Brasilien, Saudi-Arabien, Russland und die Türkei – diese Staaten waren bis vor Kurzem nicht gerade dafür bekannt, sich für den Klimaschutz einzusetzen. Im Gegenteil: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro ist seit vielen Jahren einer der prominentesten Klimawandel-Leugner, auch Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei oder auch Wladimir Putin in Russland haben dem Klimawandel in ihrer Politik bisher kaum Beachtung geschenkt, und Saudi-Arabien profitiert weiterhin als weltweit größter Exporteur von fossilen Energieprodukten. Genau diese autoritär geführten Staaten haben jedoch auf dem aktuell stattfindenden Weltklimagipfel in Glasgow mit ihren formulierten Klimaschutzzielen überrascht.
So will Brasilien bis 2050 CO2-neutral werden, Saudi Arabien und Russland haben ihrerseits Klimaneutralität bis 2060 angekündigt und auch die Türkei ratifizierte als letztes der großen 20 Industrieländer noch kurz vor Beginn der COP26 das Pariser Klimaschutzabkommen.
"Wir erleben gerade ein Feuerwerk von Netto-Null-Emissionszielen zur, wie es heißt, 'Jahrhundertmitte', mehrheitlich also zum Jahr 2050", sagt Reimund Schwarze, Klimaökonom vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung, gegenüber watson. "Dazu haben sich die führenden Wirtschaftsmächte der Welt, darunter auch die USA und China, entschieden, die 85 Prozent der CO2-Emissionen des weltweiten Bruttoinlandprodukts ausmachen", so Schwarze. Deshalb würden jetzt auch andere Länder Maßnahmen zum Klimaschutz ankündigen.
Am Mittwochabend verkündeten beide Mächte nach Angaben der Deutschen Presseagentur überraschend, dass sie ihre Kooperation im Kampf gegen die Erderwärmung ausbauen wollen. In einer gemeinsamen Erklärung hätten die beiden Staaten sich "auf einen grundlegenden Rahmen für diese Zusammenarbeit" geeinigt, teilte US-Klimaschutzbeauftragter John Kerry dazu mit.
Plötzlich scheint es, dass auch Regierungen großer Länder, die bislang nichts für den Klimaschutz getan haben, ihr Verhalten ändern. Doch inwiefern können diese Neuerungen wirklich als ernst gemeinte Klimaschutzziele verstanden werden?
Darüber spricht watson mit Miranda Schreurs, Professorin für Umwelt- und Klimapolitik an der Hochschule für Politik München. Sie ordnet die neuesten Klimaschutzbestrebungen der autoritären Staaten ein und beleuchtet die Beweggründe, die hinter den Zusagen der autoritären Staaten stehen.
watson: Frau Schreurs, inwiefern bewerten Sie die neuesten Zusagen von Staaten wie Brasilien, Russland, Saudi-Arabien und China als ernst gemeinte Klimaschutzziele?
Zunächst einmal begrüße ich besonders, dass sich einige Staaten das Ziel zur Klimaneutralität bis 2060 gesetzt haben. Bei den Zielen stellt sich mir natürlich die Frage, inwieweit ist das nur PR? Denn inzwischen verstärkt sich die internationale Bewegung in Richtung mehr Klimaschutz und hin zum Ausstieg aus Kohle und Öl. Und das ist für ein Land wie Saudi-Arabien, das so abhängig von fossilen Exporten ist, gefährlich. Was ich glaube, ist, dass generell bei Ländern wie zum Beispiel Saudi-Arabien in den letzten zwei Jahren ein ziemlich großer Druck aufgekommen ist, ihr Image zu verbessern. Das Image von Saudi-Arabien war bis dahin lange Zeit ziemlich verschmutzt, nicht nur durch seine große Öl- und Gasindustrie.
Das versuchen sie jetzt aufzubessern. Ich war letztes Jahr in Saudi-Arabien, das 2020 den G20-Gipfels ausgerichtet hat. Bei den G20 Staaten lag dabei ein großer Fokus auf Fragen zur Nachhaltigkeit und Klima, sodass Saudi-Arabien sich als Gastgeber der G20 auch mit diesem Thema beschäftigen musste. Das haben sie zum Teil auch stark gemacht. Sie haben während des G20 Gipfels vor allem die riesigen Investitionen in den Ausbau von Solarenergie von Saudi Aramco – der weltweit größten Erdölfördergesellschaft – präsentiert.
Der reichste Erdölkonzern der Welt, an dem der Golfstaat Saudi-Arabien große Unternehmensanteile hat, investiert in die Konkurrenz, also Solarenergie? Wie kann man das als strategische Entscheidung des Golfstaats verstehen?
Saudi-Arabien ist weiterhin Öl-Land, Gas-Land. Es ist nicht gegeben, dass es einen stärkeren Fokus auf den Klimawandel legt, um das Klima zu strecken. Denn es besteht wahrscheinlich genau so viel Interesse, dass sie ihre fossilen Energien so lange wie möglich nutzen und exportieren wollen. Ich glaube eher, dass Saudi-Arabien so viele erneuerbare Energiequellen wie möglich zu Hause ausbauen will, damit sie neben fossiler Energie in Zukunft auch erneuerbare Energie exportieren können. Dazu bauen sie gerade die eigenen Technologie-Kompetenzen bei erneuerbaren Energien aus, um zum technologischen Vorreiter zu werden. Damit hätten sie dann auch die Möglichkeit, in neue Industrien einzusteigen und damit weg von der Zentrierung auf die fossile Energiebranche zu kommen.
Also könnte man die jetzt verkündeten Investitionen in erneuerbare Energien als reine Wirtschaftsentscheidung bewerten?
Unter anderem. Saudi-Arabien will sich vor allem energietechnisch modernisieren, aber das Land muss sich inzwischen auch wirklich existenziellen Fragen stellen. Man merkt inzwischen, dass der Klimawandel ernst ist. In Saudi-Arabien ist es in Kürze so heiß, dass es kaum machbar sein wird, dort zu leben – ein paar Grad Temperaturerhöhung können hier bereits tödlich für Menschen sein.
Mit diesem generell existenziell bedrohlichen, aber auch wirtschaftlich negativen Ausblick spielen dann selbst für ein extrem reiches Land wie Saudi-Arabien die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft eine Rolle. Mit den neuen Klimaschutzanpassungen wollen sie die Zahlungen vermeiden.
Auch andere Länder neben Saudi-Arabien haben sich nun Klimaschutzziele gesetzt, zum Beispiel Russland. Was könnte hier die Motivation gewesen sein?
Russland hat die COP26 nicht wirklich hoch auf seine Agenda gesetzt, Putin ist auch nicht nach Glasgow gereist. Trotzdem haben sie das Abkommen zum Stopp der Entwaldung bis zum Jahr 2030 unterschrieben, das allerdings nicht gesetzlich bindend ist. Aber Russland hat das gleiche Problem wie Saudi-Arabien, sie sind so unglaublich abhängig von fossilen Energie-Exporten. Deswegen könnte es sein, dass auch Russland versucht seine Wirtschaft mehr zu diversifizieren.
In der Vergangenheit haben sie immer gesagt, dass mit dem Klimawandel ganz Sibirien wärmer wird und es sich damit für Landwirtschaft öffnen würde und damit einen neuen Wirtschaftszweig eröffnet. Statt dass sich auf dem schmelzenden Permafrostboden eine funktionierende Landwirtschaft etablieren kann, sinken jetzt aber eher ganze Städte ein und es ist durch die Entwicklung zum viel gefährlicheren Ausstoß von Methan gekommen
Ein weiterer Punkt ist der internationale Emissionshandel, der ja auch große wirtschaftliche Anreize schaffen soll, dass sich alle Länder an die Begrenzung ihrer CO2 Emissionen halten.
Genau, wer nicht mitspielt, ist dann auch nicht eingeladen mitzumachen. Um teilnehmen zu dürfen, müssen die Staaten sich an die vorgegebenen Regeln von Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens halten. Bisher will kein Land von einem international verlinkten Emissionshandelssystem ausgeschlossen sein, denn das könnte diese Länder wiederum wirtschaftlich gefährden.
Das ist beispielsweise gerade sehr relevant für die Türkei, die durch die starken Waldbrände und auch Überflutungen schon stärker vom Klimawandel betroffen war in diesem Jahr, als bisher vorhergesehen. Deshalb möchte man in der Türkei natürlich auch von möglichen Investments in eine Modernisierung der Energieindustrie und der Entwicklung bei neuen Klima-Technologien profitieren.
Auch Brasilien war ja massiv betroffen von Waldbränden in den vergangenen Jahren. Vor ein paar Tagen hat auch die brasilianische Regierung das Abkommen zum Stopp der Entwaldung unterschrieben. Wieso gerade jetzt?
Bolsonaro hat wahrscheinlich wegen des inzwischen stärkeren internationalen Drucks auf sein Land jetzt neue Klimamaßnahmen in der Landwirtschaft eingerichtet – ob die tatsächlich dann implementiert werden und ob sie die Kapazitäten haben, das zu überprüfen, das ist aber noch offen. Ich vermute aber, dass Brasilien vor allem Angst hat, dass die Europäische Union und andere Länder Importe aus Brasilien in naher Zukunft blockieren könnten, wenn Brasilien so weitermacht wie bisher.
Das Spiel beim Emissionshandelssystem – also der finanzielle Druck mit der Angst vor Sanktionen und der Wunsch, dabei zu sein und vom Emissionshandel profitieren zu können – hat vermutlich am stärksten diese Zugeständnisse von Brasilien bestimmt.
Auf Platz zwei der Rangliste der weltweit größten CO2-Emittenten steht jedoch hinter China nicht Brasilien, sondern die USA. Nachdem sich die USA unter Biden wieder dem Pariser Klimaabkommen angeschlossen haben, müssten sie ihren Ausbau der erneuerbaren Energien eigentlich auch vorantreiben. Wie sehen Sie die momentane Situation der Staaten?
Bei den USA hat sich in den letzten Tagen noch viel getan, der Kongress hat endlich dem Sozial- und Klimapaket von Biden zugestimmt, in dem auch mehrere Klima-Maßnahmen und Geld für Klima-Investments enthalten sind. Das ist eine positive Entwicklung, allerdings bleibt es weiterhin noch offen, inwieweit die USA wirklich strenge Richtlinien Maßnahmen praktisch durchsetzen kann.
Denn das Interesse in den USA an fossilen Energien bleibt stark, die USA sind bei der Energiefrage innenpolitisch weiterhin sehr polarisiert. Weder die USA noch Russland haben den Ausstieg aus dem Gas- und Kohleclub unterschrieben. Deshalb wird es auch in den nächsten Jahren nicht zu einem Ausstieg der USA aus der Kohle kommen, stattdessen werden sie sich aber stärker in Richtung Ausbau erneuerbarer Energien entwickeln und auch die Verminderung der Methan-Emissionen um 30 Prozent vorantreiben. Das ist sehr wichtig, denn Methan hat ein großes Global-Warming-Potential. Der Wärmeeffekt ist bei Methan 50 bis 85 Prozent stärker als bei CO2- Emissionen und Maßnahmen zur Verringerung des Methan-Ausstoßes tragen damit auch bedeutend zur Verminderung der gesamten momentanen Emissionen bei.
Last, but not least: Sie haben jetzt über die verschiedensten großen Staaten gesprochen. Wer sich bisher überhaupt nicht zu Wort gemeldet hat beim Weltklimagipfel ist China. Die Volksrepublik hat ja auch nicht teilgenommen am COP26 in Glasgow. Könnte China trotzdem von seiner Abwesenheit profitieren?
China ist eigentlich das Land, das für uns alle entscheidend ist. Ganze 29 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen kommen aus China und seine Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen wird bewirken, dass diese Zahl noch in dieser Dekade weiter steigen wird. Ich vermute, dass China nicht bereit sein wird, mehr zu tun, als was es bisher vorgeschlagen hat. Teilweise, weil sie glauben, dass die USA nicht stark hinter ihren Aussagen stehen werden. Vor allem gibt es aber ziemlich starke globale Spannungen zwischen den USA und China – was man hier sieht, ist eine geopolitische Entwicklung.
Denn man muss zugeben, dass China auch einen Plan zum Pariser Klimaabkommen entwickelt hat und seine Klimamaßnahmen in den letzten Jahren auch verstärkt hat. Dabei hat es bestärkt, Klimaneutralität bis 2060 zu erreichen und es ist weiterhin der weltweite Vorreiter beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Es hat auch einen Gewinn bei der Energieeffizienz zu verzeichnen, indem es die Energie-Intensität des Bruttoinlandsprodukts verbessert hat.
Bedeutet, am Ende ist es wieder mal ein Machtspiel der Großmächte, das die internationalen Klimaschutz-Ambitionen lenkt?
Leider ja. Es ist nicht so, dass China nichts machen würde, nur spielen sich jetzt auf der COP26 die geopolitischen Entwicklungen der letzten Jahren zwischen den Großmächten aus.