)-Gemeinschaften bilden, die dann nicht nur einzeln, sondern auch gemeinsam in Anlagen investieren und den Strom verbrauchen. Ein angepasster Marktrahmen könnte netzdienliches Verhalten von EE-Gemeinschaften, bei denen Stromerzeugung und -verbrauch räumlich nah beieinanderliegen, im Energiesystem fördern. Außerdem sollten EE-Gemeinschaften hierfür eine angemessene Vergünstigung erhalten.
Neben ideellen Motiven, die lokale Stromproduktion zu fördern, sollten auch finanzielle Anreize Energy-Sharing-Konzepte voranbringen: hier könnten verringerte Stromnebenkosten oder eine Prämienzahlung weiterhelfen. Gleichzeitig sollte der Wechsel in eine EE-Gemeinschaft unkompliziert möglich sein. Das verringert Einstiegsbarrieren und aller Voraussicht nach auch Kosten für die Gemeinschaft.
Auf dem Papier klingt das Konzept wie der perfekte Plan, bei der Umsetzung vom Energy-Sharing hapert's aber bisher noch. Der Energie-Experte Niklas Höhne sieht die "administrativen Hürden" vor allem beim juristischen "Rollenwechsel", bei dem nun eine Privatperson plötzlich zum Energieversorger wird. Diese neue Position bringe oft noch neue Schwierigkeiten mit sich, erklärt er.
Niklas Höhne erklärt das Problem gegenüber watson mit einem Beispiel:
Mit dem "Rollenwechsel" komme es zu einer Veränderung im Geschäftsverhältnis zwischen Mieter und Vermieter. Rechtlich gesehen müsste hier dann wieder eine Zwischeninstanz in den Prozess eingreifen, beziehungsweise wieder ein Energieversorgungsunternehmen. "Und das ist bisher noch das Problem: die Bürgerenergie und die Energiegemeinschaften sind sehr gut von der Theorie, aber es gibt eben noch administrative Hürden, die die erfolgreiche Umsetzung des Konzepts bisher noch verhindern", sagt Höhne.
Das Wirtschaftsministerium sei momentan jedoch schon dabei, die Barrieren zu finden und systematisch aus dem Weg zu räumen. Das könnte zwar noch mehrere Monate dauern, jedoch hält Höhne weiter an der Umsetzung des Konzepts fest: