Vor dem Bundestag leuchtet ein Lichtermeer. Man sieht die einzelnen Köpfe nicht mehr, aber ihre Rufe hört man noch sehr gut, sie skandieren: "This is what democracy looks like!" und "Ganz Berlin hasst die AfD". Auf der Bühne sprechen Klimaaktivist:innen, die Gewerkschaft Verdi, Seawatch und der neue Vorsitz der Diakonie. Auch Kinder sind Teil der Menschenmasse, sie halten Schilder hoch, auf denen Sprüche wie "Bunt statt Braun" oder "Nazis – Nein Danke!" stehen.
Das sind die Bilder, die seit dem vergangenen Sonntag durch die Welt gegangen sind. Dahinter stehen Zahlen, die man sich gar nicht vorstellen kann – 350.000 Menschen etwa sind in Berlin auf die Straße gegangen, 1,5 Millionen in ganz Deutschland. Aber auch 16.000 in Halle und 40.000 in Dresden.
Lange lag sich Deutschlands Demokratie nicht mehr so in den Armen. Und wir von Fridays for Future stehen mittendrin. Die Berliner Demos haben wir organisiert, die in München und in Hamburg auch. In vielen Städten haben Aktivistinnen in den letzten Tagen telefoniert, angemeldet, geplant, Bündnisse geschmiedet und mobilisiert.
Und das ist gut so. Große Demonstrationen, in kurzer Zeit geplant und auf die Beine gestellt, sind Teil unserer DNA. Und das ist richtig, weil Klimaschutz nicht ohne Demokratie funktionieren kann. Um es kurz zu sagen: Es ist ziemlich schwer bis praktisch unmöglich, in einer Nicht-Demokratie sinnvollen Klimaschutz voran zu bringen.
Und es ist ähnlich schwer bis unmöglich, die Demokratie zu schützen, wenn die Klimakrise voran schreitet und Flutkatastrophen, Lebensmittelknappheit, Inflation, globale Wirtschaftskrisen und irgendwann auch unlösbare Verteilungsfragen die Welt erschüttern.
Einen ersten Vorgeschmack auf Letzteres erleben wir bereits. Schon jetzt schlägt Krise für Krise in die Gesellschaft ein. Wir sehen, wie Rechtspopulisten daraus beste Bedingungen erzielen, um Zustimmung zu gewinnen. Es gibt große soziale Defizite in Deutschland und sie bieten eine Chance, um sogar Klimaschutzpolitik zu einem heiklen Thema zu machen: Denn Rechte sind gut darin, einen naturgegebenen Widerspruch zwischen Klima und Sozialem aufzumachen. Aus wissenschaftlicher Notwendigkeit wird plötzlich Polarisierung und Kulturkampf.
Populismus gewinnt durch Widersprüche. Das macht ihn auch so entsetzlich undemokratisch. Demokratie lebt von dem Gedanken, dass wir durch die Aushandlung verschiedener Interessen, Perspektiven und Meinungen gewinnen. Demokratie lebt davon, dass eine gute Politik Menschen für sich gewinnen muss, um Realität zu werden. Und dass wir das gemeinsam schaffen, so unterschiedlich unsere Positionen zunächst auch sein mögen.
Populismus hingegen versucht, zwischen verschiedenen Interessen einen Graben zu ziehen, den man nicht überwinden kann. Damit wird aus jedem Aushandlungsprozess ein Kampf, bei dem nur der Stärkere siegen kann.
Von guter und sozialer Klimapolitik profitieren aber wir alle. Sei es öffentlicher Personenverkehr, der so gut ausgebaut ist, dass kaum jemand auf ein Auto angewiesen ist, sei es die Energiewende, die uns, günstigen und sauberen Strom verschafft. Dadurch zusätzlich auch noch Unabhängigkeit von Autokratien – was will man mehr?
Damit wir aber Überhaupt eine Chance haben, über all diese Dinge zu sprechen und Lösungen voranzutreiben, muss das Fundament stehen. Die Demokratie muss stehen.
Gleichzeitig ist es auch dramatisch, dass es wieder wir sind. Es ist für mich schwer begreiflich, wie es sinnvoll sein kann, dass wieder eine gesamtgesellschaftliche Frage auf unserer nun doch recht jungen Bewegung lastet. Dass wir unser Thema, den Klimaschutz, hinten anstellen müssen, um zu tun, was getan werden muss.
Massenproteste gegen rechts sind sehr wirksam. Bei den Wahlen in Italien 2020 konnten sie vier Prozent der Stimmen von rechten Parteien abgewinnen und die neuen Wahlumfragen deuten darauf hin, dass auch unsere Demos bereits etwas bewegt haben – ganze zwei Prozent der AfD-Stimmen, sagen Hochrechnungen. Gleichzeitig sind sie eine brenzlige Gratwanderung, denn sie müssen in die Breite wirken, und Meinungen ändern.
Bei dieser Frage setze ich auf Konservative. Ich setze auf sie, weil sie die Demokratie der letzten Jahrzehnte maßgeblich geprägt haben und weil sie die Macht haben, jetzt der entscheidende Hebel zu sein, um sie zu bewahren. Ein Teil dieser Macht ist auch die Brandmauer. Das Versprechen, dass eine Koalition mit rechtsradikalen Parteien ausgeschlossen wird.
Denn das ist eine wesentliche Versicherung, dass wir nicht nach jeder Wahl, bei der eine faschistische Partei mehr als fünf Prozent der Stimmen holt, darum zittern müssen, dass bald Faschisten in Regierungen sitzen.
Die Beteiligung von Demokraten jeglicher Couleur ermöglicht außerdem, dass wir die notwendige Trennschärfe schaffen. Ein erfolgreicher Demokratie-Protest beruft sich auf das Wesentliche. Den Kern unserer Demokratie können wir nur benennen, wenn wir diese Demokratie überhaupt erstmal in ihrer Breite abbilden können. Das geht nicht, wenn wir nur in Berlin auf der Straße stehen oder wenn es nur Progressive sind, die gerade laut werden.
Sicherlich, das ist ein Prozess, der von mehreren Seiten ausgeht. So wie ich kein Verständnis für Konservative habe, die Aufstehen gerade nicht als ihre Aufgabe sehen, habe ich auch herzlich wenig Verständnis für Gleichsetzungen von Scholz, Lindner oder der ganzen Union mit der AfD. Das ist falsch, das verharmlost diese faschistische Partei und der Fokus geht verloren. Wie sollen denn so je eine gute Klimapolitik oder Sozialpolitik und eine gerechte Asylpolitik Realität werden?
Es ist an der Zeit, dass wir uns nicht mehr danach ausrichten, Recht zu haben – sondern zu gewinnen. Wir müssen zwei Dinge gewinnen: Stimmen an Demokraten und Vertrauen in die Demokratie – und eine Abgrenzung all derer, die Teil der Demokratie sind, nach rechts, zu den Feinden der Demokratie.
Meine Generation hat jetzt schon einiges an Desillusionierung mitgenommen. Erst die Klimakrise und die Erkenntnis, dass die sichere Zukunft nicht von allein kommt, sondern mühsam erstritten werden muss. Also haben wir eine Bewegung aufgebaut. Dann kam der Krieg nach Europa. Die Friedensunion und das Versprechen, dass Kriege in Europa der Vergangenheit angehören, wurde von Russland brutal angegriffen.
Jetzt, im Jahr 2024, gesellt sich ein weiteres Fragezeichen hinter das große Versprechen: "Nie Wieder". Das dürfen wir nicht so stehen lassen. Auf dass wir als Demokraten eine gemeinsame Antwort finden.