Nachhaltigkeit
Interview

Aljosha Muttardi von Queer Eye über Veganer-Hate und Markus Söders Schnitzel

Aljosha Muttardi
Früher aß Aljosha selbst gerne Fleisch. Die Zeiten sind jedoch vorbei.Bild: privat / Sophia Emmerich
Interview

Aljosha Muttardi gesteht: "Habe mich früher über Veganer lustig gemacht"

27.01.2024, 15:14
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"Veganerpups" ist heutzutage eine Beleidigung in Kitas. Eine harmlose Schmähung im Vergleich zu dem, was sich Veganer:innen alles im Alltag bieten lassen müssen, weiß Aljosha Muttardi. Er ist einer der "Fab 5" der Netflix-Show "Queer Eye", seit Jahren Veganer und glücklich damit – wäre da nicht die Ignoranz der Außenwelt.

Zum Veganuary sprachen wir mit dem Arzt und Podcaster über politischen Stimmenfang mit Schnitzel und warum es ihm früher selbst so wichtig war, als leidenschaftlicher Fleischfresser wahrgenommen zu werden.

Aljosha Muttardi Promis bei der CSD Christopher Street Day Demo / Parade in Berlin am 23.07.2022 *** Aljosha Muttardi celebrities at the CSD Christopher Street Day Demo Parade in Berlin on 23 07 2022
"Veganfluencer" Alhosha Muttardi.Bild: Imago Images / Gartner

Watson: Welcher Moment war für dich als Veganer ernüchternd?

Aljosha Muttardi: Leider gibt es da so viele... Ein konkreter Moment, in dem ich genervt war, war zum Beispiel in einem Berliner Hotel, in dem ich extra ein veganes Frühstück vorbestellt hatte und dann nur trockenes Brot und ein paar dieser kleinen, katzenfutterartigen Pasteten aus gefühlt 90 Prozent Palmöl auf den Tisch gestellt bekam – und das in der Veganer-Hauptstadt. Für den Moment ist das witzig, aber gleichzeitig zeigt es auch diese harte Ignoranz. Die merke ich auch, wenn meine Videos aus meiner Bubble hinausgespült werden.

"Ich spreche von Gesundheit und Tierleid und die posten: 'Darauf ein leckeres Schnitzel!'"

Was passiert dann?

Sobald ich außerhalb meines üblichen Publikums mit Videos zu Veganismus lande, werden die blödesten Sachen kommentiert. Da ist es gar nicht möglich, einen Diskurs zu führen. Im Gegenteil, gewisse Kommentator:innen geben richtig mit ihrer Ignoranz an. Ich spreche von Gesundheit und Tierleid und die posten: "Darauf ein leckeres Schnitzel!" Das ist ja nicht einmal besonders geistreich.

Warum regt Veganismus die Leute so auf? Es schwingt ja oft mit, dass veganes Leben ein Modetrend für Wohlstandskinder sei.

Es ist immer leichter, Menschen zu diffamieren, als sich Inhalten zu stellen. Sich über Veganer:innen lustig zu machen, ist der einfachste Weg, vom Thema abzulenken. Diese Art der Debatte nennt sich "Rage Batting": Man versucht Gegner:innen mit Provokation aus der Reserve zu locken, um dann sagen zu können: "Ha, du hältst dich ja doch für was Besseres!" Für mich ist es sehr frustrierend, dass es in diesen Unterhaltungen nie um die Sache geht. Toxische Männlichkeit spielt eine Rolle. Aber auch die Politik ist nicht unschuldig am Tonfall.

Was hat die Politik damit zu tun?

Die Tatsache, dass Politiker:innen das Thema Fleischkonsum instrumentalisieren, um sich bei Wähler:innen anzubiedern. Eine Alice Weidel und ein Markus Söder, die sich ganz kämpferisch geben und sagen: "Ich lasse mir mein Schnitzel nicht verbieten". Das ist Populismus. Warum in einem angespannten Klima absichtlich Öl ins Feuer gegossen wird, verstehe ich nicht. Keiner will ihnen ja ihr Schnitzel wegnehmen. Die meisten Aktivist:innen wollen nur über die Tierhaltung und -nutzung informieren. "Halts Maul. Ich esse jetzt Bacon", ist keine erwachsene Antwort darauf.

Während des Veganuary's postete Söder? Bratwurst.

So reagiert man bei schlechtem Gewissen.

Total. Wir alle leben zum Teil im Widerspruch mit unseren eigenen Wertevorstellungen. Das ist normal, kein Mensch ist perfekt. Gerade beim Essen werden wir aber dreimal am Tag vor diese Gewissensentscheidung gestellt. Das ist ein innerer Konflikt. Aber auch toxische Männlichkeit ist ein Faktor, denn 90 Prozent des Hasses trifft mich von Männern.

Tatsächlich sind vor allem Frauen vegan. Männer treten oft als Grillmeister auf, verantwortlich für Steak und Bratwurst. Wie kommt das?

Vielleicht durch Werbung, den "Jäger- und Sammler"-Mythos oder aus der Sportindustrie, die Proteine so hoch hält? Ich kann nur sagen: Für mich ist Fleisch gesellschaftlich gesehen ein Sinnbild für toxische Männlichkeit.

"Ich habe mit meinem Fleischkonsum angegeben, weil ich dachte, dass Menschen mich dann für weniger schwul halten."

Weil Männer dem "Jäger"-Bild nacheifern?

Der Jäger-Mythos greift ja schon lange nicht mehr. Wir sprechen ja nicht von einem fairen Kampf zwischen Mann und Tier, sondern es werden wehrlose Tiere eingesperrt und dann durch fremde Hände getötet. Sich davon nicht berühren zu lassen, kein Mitleid zu haben, bloß keine "schwachen" Gefühle – das ist das Männerbild, das dahintersteht.

Du hast selbst früher Fleisch gegessen.

Mich hat das Thema sehr stark begleitet. Vor meinem Outing habe ich richtig überkompensiert. Ich habe immer versucht, meinen Mitmenschen zu verklickern, dass ich ganz viel Fleisch esse und mir nie vorstellen könnte, vegetarisch zu leben. Ich habe mit meinem Fleischkonsum angegeben, weil ich dachte, dass Menschen mich dann für weniger schwul halten. Klingt total absurd, war aber so.

Hättest du damals "Darauf ein Schnitzel!"-Kommentare geschrieben?

Hundertprozentig! Ich war sehr provokant und hätte so einen Kommentar garantiert witzig gefunden und gepostet, ja. Ich habe mich früher über Veganer lustig gemacht. Ich habe mich auch permanent über eine Kommilitonin an der Uni lustig gemacht, die vegetarisch gelebt hat.

Hast du dich dafür entschuldigt?

Nee, das war ja kein Mobbing, nur echt supernervig von mir. Ich glaube aber, dass es mir heute ein bisschen beim Verständnis der anderen hilft, dass ich selber so war. Verständnis hilft immer, um miteinander ins Gespräch zu kommen.

Grimmepreis fuer Queer Eye Germany, mit Avi JAKOBD, Leni BOLT, Jan-Henrik SCHEPER-STUKE, Aljosha MUTTARDI and Ayan YURUK, Roter Teppich, Red Carpet Show, Ankunft, arrival, 59. Verleihung des Adolf-Gri ...
Bei "Queer Eye" berät Aljosha (hier mit dem Team und Grimme-Preis 2.v.r.) in Sachen Ernährung.Bild: Imago Images / Sven Simon

Was verstehen Nicht-Veganer:innen oft falsch?

Viele halten vegane Ernährung für etwas Elitäres, was man sich leisten können muss. Dieses Missverständnis entsteht, weil vegane Bratwurst im Supermarkt oft teurer ist, als die aus Fleisch. Das ist total kontraproduktiv, wenn wir nach der Tierethik gehen. Aber wenn du diese Ersatzprodukte nicht kaufst, sondern Gemüse, Getreide und Obst, ist das eine günstige Küche. Es ist kein Zufall, dass gerade in den ärmeren Ländern der Erde die Menschen eher pflanzlich essen – das ist nämlich billiger als Tierhaltung. Es ist eine Frage des Umdenkens und das dauert nun mal.

"Der Diskurs kocht so schnell hoch, wenn es ums Gendern und Veganismus geht, weil jede:r spricht und jede:r isst."

Es ist auch eine Frage des Umfelds. Viele Studierende leben vegan, obwohl sie ein kleines Budget haben.

Andere haben dagegen eine unmittelbare Abwehrhaltung, weil sie sich der veganen Welt nicht zugehörig fühlen, was von den Söders und Weidels befeuert wird. Essen hat viel mit Identität zu tun, dasselbe gilt für Sprache. Der Diskurs kocht so schnell hoch, wenn es ums Gendern und Veganismus geht, weil jede:r spricht und jede:r isst. Ich glaube, wenn Menschen das Gefühl haben, jemand möchte ihnen in ihrem privaten Raum etwas vorschreiben, wird es sofort emotional.

Das Schnitzel steht dann für etwas Anderes.

Dabei führt das viel zu weit. Das Thema ist eigentlich simpel: Wenn wir Fleisch essen oder Leder tragen, löschen wir dafür Leben aus. Wir meiden Bilder, die uns diese Wahrheit zeigen. Die Angst in den Augen von Kälbern, bevor ihnen die Kehle durchgeschnitten wird. Die Verzweiflung von Schweinen auf viel zu engem Raum. Jede:r sollte sich diesen Bildern zumindest stellen.

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Manche haben ein schlechtes Gewissen, schaffen es aber trotzdem nicht, auf Tierprodukte zu verzichten.

Es ist völlig in Ordnung, sich zuerst überrannt von dem Thema zu fühlen. Menschen neigen dazu, immer gleich in Extremen zu denken und dann Panik zu bekommen. Den Druck müssen wir nehmen. Wer sich für veganes Leben interessiert, darf auch in Schritten denken, auch wenn das Ziel natürlich am Ende sein sollte, aus Überzeugung vegan zu leben, denn es ist nicht nur Verzicht, sondern auch eine große Bereicherung.

Inwiefern hat veganes Leben dich bereichert?

Meine Teller sind bunter, das Kochen macht mir mehr Spaß. Vor allem aber macht es mir ehrlich Freude, beim Essen zu denken: Ich habe kein getötetes Tier auf meinem Teller. Das macht mir richtig gute Laune! Je mehr Menschen vegan leben, umso leichter wird es auch, weil der Markt mitzieht und schon jetzt mehr vegane Produkte im Supermarkt zu finden sind. Ich habe da also noch Hoffnung.

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