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Fridays for Future: Carla Reemtsma prangert alle Parteien vor Bundestagswahl an

Die Aktivistin Carla Reemtsma ist deutschlandweite Sprecherin der Klimabewegung Fridays for Future. Sie vertritt die Bewegung in der medialen Öffentlichkeit.
Die Aktivistin Carla Reemtsma ist deutschlandweite Sprecherin der Klimabewegung Fridays for Future. Sie vertritt die Bewegung in der medialen Öffentlichkeit.null / watson
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Fridays-for-Future-Aktivistin Carla Reemtsma im Interview: "Diese Wahl kann keine ausreichende Kehrtwende bringen"

26.09.2021, 11:0126.09.2021, 15:07
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Carla Reemtsma ist eine deutsche Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future, der von der schwedischen Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg ins Leben gerufen wurde. Als Sprecherin vertritt die 23-jährige die Bewegung in der medialen Öffentlichkeit in Deutschland.

watson sprach mit Carla Reemtsma in Berlin kurz beim Klimastreik.

watson: Du sprichst in deinem Gastbeitrag bei watson davon, dass nicht der Einzelne Schuld an der Klimakrise hat, der mit dem Auto zur Frühschicht fährt, sondern die "schmutzige" Industrie: Aber was könnte denn deiner Meinung nach der Einzelne am effektivsten tun?

Carla Reemtsma: Zum Klimastreik kommen und sich in der Klimagerechtigkeit-Bewegung für konsequenten Klimaschutz einsetzen. Solange es 100 Konzerne sind, die für 71 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich sind, ist es klar, wir werden die Klimakrise nicht durch einzelne minimale Stellschrauben lösen. Es braucht die großen politischen Hebel.

Ihr von Fridays for Future sagt, ihr macht keine Wahlwerbung für die Grünen, aber man soll seine Wahlentscheidung für das Klima treffen: Was sagst du Leuten, die nicht wissen, wie oder wen sie da am besten wählen müssen? Unter welchen Gesichtspunkten sollten sie sich entscheiden?

Es gibt genug Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger, das mündig selber zu entscheiden. Man muss dafür nicht 80-seitige Wahlprogramme lesen. Verschiedenste wissenschaftliche Institute haben außerdem Einschätzungen abgegeben zum Klimaschutz, aber auch zu anderen Themen.

"Solange es 100 Konzerne sind, die für 71 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich sind, ist es klar, wir werden die Klimakrise nicht durch einzelne minimale Stellschrauben lösen."

Warum haben wir es nicht früher geschafft, das Ruder in der Klimakrise herumzureißen?

Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten erlebt, dass insbesondere die Industriestaaten im globalen Norden ihren Wohlstand aufgebaut haben auf der Ausbeutung von Ressourcen und Menschen – insbesondere in Ländern des globalen Südens. Das ist ein systemisches Problem, vor dem wir hier stehen. Diese Ausbeutung setzt sich weiter fort, auch in Scheinlösungen der Klimakrise, wie beispielsweise E-Autos, die jetzt alle Verbrenner ersetzen sollen. Dabei werde aber trotzdem Menschen für die Rohstoffe ausgebeutet.

DEU, Deutschland, Nordrhein-Westfalen, M�nster, 24.05.2019: SPD-M�nster, Umweltgespr�ch mit der Bundesumweltministerin und Fridays for Future M�nster. Carla Reemtsma, Fridays for Future M�nster *** DE ...
Carla Reemtsma beim Umweltgespräch im Jahr 2019. Bild: mago

Und das ist nichts, woraus der Einzelne so schnell ausbrechen kann, dafür brauchen wir ein gesamtgesellschaftliches, kollektives Umdenken. Auch angesichts der Lobby-Gruppen der fossilen Konzerne, die diese Interessen stark in den politischen Betrieb einbringen, da braucht es mehr als nur den Einzelnen, der sagt: "Ich wähle jetzt vernünftig". Sondern wir brauchen die politische Veränderung.

Glaubst du, dass diese Wahl endlich eine Kehrtwende für die Klimapolitik in Deutschland sein könnte?

Diese Wahl kann keine ausreichende Kehrtwende bringen, denn keine Partei, geschweige denn alle Parteien, haben ein ernsthaftes Programm, das kompatibel ist mit der Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze. Dementsprechend wird zwar die nächste Regierung Rahmenbedingungen für die Klimapolitik legen, aber es braucht Druck von der Straße, der klarmacht: Wir fordern konsequent 1,5 Grad an gerechtem Klimaschutz. Der Protest muss weitergehen.

Was würdest du gerne den Eltern und Großeltern der jungen Menschen sagen, die heute auf der Straße demonstrieren gehen?

Hört euren Kids zu, sprecht mit ihnen. Was ich tagtäglich erlebe, ist, dass alle so viel mehr draufhaben, als uns oft unterstellt wird. Die Leute sind so inspirierend, wissbegierig und die wissen wirklich, wirklich viel. Hört ihnen zu und denkt einmal über die nächsten vier Jahre hinaus über eure Wahlentscheidung nach, aber kommt auch zum Klimastreik und unterstützt eure Kinder, die sich da engagieren.

Was würdest du der SPD entgegnen, die sagt, man kann keine so radikalen und schnellen Klimakehrtwende schaffen, ohne die soziale Gerechtigkeit zu gefährden, zum Beispiel durch Jobverlust?

Wir fordern einen sozial gerechten, ökologischen Systemwechsel. Wir stehen hier mit Gewerkschaften, mit migrantischen Initiativen, mit Beschäftigen aus den Krankenhäusern Berlin und machen ihnen klar, wir lassen uns nicht spalten. Das Argument der sozialen Gerechtigkeit wird auch häufig vorgebracht, um Klimaschutz ausbremsen. Obwohl längst klar ist, wir können auch die Klimaschutzmaßnahmen, die sehr sehr konsequent sind, sehr gerecht umsetzen. Das müssen wir tun und das gegeneinander auszuspielen zeigt einfach nur, dass die Leute die Dringlichkeit der Klimadebatte nicht verstanden haben, noch sie wirklich ernst nehmen.

"Diese Ausbeutung setzt sich weiter fort, auch in Scheinlösungen der Klimakrise, wie beispielsweise E-Autos, die jetzt alle Verbrenner ersetzen sollen."

Aber wäre es für euch auch okay, wenn der Klimawandel langsamer, aber sozial gerecht passiert?

Die 1,5 Grad-Grenze ist der Rahmen, in dem wir uns bewegen müssen. Wir wissen auch, dass die Maßnahmen, die dafür notwendig sind, radikal wirken mögen, aber wir können diese sozial gerecht ausgestalten. Es kann kein Argument sein, das gegeneinander auszuspielen und darüber einen Schnelligkeitsaspekt aufzumachen. Es ist eine Frage der Ausgestaltung. Es wird dann radikal, wenn wir keinen ausreichenden Klimaschutz machen, denn dann werden die Klimafolgen, die wir schon heute so vielfältig erleben in Form von Hungersnöten, Dürren, Überschwemmung und Wasserknappheit, immer extremer. Radikaler als Klimaschutz ist es, nichts zu machen.

Was machst du nach der Demo? Vegan Essengehen mit Luisa und Greta oder Interviews geben bis spät in die Nacht?

Wir werden hier abbauen, bis das alles wieder aufgeräumt ist. Das dauert immer länger als man denkt. Und dann werden wir uns vielleicht im Klimacamp treffen.

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