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"Reicht nicht": Fridays for Future äußern sich zum Koalitionsvertrag

Die Fridays for Future-Aktivisten kämpfen für die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels. An der Spitze des Demozuges: Luisa Neubauer (l.) und Annika Rittmann (r.).
Die Fridays for Future-Aktivisten kämpfen für die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels. An der Spitze des Demozuges: Luisa Neubauer (l.) und Annika Rittmann (r.). fridays for future
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Fridays for Future zum Koalitionsvertrag: "Für die Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze braucht es einen viel klareren, ambitionierteren Koalitionsvertrag. All das macht mich wütend"

25.11.2021, 15:2725.11.2021, 18:58
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Nach wochenlangen Verhandlungen haben sich SPD, Grüne und FDP auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. "Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität", schreiben die Ampelparteien auf den ersten Seiten des Koalitionsvertrags. "Wir schaffen ein Regelwerk, das den Weg frei macht für Innovationen und Maßnahmen, um Deutschland auf den 1,5 Grad-Pfad zu bringen."

Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen, der Kohleausstieg soll vorgezogen werden – "idealerweise" auf 2030. Die Transformation der Autoindustrie zur Elektromobilität wird gefördert, der Aufbau einer Wasserstoffnetzinfrastruktur ebenfalls. Bis 2045 soll Deutschland dann klimaneutral sein.

Das klingt erst einmal nach einem Fortschritt. Doch lässt sich das 1,5 Grad-Ziel damit tatsächlich erreichen? Und was halten Fridays for Future-Aktivistinnen vom Koalitionsvertrag? Watson hat nachgefragt.

Reicht das aus, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen?

Carla Reemtsma: Das, was die da präsentiert haben, reicht bei Weitem nicht aus, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Und das allein ist schon ein riesiger Skandal – immerhin haben sich alle drei Parteien vor der Wahl und ja auch immer wieder im Koalitionspapier klar dafür ausgesprochen, am 1,5 Grad-Ziel festzuhalten. Es fehlen aber die Maßnahmen, um das auch tatsächlich zu erreichen. Ein Kohleausstieg, der "idealerweise" 2030 kommt und ein Gasaustieg frühestens 2040, wenn wir schon 2035 klimaneutral sein müssten, reichen einfach nicht. Da sieht man mal wieder, dass schöne Worte allein nicht reichen – es braucht auch die entsprechenden politischen Taten.

Annika Rittmann: Mit diesem Koalitionsvertrag haben alle ihr Wahlversprechen gebrochen, die 1,5 Grad-Grenze einzuhalten. Dabei geht es nicht darum, dass wir diesen Koalitionsvertrag nicht ausreichend finden, sondern dass er der eskalierenden Klimakrise und damit der Realität in der wir alle leben, nicht gerecht wird. Wir haben als Klimagerechtigkeitsbewegung einige wichtige Maßnahmen, wie beispielsweise den Kohleausstieg, erkämpft. Und wir werden auf der Straße Klimagerechtigkeit erkämpfen, anstatt Hoffnung in Politikerinnen und Politiker zu haben, die den Ernst der Lage anscheinend noch nicht verstanden haben.

Pauline Brünger: Nein, der Koalitionsvertrag ist eindeutig nicht 1,5 Grad-konform. An allererster Stelle orientiert er sich nicht an dem durch Paris festgelegten, uns noch verbleibenden CO2-Budget. Physikalische Grenzen werden nicht durch politische Kompromisse, willkürliche Jahreszahlen oder schwammige Zielsetzungen eingehalten. Die Wissenschaft prognostiziert uns Wasserknappheit, Verteilungskriege und häufigere unbekannte Krankheiten. In einer solchen Krise reichen einzelne Schritte nicht mehr aus. Für die Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze braucht es einen viel klareren, ambitionierteren Koalitionsvertrag. All das ist enttäuschend und macht mich wütend.

Line Niedeggen: Es wird der Realität der Klimakrise nicht gerecht. Die Transformation, deren Notwendigkeit überall zu spüren ist, ist nicht im Koalitionsvertrag angekommen. Es gibt keine Idee von Klimagerechtigkeit, kein CO2-Budget, keinen verhältnismäßigen CO2-Preis, keine gerechte Mobilitätswende und auch die Abschaffung industrieller Landwirtschaft fehlt. Optimistisch macht mich, dass wir als weltweite, breite Bewegung jede Grundlage haben, in den nächsten Jahren echte 1,5 Grad-Politik zu erkämpfen.

Louis Motaal: Besonders ist der historische Zeitpunkt der Verhandlungen. Die Klimakrise eskaliert weltweit und eine neue Regierung müsste mutige und effiziente Notfallmaßnahmen ergreifen um unvermeidbare Katastrophen in Zukunft zu verhindern. Unklare Ansagen wie ein Kohleausstieg, der "idealerweise" 2030 kommen soll, sind realitätsfern und bringen uns eben nicht auf den 1,5 Grad-Pfad.

[M] Ein gelbes, zerkratztes Hinweisschild mit der Aufschrift "Energiewende" vor einigen Windkraftanlagen und einem im Aufbau befindlichen Freileitungsmast. Composing als Symbolbild in Bezug  ...
"Schritt für Schritt" soll das fossile Zeitalter beendet werden – mit dem Kohleausstieg, der "idealerweise" auf 2030 vorgezogen werden soll. Bild: SULUPRESS.DE / Torsten Sukrow/SULUPRESS.DE

Die Ampel-Parteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag auch auf die Verteilung der Ressorts geeinigt. Die SPD erhält sieben Ministerien, darunter das Amt des Kanzleramtschefs. Die Grünen werden fünf Ministerien leiten, darunter das neue Superministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, für das es bislang noch keinen Namen gibt. Die FDP übernimmt die Leitung von vier Ministerien.

Ministerien der SPD

  • Kanzler und Kanzleramt
  • Innen
  • Verteidigung
  • Bauen & Wohnen
  • Arbeit & Soziales
  • Gesundheit
  • Wirtschaftliche Zusammenarbeit

Ministerien der Grünen

  • Wirtschaft & Klima
  • Auswärtiges Amt
  • Familie
  • Landwirtschaft
  • Umwelt und Verbraucherschutz

Ministerien der FDP

  • Finanzen
  • Justiz
  • Verkehr
  • Bildung & Forschung

Wie schätzt ihr die Ressortverteilung ein, um Klimaschutz durchzubringen?

Carla Reemtsma: Ich glaube, dass sich das erst einschätzen lässt, wenn die politische Arbeit auch tatsächlich losgeht. Einen besonderen Blick wird man sicherlich auf das Verkehrsministerium unter der FDP haben, die ja bislang nicht mit besonders vielen Klimaschutzmaßnahmen aufgefallen ist, im Gegenteil. Sie setzen immer noch auf synthetische Kraftstoffe, obwohl selbst die Autohersteller mittlerweile sehen, dass sich das wirtschaftliche nicht lohnt. Es gibt weiterhin kein Tempolimit, obwohl das eine einfache Möglichkeit wäre, CO2 einzusparen. Ich bin mir also ziemlich sicher, dass viele da genauer hinschauen werden.

Nick Heubeck (l-r), Pauline Brünger, Sebastian Grieme und Carla Reemtsma, Fridays for Future-Aktivisten, sprechen bei einer Pressekonferenz zu den Erwartungen an das Klimakabinett und zum bevorstehend ...
Schon im vergangenen Jahr sprachen Pauline Brünger (l.) und Carla Reemtsma (r.) mit zwei weiteren Fridays for Future-Aktivisten über die Erwartungen an das Klimakabinett. Mit dem von den Ampel-Parteien vorgestellten Koalitionsvertrag werden die Erwartungen der Aktivistinnen jedoch bitter enttäuscht.Bild: dpa / Jörg Carstensen

Annika Rittmann: Wir befinden uns in der wohl größten Krise der Menschheit. Diese wird weder eine Partei noch ein Ministerium lösen. Das bedeutet, dass alle Parteien und Minister:innen Verantwortung übernehmen und ihre Ziele anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse überarbeiten müssen. Dennoch wird zum Beispiel mit dem Klimacheck im Klimaministerium ein richtiger Schritt gemacht, der allerdings nur funktionieren kann, wenn er auf einem 1,5 Grad-konformen CO2-Budget beruht und nicht jede beliebige Begründung akzeptiert.

Pauline Brünger: Dass wir einen gesamtgesellschaftlichen und sozialgerechten Wandel statt purem Vertrauen in Wirtschaft und Innovation brauchen, scheinen die Ampel-Parteien nicht erkannt zu haben. Seit Jahren ist klar, dass nicht neue Technologien in Zukunft, sondern sozial-gerechte Verteilung von Ressourcen und eine ganzheitliche Transformierung unseres Systems die Klimakrise eindämmen werden. Es ist Aufgabe der gesamten Regierung, der Klimakatastrophe endlich in die Augen zu sehen und das Problem von Grund auf anzupacken.

Line Niedeggen: Wenn Christian Lindner Finanzminister wird, muss ihm klar werden, dass der Markt keine Ressourcen regeln kann. Gerade dort, wo das Geld verteilt wird, muss Gerechtigkeit im Zentrum stehen und dafür ist die FDP bisher nicht bekannt. Die Klimakrise ist kein Ein-Parteien-Thema. Ohne einen Richtungswechsel in der Finanzpolitik wird die Klimakrise ungebremst eskalieren, da reicht kein Ankurbeln des Marktes für erneuerbare Energien. Besonders Deutschland muss umfassend Gelder für die Regionen bereitstellen, die schon heute am stärksten von der Klimakrise betroffen sind.

Louis Motaal: Das grundlegende Problem der Regierung ist ja, dass manche Parteien das Gefühl haben, sie wären für Klimaschutz nicht zuständig. Dabei muss in allen Bereichen ein Paradigmenwechsel hin zu konsequentem Klimaschutz stattfinden. In einem FDP-geführten Verkehrsministerium kann ich mir das nicht vorstellen.

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