Nachhaltigkeit
Interview

Bahn-Streik: Zugbegleiter packt über Streik, Überstunden und Schichtdienst aus

Zugbegleiter der DB Deutsche n Bahn AG signalisieren dem aus dem Fenster schauenden Lokf
Auch viele Zugbegleiter:innen streiken. Bild: imago images/Ralph Peters
Interview

Zugbegleiter der Deutschen Bahn: Nächster Streik ist "vielleicht kein Warnstreik"

22.01.2024, 16:02
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Pendler:innen haben es dieses Jahr nicht leicht. Wer auf Nah- oder Fernzüge der Deutschen Bahn angewiesen ist, der:die muss sich in den kommenden Tagen erneut auf Chaos einstellen: Von Mittwochnacht bis Montagabend legen die Mitglieder der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) erneut ihre Arbeit nieder – dieses Mal für ganze sechs Tage am Stück.

Zwar wird es auch dieses Mal erneut einen Notfallfahrplan geben, dennoch ist schon jetzt klar: Wer kann, sollte seine Reise besser stornieren oder verschieben. Denn die wenigen Züge, die noch fahren werden, drohen hoffnungslos überfüllt zu sein. Der Ärger von Pendler:innen ist angesichts des erneuten Warnstreiks groß.

Watson hat bereits mit Blick auf den Warnstreik Anfang Januar mit Maximilian Helmschmied, dem GDL-Bezirksjugendleiter Mitteldeutschland sowie Zugbegleiter der DB Regio Leipzig, über die Hintergründe des Streiks gesprochen.

Watson: Wie geht es dir persönlich mit dem Streik, über den sich derzeit alle aufregen?

Maximilian Helmschmied: Ich finde das folgerichtig, wenn man sich anschaut, was der Arbeitgeber für Angebote unterbreitet. Das ist natürlich ein Schlag ins Gesicht. Und da der Arbeitgeber wenig Verhandlungen zulässt – so ist zumindest die Kommunikation an uns Mitarbeiter – ist ein Streik folgerichtig. Es ist nicht so, dass wir uns nicht darüber aufregen. Es könnte alles einfacher sein, auch aus Sicht der Mitarbeiter, aber scheinbar ist es ja nicht gewollt.

Schlägt dir bei der Arbeit Ärger von Bahnreisenden entgegen?

Viele Bahnreisende haben Verständnis dafür, in meinem alltäglichen Berufsalltag ist es nicht so, dass ich angepöbelt werde. Aber viele haben natürlich auch kein Verständnis, das hält sich so in Waage. Es gibt immer die, die für Streiks sind und die, die gegen Streiks sind – meistens sind die dagegen, die gerade betroffen sind.

Aber?

Viele Reisende haben die Bonuszahlungen an den Vorstand der Deutschen Bahn mitbekommen. Da werde ich Zugbegleiter angesprochen, wie es denn sein kann, dass man dem Vorstand Millionenbeträge auszahlt, aber die Züge hier stehen bleiben, weil die Mitarbeiter streiken. Dafür gibt es kein Geld. Und dafür habe ich, aber auch die Reisenden kein Verständnis.

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Hast du ein schlechtes Gewissen, dass die GDL schon wieder streikt und die Bahnen ausfallen?

Als Kundenbetreuer habe ich natürlich Verständnis für die Fahrgäste. Ich versuche dann, auf die Fahrgäste einzugehen und die Sachlage zu erklären. Man unterhält sich natürlich, ich nehme den Frust auch auf, das ist kein Thema. Aber ich persönlich kann es nicht ändern: Wir haben einen Fachkräftemangel.

Als GDL-Mitglied unterstützt du den Streik aber selbst auch.

Als Mitglied in der Gewerkschaft unterstütze ich natürlich die Tarifverhandlung und dazugehörigen Maßnahmen, welche ja unter anderem Streiks sind. Nur durch die Gewerkschaft verbessern sich ja die Bedingungen für die Mitarbeiter und damit am Ende auch für mich. Mit "ich kann daran nichts ändern" habe ich gemeint, dass ich selbst nicht am Verhandlungstisch sitze. Durch mich ändert sich die Situation zwischen Bahn und GDL nicht.

"Es gibt Kollegen, die machen das seit 40 Jahren und manchen sieht man es auch an."

Du erwähntest einen Fachkräftemangel: Warum will niemand mehr bei der Bahn arbeiten?

Bei der Kundenbetreuung der Deutschen Bahn gibt es keine Berufsausbildung mehr, nur noch den Quereinstieg. Man bildet Menschen, die schon eine abgeschlossene Berufsausbildung haben, innerhalb von drei Monaten aus und dann sind die Zugbegleiter. Das ist sehr anspruchsvoll, wegen der komplizierten Tarifbestimmungen, die die Menschen lernen müssen.

Was heißt das?

Die Auszubildenden brechen nicht unbedingt ab, weil sie selber nicht möchten, sondern auch, weil sie die Prüfung nicht schaffen. Wir als Zugbegleiter machen bei der DB Regio im Nahverkehr nur den Quereinstieg. Im Fernverkehr bei den ICEs und Intercitys gib es das noch zweigleisig. Und der Lokführer macht die dreijährige Berufs- und auch die Funktionsausbildung, die geht zehn bis elf Monate. Da muss man sehr viel lernen, auch in der Freizeit.

Forbidding signal of a railway traffic light.
Alles auf Stopp: Ganze sechs Tage lang will die GDL für bessere Arbeitsbedingungen streiken.Bild: iStockphoto / romanwhite

Wie äußert sich dieser Nachwuchsmangel?

Wir haben viele ältere Kollegen, aber die Jüngeren fehlen. Wenn die Leute jetzt Stück für Stück in Rente gehen, entsteht eine Lücke. Das sind die Leute, die ausgelernt haben, und dann gab es 1994 die Bahnreform. Plötzlich war keine Arbeit da. Die Leute wurden weggeschickt. Das spiegelt sich jetzt wider. Wir haben aber auch eine verfehlte Personalpolitik, weil über die letzten Jahre hinweg wenig ausgebildet wurde. Jetzt haben wir Minderbestand bei Lokführern, bei der Kundenbetreuung und, nicht zu vergessen, auch in den Werkstätten.

"Ich selber hatte 150 Überstunden letztes Jahr, also fast einen Monat."

Wie wirkt sich das aus?

Dadurch werden natürlich die Fahrzeuge nicht zeitnah gewartet und sie dürfen nicht gefahren werden. Und das ist genau das, was wieder bei den Leuten ankommt. Das sind nicht nur Personal-, sondern auch Fahrzeugausfälle, die die Deutsche Bahn hat. Und das ist im Endeffekt auch auf das Personal zurückzuführen.

Seit November streikt die GDL wiederholt wegen Lohnverhandlungen.
Seit November streikt die GDL wiederholt wegen Lohnverhandlungen.Bild: iStockphoto / Marjan_Apostolovic

Hat dein Freundes- und Bekanntenkreis Verständnis für den Bahnstreik?

Es gibt natürlich Leute aus meinem Freundeskreis, die das verstehen. Die auch die Arbeit dahinter sehen und die Verantwortung im Vergleich zur Bezahlung sehen. Denn der Schichtdienst ist sehr unregelmäßig: Mitunter fängt man an einem Tag um 5:17 Uhr und am nächsten um 3:48 Uhr an und dann geht der Dienst vielleicht auch zehn oder elf Stunden. Diese Freunde verstehen die Forderungen, zum Beispiel nach der 35-Stunden-Woche, um die Belastung der Menschen zu senken. Denn die machen das nicht nur fünf, sechs Jahre – es gibt Kollegen, die machen das seit 40 Jahren und manchen sieht man es auch an.

Wie viele Überstunden kommen im Schichtdienst zusammen?

Ich selber hatte 150 Überstunden letztes Jahr, also fast einen Monat.

Und was ist mit den Freunden, die kein Verständnis haben?

Natürlich gibt es auch Leute, die anders denken. Da hatte ich letztens eine Unterhaltung mit einer Freundin, sie ist Handwerkerin. Sie sagte: "Wir Handwerker streiken auch nicht." Ich sagte da: "Aber warum denn nicht? Es ist ja nicht so, dass man keine Handwerker braucht." Es ist natürlich nicht jeder Beruf vergleichbar und wenn man in die Pflege schaut, sind da auch ganz andere Bedingungen. Jeder sieht nur sich und was der andere macht, davon hat man nur eine Vorstellung.

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"Wenn in der nächsten Zeit noch mal ein Streik folgen wird, ist es vielleicht kein Warnstreik."

Ist ein Streik die einzige Möglichkeit, um diese Ziele zu erreichen?

Streik ist der letzte Weg, um zu sagen: Wir müssen jetzt etwas machen. Das sehe nicht nur ich so, sondern auch noch tausende andere Mitarbeiter. Wir müssen uns irgendwie einigen. Und selbst wenn es ein Kompromiss ist. So sehe ich das, denn man kann immer viel wollen, aber am Ende muss es eine Kompromisslösung geben, mit der jeder leben kann. Ich würde mir natürlich Verhandlungen wünschen, und zwar nicht so, wie das jetzt bei der Bahn gelaufen ist. Es zieht sich schon über einen langen Zeitraum. Da hätte in meinen Augen mehr Bereitschaft von der Bahn kommen können, zu reden.

Wie optimistisch bist du, dass dieser Streik etwas bewirken wird?

Erstmal sind noch keine weiteren Maßnahmen bekannt seitens der Gewerkschaft. Wenn in der nächsten Zeit noch mal ein Streik folgen wird, ist es vielleicht kein Warnstreik. Ich hoffe, dass man sich vorher einigt. Es ist ja nicht Sinn und Zweck, dass wir uns jede Woche auf die Straße stellen. Sondern es ist gewünscht, dass man zu einer Einigung kommt, auf welchem Weg auch immer.

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