Der Kran lässt die Bauarbeiter in einer Art Stahlkiste langsam in einen 40 Meter tiefen Schacht hinabfahren. Dort arbeiten Tausende von Ingenieuren und Bauarbeitern seit sieben Jahren an der bislang umfassendsten Erneuerung von Londons Abwassersystem. Die inzwischen museal anmutende Kanalisation kann die Abwassermengen kaum noch bewältigen; kommt dann noch Regenwasser hinzu, fließt die Brühe ungeklärt in die Themse. Ein neuer riesiger Tunnel soll nun Abhilfe schaffen.
Londons Kanalisation geht auf "The Great Stink" - den "Großen Gestank" - im Sommer 1858 zurück: Ungewöhnliche Hitze und die übliche Einleitung von ungeklärten Abwässern in die Themse verpesteten in der britischen Hauptstadt derart die Luft, dass der Bau einer hochmodernen Abwasserentsorgung beschlossen wurde.
Das damals so geniale System des Ingenieurs Joseph Bazalgette wird bis heute genutzt. Dabei fließt das Regenwasser durch dieselben Röhren wie die Abwässer. Und genau da liegt das Problem.
"Immer, wenn es regnet oder sogar nur nieselt, läuft die Kanalisation voll und alles entlädt sich direkt in die Themse", sagt Taylor Geall von der Baufirma Tideway, die das Großprojekt leitet. "Derzeit geraten pro Jahr durchschnittlich 40 Millionen Tonnen Abwasser unbehandelt in die Themse."
Obwohl die alten Ziegelstein-Röhren aus dem 19. Jahrhundert in "einwandfreiem Zustand" seien, reichten sie einfach nicht mehr aus, sagt Geall. Denn als sie gebaut wurden, hatte London vier Millionen Einwohner. Heute sind es neun Millionen. Eine Modernisierung wurde unvermeidlich.
Künftig soll eine 25 Kilometer lange Tunnelröhre mit einem Durchmesser von 7.2 Metern, die dem Verlauf der Themse folgt, die Abwassermengen auffangen, die sonst bei Regen in den Fluss laufen würden.
Das umgerechnet über fünf Milliarden Euro teure Megaprojekt soll im kommenden Jahr in die Erprobungsphase gehen und ab 2025 in den Vollbetrieb. Finanziert wird es von den 15 Millionen Kunden des Wasserversorgers von Groß-London, Thames Water, durch eine Abgabe auf ihre Wasserrechnungen.
Die Endphase des Projekts geriet mitten in eine Grundsatz-Kontroverse um die 1989 privatisierten Wasserversorger wie etwa Thames Water. Ihnen wird vorgeworfen, über Jahre hinweg aus Profitgründen die Instandhaltung ihrer Netze vernachlässigt zu haben. Dreckige Flüsse und Strände seien die Konsequenz.
Nach Angaben der britischen Umweltbehörde wurden im vergangenen Jahr im Durchschnitt 825 Mal am Tag ungeklärte Abwässer in Großbritanniens Flüsse und Küstengebiete gepumpt. Mehrere Strände auf der Isle of Wight mussten im vergangenen Hochsommer wegen Bakterien-Verseuchung geschlossen werden.
Nach den Plänen der britischen Regierung müssen Wasserversorger, aber auch Energie- und Abfallunternehmen, künftig bei Umweltverschmutzung mit Strafen in unbegrenzter Höhe rechnen. Allein Thames Water wurde Anfang Juli wegen der Verschmutzung von Wasserstraßen zur Zahlung von über 3.8 Millionen Euro verdonnert.
Londons Super-Kanalisation soll nun zumindest einen Beitrag zur Verbesserung der Lage leisten. "Wenn wir fertig sind, wird die Themse immer noch so schlammig aussehen wie jetzt. Aber für die Fische, Meeressäuger und Vögel bedeutet es eine deutlich gesündere Umgebung. Und auch für die Ruderclubs", sagt Geall.
Ein Phänomen allerdings kann auch der neue Thames Tideway Tunnel nicht beseitigen - die riesigen Fettberge in Londons Kanalisation. Ein 250 Meter langes und 130 Tonnen schweres rekordverdächtiges Prachtstück hatte 2017 international für Schlagzeilen gesorgt.
Abhilfe schaffen können nur Londons Einwohner selbst, indem sie das Abwassernetz nicht mehr zur Entsorgung von Feuchttüchern, Windeln oder Wattestäbchen sowie von heißem Fett missbrauchen. Diese eklige Mischung verklebt zu einer betonharten Masse und verstopft immer mal wieder die Kanalisation - ungeachtet wie alt oder modern sie ist.
(fas/afp)