Mit Premierministerin Jacinda Ardern wurde Neuseeland schon in so mancher Krise zum Vorbild: Im Umgang mit den Terroranschlägen von Christchurch, lange Zeit durch seine strikte Corona-Politik und nun mit der schnellen Reaktion auf die stark gestiegenen Öl- und Gaspreise in der Folge von Putins Krieg in der Ukraine. Denn um einkommensschwächere Menschen schnell und effektiv zu unterstützen, hat Neuseeland nicht nur die Benzinpreise und Mautgebühren gesenkt, sondern kurzerhand auch die Preise für den ÖPNV halbiert.
In Deutschland sieht die Lage anders aus. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat einen staatlichen Tank-Rabatt ins Spiel gebracht – finanziert aus Steuern. "Dem Bundesfinanzminister ist es ein wichtiges Anliegen, die Bürgerinnen und Bürger weiter zu entlasten", erklärt eine Sprecherin des Finanzministeriums auf Anfrage von watson.
"Wichtig ist, dass diese Entlastung schnell und direkt bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommt." Dazu kursierten verschiedene Vorschläge, die noch debattiert würden. So könnte beispielsweise ein staatlicher Zuschuss von 40 Cent pro Liter, befristet auf einen Zeitraum von drei Monaten, ausgezahlt werden. Kosten für den Staat und damit die Steuerzahlenden: 6,6 Milliarden Euro.
Das stößt auf Kritik.
Auch und vor allem, weil der Vorschlag weder die Klimakrise mitdenkt, noch sozial gerecht ist. Der Grund: Die finanzielle Entlastung würde nicht bei den einkommensschwächeren Menschen ankommen, sondern bei denjenigen, die ein eigenes Auto besitzen. Und einem Positionspapier des Umweltbundesamtes (UBA) zufolge, besitzen Menschen umso seltener ein Auto, je geringer ihr Einkommen ist. Und umgekehrt: Je höher das Einkommen, umso häufiger verfügt ein Haushalt über mindestens ein, wenn nicht sogar mehrere Autos.
Menschen ohne Auto würden also auf ihren hohen Heizkosten sitzenbleiben. Es sei denn, sie zählen zu den Wohngeldempfängern, Studierenden oder Auszubildenden, die von dem an diesem Mittwoch beschlossenen Heizkostenzuschuss in Höhe von bis zu 270 Euro profitieren. Nach früheren Angaben betrifft das rund 2,1 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland.
"Wohlhabende Menschen in Deutschland sorgen für die immense Verkehrsbelastung durch immer größere Autos, beziehen immer mehr Pendlerpauschale und profitieren davon überproportional", kritisiert der Mobilitätsexperte Stefan Carsten, der im Beirat des Bundesverkehrsministeriums "Strategische Leitlinien für den ÖPNV" sitzt, zu watson. "Die Statistik zeigt, dass nur wenige Menschen von steigenden Spritpreisen wirklich betroffen sind. Alles andere ist ein Aufschrei der Autogesellschaft, in der wir immer noch leben."
Carsten ist der Meinung, dass das Auto auch in Zukunft viel stärker im öffentlichen Diskurs stehen "muss und wird". Dabei sei der Bundesverkehrsminister genauso gefordert wie die Städte und Gemeinden selbst. "Noch immer blockieren Autos – gefahren oder geparkt – rund 50 bis 60 Prozent des öffentlichen Raumes. Hier gilt es anzusetzen, um nachhaltige und attraktive öffentliche Räume und damit Mobilität zu gewährleisten."
Einige Städte, wie beispielsweise Heidelberg, hätten hier schon eine Pionierrolle eingenommen und Klimaschutz und Verkehr zum wirtschaftlichen Standortfaktor werden lassen. Dass es sich dabei um Investitionen in die Zukunftsfähigkeit der Städte handele, würden viele laut Carsten aber erst dann realisieren, "wenn die negativen Folgen des Klimawandels und der Verkehrsbelastung offenbar werden".
Aber warum klappt in Deutschland nicht, was in Neuseeland scheinbar mühelos funktioniert? "Weil die deutsche Bundesregierung die systemische Verknüpfung der Mobilität nicht versteht", erklärt Carsten. "Der ÖPNV ist das soziale und ökologische Rückgrat des Verkehrs, der wahrscheinlich niemals in die schwarzen Zahlen kommen wird." Aber das müsse er auch gar nicht. "Denn der ÖPNV ist ein Ermöglicher von Mobilität, den es nicht nur in der Innenstadt gibt, sondern – und da werden sich die ländlichen Regionen auch bewegen müssen – auch auf dem Land."
Carsten ergänzt:
Zwar würden Politikerinnen und Politiker immerzu über die Verkehrswende sprechen, "aber eigentlich wollen sie sie nicht", so Carsten. Er geht davon aus, dass die Politiker die Verkehrswende als Wachstumsbremse verstehen würden. "Anders ist dies nicht zu erklären. Aber genau das Gegenteil ist der Fall: Paris, Mailand, Brüssel sind nur einige wenige Städte, die dies verstanden haben und entsprechend umsetzen."
Auch die Europa-Politikerin Delara Burkhardt (SPD) hält die Senkung von Ticketpreisen im ÖPNV für "absolut sinnvoll": "Der Tankrabatt ist ein Subventionsprogramm für die Mineralölindustrie und entlastet nicht diejenigen, für die die steigenden Energiepreise die größte Armutsfalle sind." Anders sei das beim Heizkostenzuschuss – der entlaste an der richtigen Stelle. Die Jusos würden daher eine Halbierung der Ticketpreise im ÖPNV und Fernverkehr fordern. "Das finde ich richtig", sagt Burkhardt gegenüber watson – allerdings ist das "aber natürlich nicht die Lösung für alles".
Sie fügt hinzu:
Laut einer Umfrage im Auftrag der KfW würden in Deutschland bislang vor allem in Städten mehr Menschen auf den ÖPNV umsteigen, wenn dieser günstiger wäre. Auf dem Land ist allem voran die schlechte Anbindung ein Hindernis für den Umstieg vom Auto auf Bus und Bahn.
Auch in der Grünen Jugend werden Stimmen laut, die eine schnelle Entlastung der Bürgerinnen und Bürger fordern. "Dafür bietet sich zum Beispiel ein Energiegeld an. Denn das würde den Menschen sowohl bei den steigenden Preisen an der Tankstelle, als auch bei den steigenden Heizkosten, die wir alle erleben, helfen", sagt Sarah-Lee Heinrich, Bundessprecherin der Grünen Jugend, im Gespräch mit watson. Ein Tank-Rabatt hingegen sei einseitig. Hinzu komme, dass nicht sicher sei, ob die steigenden Preise an der Tankstelle überhaupt mit den hohen Ölpreisen zusammenhingen, oder ob nicht vielmehr die Raffinerien an den erhöhten Preisen verdienen würden.
Würde man sich jetzt auf den öffentlichen Nah- und Fernverkehr und darauf konzentrieren, "dass jeder günstig und schnell von A nach B kommt, dann würden wir damit unabhängiger von fossilen Energien und das wäre in der jetzigen außenpolitischen Lage total wichtig", so Heinrich weiter. Dadurch, dass sowohl der Bund, als auch die Länder und Kommunen an der Umsetzung einer Halbierung der Ticketpreise beteiligt wären, sei eine Verwirklichung dessen sicherlich nicht einfach. "Aber jetzt gerade muss die Politik eben beweisen, dass sie handlungsfähig ist und es schafft, die Menschen schnell zu entlasten. Auf die Deutsche Bahn hat die Regierung beispielsweise auch direkteren Zugriff."
Die Deutsche Bahn hält ihr Angebot, auch mit Blick auf die derzeitige Lage, für ausreichend. Auf eine Anfrage von watson erklärt eine Sprecherin, preiswerte Mobilität ermöglichen zu wollen: "Und das gelingt uns auch. So kostet eine Fahrt im Fernverkehr derzeit etwa so viel, wie im Jahr 2021." Auch gäbe es seit Dezember speziell für junge Reisende einen besonderen Rabatt. Auf die Frage, ob sie die Ticketpreise noch einmal senken würden, um die Menschen explizit von den steigenden Öl- und Gaspreisen zu entlasten, wollte die Deutsche Bahn sich nicht äußern.