Nachhaltigkeit
Interview

Was das Klima mit Sexismus zu tun hat: Klartext von Forscherin Friederike Otto

OXFORD 2020-10-13 Friederike Otto, associate director of the Environmental Change Institute, University of Oxford, and an Associate Professor in the Global Climate Science Programme photographed in Ox ...
Die renommierte Physikerin und Klimaforscherin Friederike Otto hat 2023 den deutschen Umweltpreis gewonnen. Bild: imago images / Joakim Stahl
Interview

Klimaforscherin Friederike Otto: Was die Klimakrise mit Sexismus zu tun hat

Die Klimakrise zerstört nicht die Menschheit, aber Menschenleben und Lebensgrundlagen, sagt die renommierte Klimaforscherin Friederike Otto. Davon sind aber nicht alle gleich betroffen. Wie wir Klimagerechtigkeit schaffen können, darüber hat sie jetzt ein Buch geschrieben. Watson hat vor der Veröffentlichung mit ihr gesprochen.
28.12.2023, 19:01
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Watson: Warum trifft die Klimakrise uns nicht alle gleich?

Friederike Otto: Weil wir nicht alle gleich sind. Weil wir ganz unterschiedliche Möglichkeiten haben, uns zu schützen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Und je weniger wir an der Gesellschaft teilhaben, desto weniger sind wir auch in der Lage, uns zu schützen. Dementsprechend sind ärmere Menschen dem Klimawandel deutlich stärker ausgesetzt, als reiche Menschen. Das gilt global, das gilt aber auch lokal in jeder einzelnen Stadt und Gemeinde.

"Den Klimawandel kann man nur dann bekämpfen, wenn man auch Ungleichheiten in der Gesellschaft bekämpft."

Was verstehen Sie unter Klimagerechtigkeit?

Der Klimawandel ist ein Problem, das durch unser Wirtschaftssystem entstanden ist. Er basiert auf dem Verbrennen fossiler Brennstoffe, die einigen wenigen zur Profitmaximierung verhelfen – auf Kosten des Lebens, der Lebensqualität und der Gesundheit von fast allen anderen. Und dass dem so ist, wissen wir ja nicht erst seit gestern, sondern schon seit Jahrzehnten. Es ist also eine politische Entscheidung, so weiterzumachen. Um Klimagerechtigkeit zu erreichen, müssen wir also unsere wirtschaftlichen und sozialen Strukturen verändern. Den Klimawandel kann man nur dann bekämpfen, wenn man auch Ungleichheiten in der Gesellschaft bekämpft.

Physikerin und Klimaforscherin Friederike Otto setzt Extremwettereignisse in Zusammenhang mit der Klimakrise.
Physikerin und Klimaforscherin Friederike Otto setzt Extremwettereignisse in Zusammenhang mit der Klimakrise.bild: PETER HIMSEL

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Klimakrise ein Symptom eben dieser Ungleichheiten ist. Wie macht sich das bemerkbar?

Der Klimawandel manifestiert sich im Wesentlichen durch den steigenden Meeresspiegel und schmelzende Gletscher, aber auch durch sich intensivierende Extremwetterereignisse. Andere Symptome sind aber auch die Luftverschmutzung, die Zerstörung von Ökosystemen und Biodiversität, die eben vor allem diejenigen trifft, die sowieso schon am wenigsten haben.

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Auf dem Buchcover steht, die Klimakrise hat mit Sexismus zu tun. Warum?

Die Klimakrise ist nicht per se sexistisch. Aber der Sexismus in der Gesellschaft sorgt dafür, dass es leichter ist, an dem kolonial-fossilen Narrativ festzuhalten und darauf zu beharren.

(Anm. d. Red.: Damit ist gemeint, dass die Klimakrise eine Krise ist, die hauptsächlich durch Ungleichheit und die Vorherrschaft patriarchaler, kolonialer und fossiler Strukturen geprägt ist.)

Global gesehen sind es vor allem die Männer, die davon profitieren. Dazu kommt, dass Frauen die Auswirkungen der Klimakrise deutlich stärker treffen als Männer. Das hat mit den unterschiedlichen Rollen in der Gesellschaft zu tun.

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bild: Ullstein Hardcover

Haben Sie dafür ein Beispiel?

In Westafrika etwa gibt es eine starke Geschlechtertrennung: Frauen sind dafür zuständig, das Essen auf den Tisch zu bringen. Das bedeutet aber auch, dass sie – egal wie heiß es ist, oder wie schlecht es ihnen geht – raus aufs Feld gehen müssen, weil es sonst nichts zu essen gibt. Das ist ein krasses Beispiel. Das Gleiche passiert aber auch in weniger krass bei uns.

"Die Gefahr wird viel deutlicher, wenn wir sagen können: Diese Todesfälle hätte es ohne die Hitzewelle, ohne den Klimawandel, nicht gegeben."

Was meinen Sie?

Der Maßstab in den meisten medizinischen Studien und unserem Gesundheitssystem ist der Mann. Dadurch sterben Frauen zum Beispiel durch Hitzewellen schneller – weil sich die Symptome bei ihnen anders bemerkbar machen.

Und wie ist das mit den rassistischen Nachteilen, die Sie ansprechen?

Nehmen wir als Beispiel die COP, die kürzlich stattgefunden hat: Wenn sich da die afrikanischen Staaten hinstellen und einen fossilen Ausstieg fordern, interessiert das keinen. Wenn die USA das fordern würden, würden alle zuhören. Das hat natürlich mit der Wirtschaftsmacht zu tun, aber eben auch mit Rassismus.

Wenn man Folgen der Klimakrise inzwischen am eigenen Leib spürt: Warum sprechen wir nicht mehr darüber, statt über Hitzewellen irgendwo in Afrika.

Das ist genau der Grund, weswegen ich meine Forschung angefangen habe: Weil die Ergebnisse es ermöglichen, den Klimawandel ganz konkret mit den Erfahrungen einer Gesellschaft in Zusammenhang zu bringen. Die Gefahr wird viel deutlicher, wenn wir sagen können: Diese Todesfälle hätte es ohne die Hitzewelle, ohne den Klimawandel, nicht gegeben.

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Eine Hitzewelle und Waldbrände am anderen Ende der Welt lassen die Klimakrise weit weg erscheinen.Bild: Dept.Fire and Emergency Services / DFES

Verstehen die Leute das mittlerweile besser?

Ich denke schon, dass es sich in der Gesellschaft verändert hat, wie über den Klimawandel gesprochen wird, wenn Extremwetter auftreten. Mittlerweile wird fast immer die Frage gestellt, ob das Ereignis erst durch den Klimawandel möglich war.

Warum treffen wir trotz allem nicht entsprechende Vorkehrungen?

Weil die fossilen Energiekonzerne und die OPEC-Staaten weiter Geld verdienen wollen. Und das ist genau das, was ich meine, wenn ich von dem kolonial-fossilen Narrativ spreche: Wir beharren als Gesellschaft darauf, dass die Welt, in der wir jetzt leben, die bestmögliche ist und Veränderungen schlecht sind. Mit die wichtigste Botschaft aus meinem Buch ist, dass es uns an positiven Geschichten fehlt. Wir haben keine Vorstellung davon, in was für einer Welt wir eigentlich leben wollen.

"Das Wichtigste ist, dass wir nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern sagen: 'Jetzt erst recht!'"

Meinen Sie das auf den Journalismus bezogen, oder auch auf die Literatur und die Filmindustrie?

Ein Großteil der Gesellschaft beschäftigt sich gar nicht mit der Klimakrise. Aber um positive, mächtige Narrative zu entwickeln, brauchen wir die gesamte Gesellschaft – also auch Kultur, Film, Kunst, Literatur.

Was muss passieren, damit ich verstehe, was der Klimawandel für mich, meine Stadt, mein Leben bedeutet?

Die Empirie zeigt, dass man sich nicht vor etwas schützt, das man nicht selbst erlebt hat. Ich hoffe aber, dass wir nicht erst eine super tödliche Hitzewelle erleben müssen, um uns davor zu schützen. Sondern dass es reicht, wenn Menschen, denen man sich ähnlich genug fühlt, das tun. Nach der schweren Hitzewelle 2003 wurden in Frankreich Hitzeaktionspläne entwickelt, in Deutschland aber nicht. Warum nicht?

Wäre für uns, als westeuropäisches und wirtschaftlich starkes Land ein schlechtes Gewissen oder eine Entschuldigung gegenüber Ländern angebracht, die schon jetzt stark von der Klimakrise betroffen sind?

Wir sollten Verantwortung übernehmen und handeln. Und damit meine ich nicht, dass wir uns dafür feiern sollten, dass wir 100 Millionen Dollar in den Loss-and-Damage-Fonds stecken. Das ist lächerlich wenig Geld gegenüber dem, was den betroffenen Ländern droht. Wir müssen uns auch vor Augen führen, dass Ungleichheiten zu Konflikten führen. Und man kann keinen Handel mit Ländern betreiben, die im Krieg sind. Also sollten wir selbst aus purem Eigennutz handeln: Eine Gesellschaft, in der Gleichheit herrscht, hält für alle Menschen bessere Möglichkeiten bereit.

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Hitze tötet Menschen – auch in Deutschland und Europa.Bild: AP / John Locher

Klimaaktivist:innen werden als terroristische Bewegung eingestuft und die Ergebnisse der COP sind ein absoluter Witz. Passiert in der Gesellschaft gerade eher weniger Klimaschutz?

Es gibt ein größeres Bewusstsein, dass etwas passieren muss und das Fundament wackelt. Das führt aber auch dazu, dass die OPEC-Staaten, die ja von den fossilen Energien profitieren, noch einmal so richtig zurückschlagen und versuchen, alles rauszuholen, was möglich ist. Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns hinstellen und kämpfen – und nicht den Kopf in den Sand stecken.

Wie könnte eine klimagerechte Welt aussehen?

Es wäre eine Welt, in der die Teilhabe, Gesundheit und Lebensqualität Einzelner mehr wert sind, als die Profitmaximierung einiger Weniger. Es wäre eine Welt, in der es mehr zählt, dass mein Sohn über die Straße gehen kann, ohne um sein Leben zu fürchten, als dass der Autohersteller Profit macht. Deswegen brauchen wir so dringend Erzählungen darüber, wie diese Welt konkret aussehen kann.

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Auch wenn die Klimapolitik zu langsam vorangeht: Man muss weiterkämpfen, sagt Friederike Otto.Bild: dpa / Philipp Znidar

Wie optimistisch sind Sie, dass wir dahinkommen?

Hinkommen müssen wir. Es wird sicherlich zu lange dauern und nicht perfekt sein, aber es gibt schon sehr viele, die für diese Welt kämpfen. Das Wichtigste ist, dass wir nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern sagen: "Jetzt erst recht!"

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