Vor einem Jahr erschien an dieser Stelle ein Fazit zu meinem ersten Jahr mit einer BahnCard 100. Der Text ging durch die Decke. Ich schien einen Nerv getroffen zu haben, auch wenn die allermeisten Bahnfahrer:innen nicht mit der All-You-Can-Drive-Karte unterwegs sind.
Zum Jahreswechsel habe ich mich gefragt: Was hat sich verändert? Was ist besser, was ist schlechter geworden bei der Deutschen Bahn? Und welche neuen Erkenntnisse habe ich gewonnen?
Hier kommt: Mein zweites ehrliches Fazit zu einem Jahr mit der BahnCard 100.
Ich habe keine Kinder, weshalb ich mich lange nicht damit auseinandergesetzt habe, ob Kinder mit der BahnCard 100 kostenlos mitfahren dürfen. Sie dürfen!
Noch besser: Es müssen nicht einmal die eigenen Kinder sein. Wer eine BahnCard 100 hat, darf bis zu vier Kinder kostenlos mitnehmen. Ohne Einschränkungen.
Für mich ist das einigermaßen irrelevant, nur einmal habe ich davon profitiert. Aber ich ziehe meinen Hut: Das ist familienfreundlicher als die allermeisten Dinge in Deutschland.
Und weil die Bahn sich treu bleibt, hat die Fahrt für die Kleinen auch einen pädagogischen Mehrwert: Unser Nachwuchs lernt, dass im Leben nicht alles so schnell geht, wie man es gerne hätte. Denn ...
Die Deutsche Bahn war 2023 unpünktlicher als 2022. Und diese Fieberkurve zeigt eindrucksvoll, wie steil es 2023 bergab ging:
Wir halten fest: Im September waren nicht einmal sechs von zehn Fernzügen pünktlich. Es ist dramatisch. Es nervt.
Ich bin es als Bahnvielfahrer leid, über die Unzuverlässigkeit von Zügen zu sprechen. Es ist das deutscheste aller Smalltalk-Themen nach Gesprächen übers Wetter. Und es ist auch typisch für Deutschland, sich intensiv über jede noch so kleine Panne aufzuregen.
Doch wie könnte ich ein Fazit schreiben, ohne den entscheidenden Punkt zu verschweigen? Die Bahn ist an dieser Stelle nun mal eine einzige Baustelle. Und noch ist unklar, warum man an eine spürbare Verbesserung für 2024 glauben sollte.
Der neue Fahrplan zeigt, dass die Bahn zumindest erkennt, was helfen könnte. Für die Strecke von München nach Berlin kann ich das relativ einfach zusammenfassen: Der Großteil der Menschen, die im ICE auf dieser Strecke im Zug sitzen, fahren eben – von München nach Berlin. Und steigen nicht in Halle (Saale) aus.
Seit wenigen Wochen gibt es pro Tag drei Züge, die auf dem Weg zwischen Berlin nach München nur noch einmal anhalten: in Nürnberg. Was die Fahrt noch einmal um zehn Minuten schneller macht.
Fehlt also nur noch ein Zug, der auch Nürnberg links liegen lässt. Genau so, wie es zwischen Köln und Berlin geht, wo Züge ohne Zwischenstopp verkehren.
Die Vision muss sein, dass auf einer Strecke von München nach Berlin (oder Frankfurt nach Hamburg oder Stuttgart nach Köln) Züge mehrmals am Tag ohne Stopp durchfahren. Und das irgendwann in 2,5 Stunden schaffen. Bei 600 Kilometern Strecke und einer möglichen ICE-Geschwindigkeit von über 300 km/h ist das technisch längst möglich. Uns fehlt "nur" die notwendige Infrastruktur.
Was haben sie sich gelobt bei der Deutschen Bahn für die neue App. Ich sag's mal so: Da haben sie eine Baustelle geschlossen, die nicht existierte. Die alte App war oft das Einzige, was beim Reisechaos an Bahnhöfen funktionierte. Was soll's: Glückwunsch zum Launch. Hoffentlich bricht das Ding nicht oft komplett zusammen, wie es Anfang November leider der Fall war. Und möge die App noch ein wenig verbessert werden, damit ich für manche Infos in Zukunft nicht mehr ein- bis zweimal öfter klicken muss als früher.
Beim eigenen Personal kommt die neue App nicht wirklich gut an. Über wenige Dinge habe ich das sonst so loyale DB-Personal mehr lästern gehört als über die Änderungen im Navigator, weil sie auch keine echten Verbesserungen erkennen und das neue Design unübersichtlicher als das alte finden.
Nichts geändert hat sich an der bemerkenswerten Tatsache, dass man seine BahnCard 100 noch immer nicht in der App hinterlegen kann. Kontaktlos einchecken kann man demnach auch 2024 nicht.
Es war ein völlig neues Zugerlebnis. Ich musste dieses Jahr einige Male einen Intercity nehmen. Und lernte kennen, was auf ICE-Verbindungen undenkbar ist: Ich saß plötzlich fast alleine in einem ganzen Waggon.
Nun überrascht es nicht, dass sich die Zahl derer, die von Ansbach nach Crailsheim müssen, in Grenzen hält. Doch wie leer die Züge außerhalb des Berufsverkehrs tatsächlich waren, war mir bis dahin nicht klar. Es zeigte die Krux der Deutschen Bahn: Natürlich können wir auf solche Züge nicht verzichten, weil sonst Hunderttausenden in einer Region die Möglichkeit fehlen würde, in die Nachbarstadt zu kommen. Nur: Rentabel kann eine Fahrt nie im Leben sein, wenn zwei Sammeltaxen reichen würden, um alle Mitfahrenden zu befördern.
Es ist toll, wenn ICEs einmal pro Stunde auf bestimmten Strecken verkehren. Aber die Realität zeigt auch: Der Zug um 12 Uhr ist halbleer, um 18 Uhr sitzen dafür 100 Leute irgendwo auf dem Boden.
Ich bin wirklich gespannt, ob wir es irgendwann erleben werden, dass zu Hauptreisezeiten deutlich mehr Züge verkehren als im Rest der Woche. Ich kann ja nicht der erste Mensch sein, der erkannt hat, dass es sinnvoll wäre, am Freitagnachmittag einfach mal zwei oder drei ICEs in die gleiche Richtung aufs Gleis zu setzen?
Kürzlich wurde die Abfahrt eines ICEs nur sechs Minuten vorher verlegt, von Gleis 22 auf Gleis 16. Dann geschah etwas Verrücktes: Es ertönte – halte dich fest! – eine menschliche Stimme. Mit klarer Durchsage: Gleiswechsel, Wagenreihung, keine Sitzplatzreservierungen und keine Panik, der Zug wartet, bis alle das andere Gleis erreicht haben.
Das Gegenteil ist leider viel zu oft der Fall: Durchsagen vom Band, die sich wiederholen, nicht stimmen, sich widersprechen und Menschen an Gleisen verzweifeln lassen.
Ich habe einen frommen Wunsch: Setzt, bis das mit der Pünktlichkeit halbwegs funktioniert, bitte einfach wieder Menschen an die Mikrofone. Dass das aktuelle System nicht funktioniert, wurde eindrucksvoll bewiesen.
Ja, ja, die Deutsche Bahn ist ganz toll und lustig auf Tiktok und Instagram und X. Hihi.
Das kann man nur so empfinden, wenn man nicht selbst in einem Zug sitzt, der mal wieder 45 Minuten zu spät ist. Genau in solchen Momenten wische ich mich gerne gelangweilt durch Tiktok. Und werde mittlerweile bei jedem DB-Clip aggressiv, weil ich mir denke: Macht was, das hilft, statt eure Zeit für sinnlose Clips zu verschwenden.
Ich beende diesen Text wie ein Boomer: Es gibt viele Möglichkeiten, mit denen Mitreisende einen zur Weißglut treiben. Meine unangefochtene Nummer eins sind Menschen, die nicht verstehen, was ein Ruheabteil ist.
Ich zahle auf jeder verdammten Fahrt fast fünf Euro für einen Platz, um in Stille arbeiten zu können. Und habe wahlweise schreiende Kinder, telefonierende Tourist:innen oder labernde Rentner:innen neben, vor und hinter mir. Ich könnte ausrasten. Wirklich.
Ich möchte mich daher bei der einen (!) Zugbegleiterin bedanken, die es 2023 geschafft hat, einen Fahrgast darauf hinzuweisen, dass man im Ruhebereich den Mund halten soll.
Den nervigen Mitfahrenden möchte ich sagen: Ihr macht es einem echt nicht einfacher, das Bahn-Chaos regelmäßig tapfer zu ertragen.