Zentraler Klimastreik: Tausende Menschen demonstrieren für mehr Klimaschutz in Berlin.Bild: IMAGO / Mike Schmidt
Gastbeitrag
Charlotte Stenzel, gastautorin
Die Klimakrise eskaliert – und Aktivist:innen kleben sich auf die Straße, gehen in den Hungerstreik, besetzen Universitäten. Es wird so oft gefragt: Wird die Klimabewegung jetzt radikaler? Ist Fridays for Future gescheitert?
Jede Frage danach ist eine Frage, die unsere Aktionsformen in den Fokus rückt. Was dabei nicht mehr beachtet wird, ist der Grund für unseren Protest. In einer eskalierenden Klimakrise brauchen wir dringend Konversationen über die Radikalität dessen, was wir als "normal" bezeichnen. Über die aufgeschobenen Entscheidungen, die verlagerte Verantwortung und das katastrophale Versagen unserer Politiker:innen, angemessen zu reagieren. Stattdessen wird immer wieder nur gefragt, wann Protest legitim ist.
Zeit zu zögern ist abgelaufen: "Es ist mindestens viertel nach zwölf"
Bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage verstricken wir uns in Plattitüden. Jede Debatte über den Zeitrahmen, den uns die Klimakrise steckt, beginnt damit, wie viel Zeit wir schon verloren haben. Unsere Headlines von 2019 sind aktueller denn je. Jeder hart erkämpfte Wandel weg von der Klimawandelleugnung erscheint klein, wenn man sich das aktuelle Greenwashing anschaut. Es ist nicht mehr fünf vor zwölf, es ist mindestens viertel nach zwölf.
"Der Weg, den es gibt, um Regierungen zum Handeln zu bringen, ist Präsenz und Protest."
Es gibt eine eklatante Diskrepanz zwischen dem Punkt, den wir erreichen müssen, beziehungsweise dem Tempo, in dem wir handeln müssten, und dem Status Quo der Geschwindigkeit und der Tragweite politischer Entscheidungen.
Alle zwei Wochen melden sich Aktivist:innen von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort.bild: watson
Es steht zu viel auf dem Spiel, um den Kopf in den Sand zu stecken. Gegen jedes zehntel Grad Erhitzung zu kämpfen, ist plötzlich keine Kleinigkeit mehr, wenn man sich die Folgen anschaut. Und so sehr Klimaschutz ein urdemokratisches Thema sein muss, weil die Klimakrise weltweit Menschenrechte in Gefahr bringt und zur Destabilisierung von Gesellschaften beitragen wird, so muss auch jedes Handeln dagegen demokratisch basiert sein.
Der Weg, den es gibt, um Regierungen zum Handeln zu bringen, ist Präsenz und Protest.
Protestformen: Mehrheiten schaffen oder Aufsehen erzeugen?
Aber nicht jeder Protest hat das gleiche Ziel. Nicht jede Aktion möchte gesellschaftliche Transformation voranbringen und Menschen für den Wandel begeistern. Mehrheiten zu schaffen und aufzuzeigen ist ein entscheidender Beitrag. Aber auch die Aufmerksamkeit der öffentlichen Debatte (wieder) zu finden, die Dringlichkeit aufzuzeigen und Entscheidungstragende konkret zu adressieren, gehört zu zivilem Protest.
Das wird oft missverstanden – friedlich zu sein, hat viel mit Gewaltfreiheit und wenig mit Harmonie oder Bequemlichkeit zu tun.
Als Klimaaktivist:innen fragen wir uns regelmäßig, wie wir am meisten erreichen können. Und die Antwort darauf ist: Arbeitsteilung. Mehrheiten für gesellschaftliche Transformation schaffen, das können wir bei Fridays for Future sehr gut. 1,4 Millionen Menschen haben wir 2019 auf die Straße gebracht, viele weitere Millionen in den drei Jahren seitdem – wir sind die größte Jugendbewegung unserer Zeit.
Während wir also anschlussfähig sind, erzeugt etwa die "Letzte Generation" punktuell Aufmerksamkeit und unterstreicht die Dringlichkeit zu handeln.
Protest gegen das PAG und die Präventionshaft von Klimaaktivist:innen in München.Bild: IMAGO/aal.photo / Alexander Pohl
Es gibt innerhalb der Klimabewegung keinen Wettbewerb darum, wer die beste Aktionsform hat, sondern unterschiedliche komplementäre Ansätze mit unterschiedlichen Zielen zum gleichen Zweck. Gemein haben wir, dass unsere Proteste friedlich sind. Das wird oft missverstanden – friedlich zu sein, hat viel mit Gewaltfreiheit und wenig mit Harmonie oder Bequemlichkeit zu tun. Wir alle fordern fundamentalen gesellschaftlichen Wandel.
"Eklats" gegen die Gleichgültigkeit
Gehen wir gedanklich drei Jahre zurück, war die erste Frage in jedem Interview, warum wir nicht am Samstag demonstrieren. Schulstreiks waren ein Eklat, weil sie nicht bequem waren. Wir haben es aber geschafft, den Diskurs zu verschieben und das Inhaltliche in den Fokus zu rücken.
Wenn wir also gefragt werden, ob die Proteste der "Letzten Generation" nicht unsere Großdemonstrationen überschatten, dann wird damit nicht nur versucht uns gegeneinander auszuspielen, die Frage ist auch grundsätzlich falsch: Der Hintergrund für die Proteste der "Letzten Generation" wie für unsere Proteste ist, dass die Klimakrise zu wenig auf der Tagesordnung steht. Im Übrigen würde sie gar nicht auf der Tagesordnung stehen, wenn nicht zivilgesellschaftliche Akteur:innen ständig weiter dafür streiten würden.
Aktivist:innen von "Scientists Rebellion", "Extinction Rebellion" und "Letzte Generation" blockierten die Karlsstraße in München.Bild: IMAGO / aal.photo / AlexanderxPohl
Wie kann Fridays For Future die Aufmerksamkeit auf das Klima richten?
Wichtig zu erkennen ist, dass das "Wie" und das "Warum" einer Aktionsform nie getrennt voneinander betrachtet werden können. Dass sich Menschen auf der Straße festkleben und Deutschland seine Klimaziele reißt, sollte ein und die selbe Debatte sein. Aber so kommt es nicht. Diesen Zusammenhang vermissen wir in der medialen und parlamentarischen Debatte um die jüngst stattfindenden Blockaden im Namen des Klimaschutzes.
"Wie bekommen wir mediale Aufmerksamkeit für bewiesene Bedrohungslagen wie die Klimakrise und den sachlichen Diskurs um Lösungen?"
An diesem Punkt nähern wir uns einer zentralen Fragestellung, die wir als Fridays for Future leider nicht allein beantworten können: Wie bekommen wir mediale Aufmerksamkeit für bewiesene Bedrohungslagen wie die Klimakrise und den sachlichen Diskurs um Lösungen?
Vorschnelle Verurteilung von Letzte Generation
Seit dem tödlichen Unfall in Berlin werden wir immer wieder gefragt, ob durch unseren Protest Menschenleben gefährdet werden dürfen. Und das lange bevor klar war, weshalb der Unfall tödlich endete: Dass die Straßenblockade sehr wenig damit zu tun hatte und die katastrophale Straßeninfrastruktur für Radfahrende sehr viel, kam erst nach der öffentlichen Verurteilung heraus.
Charlotte Stenzel, 22, ist Klimaaktivistin bei Fridays for Future in Schleswig-Holstein. Bild: watson / Fridays for Future Lübeck
Die Debatte um die "Letzte Generation" muss geführt werden, aber mit Sicherheit anders als dies derzeit der Fall ist. Öffentliche Urteile, ein verschobener Diskurs und die Diffamierung der gesamten Bewegung – bis hin zu ihrer Kriminalisierung – sind gefährlich.
"Aber warum ist der Ton bei Aktivismus-Debatten so viel schärfer als bei einem weiteren Korruptionsskandal von Christian Lindner?"
Klimaaktivistin Charlotte Stenzel
Zweifellos kann immer gezweifelt werden – auch im Hinblick auf unterschiedliche Herangehensweisen und Protestformen. Aber warum ist der Ton bei Aktivismus-Debatten so viel schärfer als bei einem weiteren Korruptionsskandal von Christian Lindner, der in seiner Position als Finanzminister eine Schlüsselrolle auch in allen klimapolitischen Fragen einnimmt?
Unbequeme Aussichten erfordern unbequemen Protest
Die Beweggründe der "Letzten Generation", "End Fossil: Occupy", "Ende Gelände" und letztlich auch von uns, Fridays for Future, sind klar zu erkennen: Unbequemer Protest resultiert aus unbequemen Zukunftsaussichten. Die fortwährende Verdrängung der Klimakrise als Realität auch in den Medien führt zu einem Gefühl der Ohnmacht, dem mit Blockade und Protest begegnet wird.
Klimaprotest gegen Söders Klimamärchen, die Novelle des bayerischen Klimaschutzgesetzes.Bild: IMAGO / aal.photo / Alexander Pohl
Niemand aus der Klimagerechtigkeitsbewegung möchte der Zukunft eine düstere Bedrohung andichten. Wir versuchen alle, auf eine wissenschaftlich anerkannte und schon jetzt bestehende Gefahr hinzuweisen: Die Klimakrise ist kein "Thema der Jugend" oder das letzte, leidige Kapitel im Regionalentwicklungsplan. Die Klimakrise ist real, betrifft uns alle und muss – ob wir wollen oder nicht – schnellstmöglich bekämpft werden.
Wenn wir also darüber sprechen, ob bestimmte Klimaproteste eine Bedrohung darstellen oder Klimagruppen verboten werden sollen, dann lenkt das ab, kriminalisiert wissenschaftlich basierten Protest und nützt am Ende denjenigen, die am aktuellen System profitieren und daran festhalten.
Wer bitte möchte da mitmachen?
Wir haben Kleidung für den Sportplatz, für Kletterpartien, für Wanderungen, für gemütliche Sofa-Abende, für professionelles Auftreten, für rebellische Momente. Es gibt Outfits für jede erdenkliche Situation. Robuste Stoffe schützen uns, wenn wir zum Beispiel auf irgendeinem Gebirgsabschnitt kraxeln. Lockeres, luftdurchlässiges Material macht hingegen heiße Tage erträglicher.