Nachhaltigkeit
Interview

Kino: Snacks und Leinwand können Öko – "kino:natürlich" will nachhaltiges Kino

Group of teenager friends at the cinema watching a movie together and eating popcorn, entertainment and enjoyment concept
Dem Klima ein Freund sein: das geht zum Beispiel mit nachhaltigen Ideen für den Kinobetrieb (Symbolbild).Bild: iStockphoto / demaerre
Interview

Ökostrom, Mehrweg und Popcorn aus der Papptüte: "Wir müssen gerade auch im Kino grün denken" – wie das gelingen kann

19.02.2022, 14:1519.02.2022, 14:19
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Popcorn-Geruch in der Nase, ein kühles Getränk in der Hand und die große Leinwand vor sich: so kann ein perfekter Freitagabend im Kino aussehen. Alles andere als perfekt ist daran jedoch der viel zu große, beschichtete Popcornbecher, das Getränk aus einer Einweg-Plastik-Flasche und dass die Belüftung im Kinosaal viel zu stark eingestellt ist. Kann Kino nicht auch grüner gehen?

Diese Frage hat sich das Team von "Kino:natürlich" auch gestellt. Das geförderte Projekt mit Sitz in Berlin kam 2018 ins Rollen und stellte mit einer Umfrage an zahlreichen Kinos in Deutschland fest: es herrscht ein großes Interesse daran, Kinos und ihren Betrieb nachhaltiger zu gestalten. Aber wie genau kann das funktionieren? Darauf hat das Projekt inzwischen einige Antworten gefunden und kann Kinos darin unterstützen, eine grünere Variante ihrer selbst zu werden.

Susanne Lösch, Projektkoordinatorin von Kino:natürlich, berichtet im watson-Interview, warum eine Fusion von Nachhaltigkeit und Kinos nicht nur eine gute Idee, sondern notwendig ist, wie die Kinos für mehr ökologisches Bewusstsein in den Städten sorgen können und wie grünes Social Media aussieht.

Susanne, wie bist du in das Projekt "Kino:natürlich" gestartet?

Ich bin erst 2020 dazu gestoßen. Meine Vorgängerin hatte bereits eine Bestandsanalyse und repräsentative Umfrage gemacht, um zu erfahren, wie der „grüne“ Stand der Kinos ist. Dabei haben fast 100 Prozent der Befragten angegeben, dass Nachhaltigkeit ein Thema für sie ist.

War das zu diesem Zeitpunkt in den Kinos schon offensichtlich zu erkennen?

Ja, mehr als die Hälfte der Kinos hatten zur Zeit der Umfrage bereits ihr Gastro-Sortiment nachhaltig gestaltet oder zumindest überdacht. Es wurde auf Mehrweg oder Fairtrade umgestiegen – Plastikbehälter für Softgetränke oder Popcorn wurden kritisch hinterfragt oder gleich abgeschafft.

"Wir würden auch ohne Finanzierung versuchen, das Projekt fortzuführen. Es sollte immer eine Ansprechperson für die Kinos verfügbar sein."

Konnte euch diese Umfrage zu konkreten Lösungen verhelfen?

Auf dieser Umfrage basierend wurde erst unsere Website entwickelt und die Handlungsfelder wurden entworfen. Bei diesen Handlungsfeldern handelt es sich um: Ressourcen, Abfall, Mobilität und Filme. Meine Vorgängerin hatte zudem angefangen, sich mit den Referenzkinos zusammen zu schließen. Ergänzend dazu gab es erste Seminare.

Für euer Projekt ist die Förderung ein weiteres Jahr bewilligt worden. Was passiert danach?

Wir würden versuchen, das Projekt fortzuführen. Auch ohne die finanzielle Unterstützung. Wir bekommen gerade Gelder für einzelne Tätigkeiten über die Förderung. Und in diesem Umfang könnten wir dann natürlich nicht mehr finanzieren. Es geht mehr darum, eine Person hier sitzen zu haben, die über uns als leitende Personen finanziert würde.

Wofür habt ihr eure Fördermittel zuletzt genutzt?

Wir haben Fördergelder verwendet, um Kinos Klimabilanzierungen zu ermöglichen. Das passiert in Kooperation mit der Firma: „Lust auf besser leben.“ Dieses Unternehmen kommt aus Frankfurt und berät auch den Preis für nachhaltiges Kino in Hessen. Diese Firma führt die Bilanzierungen für uns durch und begleitet die Kinos dann mit uns.

"Die Kinos müssten sich das ganze know-how um die Klimabilanzierung selbst aneignen. Wann sollen sie das denn machen?"

Was ist unter Klimabilanzierung zu verstehen?

Klimabilanzierung oder CO2-Bilanzierung bedeutet, dass geschaut wird, wie viele Treibhausgasemissionen ein Kino tatsächlich an die Umwelt abgibt. Der entstehende Wert wird in CO2-Äquivalente umgerechnet, so dass man schließlich den CO2-Ausstoß erhält. Die Berechnung erfolgt anhand verschiedener Bereiche, Scopes genannt.

Welche Scopes, beziehungsweise Bereiche, sind das?

Es handelt sich dabei um drei verschiedene. Scope 1 umfasst alle direkt im Kino freigesetzten Treibhausgase, zum Beispiel durch Verbrennungen im Heizkessel, Kühlungen der Klimaanlage oder den eigenen Fuhrpark. Dann gibt es indirekte Emissionen in Scope 2 wie Strom oder Fernwärme. Und drittens schließlich noch die vor- und nachgelagerten Prozesse, zu denen z.B. die Fahrten der Mitarbeitenden oder des Publikums zum Kino gehören, oder auch der Gastronomie-Bereich, also die Herstellung der Produkte und letztendlich auch die Müllentsorgung.

Um eine Bilanz zu ziehen, braucht man doch bestimmte Werte. Wie erhält man diese?

Zunächst müssen die Kinos ihre Daten, wie Strom- oder Gasverbrauch, Anfahrtswege zum Kino, Abfallmenge, usw. sammeln. Für die Berechnung gibt es dann bestimmte Online-Rechner, deren Anwendung im größeren Umfang leider finanziell und natürlich auch zeitlich intensiv ist. Wir als Projekt unterstützen die Kinos an der Stelle und begleiten sie gemeinsam mit der Agentur „Lust auf Besser Leben“ von der Datenerfassung, über die Berechnung bis zur Auswertung. „Lust auf Besser Leben“ übernimmt dabei den gesamten inhaltlichen Teil, da sie als auf Nachhaltigkeitsthemen spezialisierte Agentur natürlich ein viel besseres know-how haben, diese Daten umzurechnen!

"Klimakompensation klingt erstmal gut, aber oft bleibt es nur bei dieser schönen Worthülle ohne Inhalt."

Was sind für die Datenerhebung relevante Bereiche?

Große Bereiche, wie in etwa Mobilität sind relevante Bereiche, die hier mit integriert werden. Damit werden auch kleine Kinos, die zum Beispiel auf dem Land sind und bei welchen der ÖPNV mit einbezogen werden sollte, angesprochen. Darauf können dann wiederum andere Kinos aufmerksam gemacht und Lösungsansätze entwickelt werden.

Wie können denn konkrete Lösungsansätze entwickelt werden?

Mithilfe der Klimabilanzierung wird möglichst der gesamte CO2-Verbrauch des jeweiligen Kinos berechnet. Dann wird geschaut, wo wir ansetzen können. Muss das Kino effizienter heizen, sollte es zum Animieren der umweltfreundlichen Fahrradnutzung mehr Fahrradständer geben oder nutzt es vielleicht noch keinen Ökostrom?

Wie kann man das überprüfen?

Das überprüfen wir nach dem System: Was kann verhindert, reduziert und kompensiert werden. Also sprich: wie kann CO2 verhindert werden, wie kann ich diesen Verbrauch reduzieren und wenn es keine Auswege gibt – ein Kino braucht in etwa einen Projektor, welcher im hohen Energieverbrauch steht – kann ich dann kompensieren, indem ich in Klimaschutzprojekte investiere und an anderer Stelle einen Ausgleich schaffe?

Wie kann eine solche Kompensation aussehen?

Es gibt etliche Klimazertifikate und Projekte, über welche CO2 kompensiert wird. Da gibt es auch einiges, wie zum Beispiel Projekte oder Klimazertifikate, die zwar schön aussehen, aber keine richtige Kompensation an Umweltbelastungen schaffen. Deshalb führen wir auf unserer Website einige ausgewählte Projekte und Zertifikate auf. Lust auf Besser Leben hat dafür zum Beispiel einmal ausgerechnet, dass, wenn das Kinoticket eines Kinos 6 Cent teurer werden würde, bereits ein Klimaschutzzertifikat gekauft und damit der CO2-Ausstoß kompensiert werden könnte.

"Wir leben von Präsenzveranstaltungen. Trotzdem hat uns die digitale Umstellung mehr Reichweite verschafft."

Wie geht ihr auf die Kinos derzeit zu?

Wir haben ein Info-Video produziert und eine Check-Liste veröffentlicht, damit die Kinos ohne große Einarbeitung an notwendige Informationen kommen, nachhaltiger zu sein und zu agieren. Außerdem informieren wir über wichtige Schritte in unserem Verbandsnewsletter oder über externe Kanäle, wie dem Grünen Kino Newsletter der FFA.

Wie sieht es jetzt während Corona aus?

Es ist schon schwierig für die Kinos, den Betrieb am Laufen zu halten. Diesen Rücklauf merken wir. Wir müssen schauen, dass das Projekt und unser Anliegen präsent bleibt, vor allem da viele Kinos gerade mit anderen Schwierigkeiten konfrontiert sind. Jedoch liefen die Online-Seminare dann sehr gut an. Wir hatten dabei 20-30 Leute pro Veranstaltung, die wir bei Präsenzveranstaltungen nur schwer erreichen.

Bringt das Online-Verfahren denn auch Vorteile mit sich?

Es ist natürlich um einiges kostengünstiger, als das Organisieren von Präsenzveranstaltungen und konnte während Corona mit wenig Aufwand gestaltet werden. Kosten für Catering oder die Location entfallen zum Beispiel.

Woran arbeitet ihr gerade?

Wir haben uns neben der Klimabilanzierung noch einem neuen Themenschwerpunkt gewidmet: grünes Marketing in Social Media. Darüber haben wir mit einer Agentur, mit welcher wir zusammen arbeiten einen Kommunikationsleitfaden entwickelt, der schon auf unserer Website ist. Damit können wir Kinos etwas an die Hand geben. Auf der Filmkunstmesse hatten wir im letzten Jahr dazu auch einen Workshop, den wir im November noch einmal digital angeboten haben. In diesem Frühjahr planen wir dann eine Follow-up Veranstaltung, wenn die ersten Erfahrungen gemacht wurden.

Grünes Kino
Die Referent*innen des Workshops "Grünes Marketing": Debby Cohrs und Thilo Pickartz von zurückinskino© claudia overath

Was gibt es denn für Tools, für „grünes“ Social Media?

Der Kommunikationsleitfaden zu Social Media ist erstmal ein Handlungsleitfaden: Was haben wir gemacht und wo wollen wir hin? Es geht darum, eine Sensibilität beim Publikum und den Mitarbeitenden zu schaffen. Ein Selbstverständnis soll präsent gehalten werden, damit gerade auch eine interne Kommunikation grün funktionieren kann.

Quasi in Richtung sozialer Nachhaltigkeit?

Genau! Übergreifend und inhaltlich sollte „grün“ kommuniziert werden. Zum Beispiel kann neues Material, also Dokus, die gedreht wurden, in den Kinos beworben werden. Zum“ im Kino anschauen und dazu Nüsse aus der Region naschen und Eis aus veganer Milch essen“.

"Es fällt den Leuten oft leichter, eine konkrete Person zu haben, an die man sich wenden kann."

Ich habe euch, als ich nach euch gesucht habe und recherchieren wollte, gar nicht so leicht gefunden. Wie macht ihr denn auf euch aufmerksam, insbesondere, wenn man noch gar nichts von euch gehört hat?

Das haben wir tatsächlich auch als Baustelle für uns erkannt. Wir haben über dreihundert Mitgliedskinos und arbeiten auch mit der Filmförderungsanstalt (FFA) zusammen, die das „Grüne Kinohandbuch“ entworfen haben. Wir versuchen über deren Newsletter und mit Anzeigen präsent zu bleiben. Flyer verteilen, geht zurzeit einfach nicht und wäre auch nicht nachhaltig. Wir versuchen dann eher bei Kooperationspartnern Infos zu uns einzustreuen. Ohne Präsenz präsent zu bleiben ist nicht ganz einfach.

Auf der Seite des Umweltbundesamtes heißt es, dass es kein vergleichbares Projekt in Deutschland zu eurem gibt, stimmt das?

Für Deutschland kann ich das bestätigen. Es gibt natürlich die Filmförderungsanstalt (FFA), deren „Grünes Kinohandbuch“ in der Branche ein wichtiges Nachschlagewerk zur Thematik ist. Als Projekt in dem Umfang, das sich spezifisch an Kinos richtet, haben wir jedoch ein Alleinstellungsmerkmal. So geben wir den Kinos jederzeit eine Ansprechperson an die Hand, die sie unproblematisch fragen können und die ihnen Informationen und Hilfen zur Verfügung zu stellen kann. Es fällt den Leuten oft einfacher, sich nicht durch zusammenhanglose Informationen oder Websites zu hangeln, sondern eine Person zu haben, mit welcher man sprechen kann.

Fiomkunstmesse
Panel zum Thema "Kino:Natürlich! Klimaschutz beginnt im Kopf!", Personen (v.l.): Dieter Kosslick (ehemaliger Berlinale Chef); Birgit Heidsiek (FFA-Beauftragte für Grünes Kino); Felix Bruder (AG Kino Geschäftsführer); Matthias Damm (Casablanca Nürnberg); Alexandra v. Winning (Lust auf Besser Leben); Michael Thomas (Cineplex Bayreuth)© Rainer Justen/AG Kino – Gilde

Was macht es euch in eurer Mission, Kinos zu mehr Nachhaltigkeit zu verhelfen noch schwer?

Neben der Finanzierung, die Nachhaltigkeitsmaßnahmen meist zunächst erfordern, ist es auch, dass es kein allgemein gültiges Konzept gibt, nach dem sich die Kinos richten können. Die Kinos sind in Aufbau und Struktur unterschiedlich und es gibt 16 verschiedene Bundesländer mit vielen unterschiedlichen Fördermöglichkeiten, die sie für die Finanzierung nutzen können und natürlich auch verschiedenen Dienstleistungsfirmen, die sie für die Umsetzung beauftragen können. Deshalb sind wir stets auf der Suche nach guten Best-Practice-Beispielen.

Das heißt, hier herrschen jeweils andere Grundlagen und Regeln?

Genau. Deshalb ist es manchmal schwer, den Kinos, die sich dafür interessieren, nachhaltiger zu sein und unsere Seite besuchen oder an unseren Workshops teilnehmen, Beispiele vorzuführen, die dann auch auf sie zutreffen. Deshalb freuen wir uns über jede Info der Kinos zu ihren Maßnahmen.

Was kommt als nächstes?

Derzeit haben wir auch wieder eine Umfrage laufen, die die Kinos dazu befragt, um dann eine Art von Umweltkatalog aus den Erfahrungswerten zusammen zu stellen. So können immer besser nahe Praxisbeispiele vorgestellt und schneller passende Lösungen gefunden werden. Da kann zum Beispiel geschaut werden, mit welchen Firmen gearbeitet wurde oder welche Förderung genutzt wird. Diese Bestandsanalyse ist unser dritter Meilenstein, den wir gerade angehen.

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