Nachhaltigkeit
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"Oktopulli" im Interview über Slow-Fashion, Firmengründung und weibliche Vorbilder

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Der Oktopulli ist kindgerecht, funktional und mitwachsend.Bild: www.imago-images.de / Daniel Ingold
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"Oktopulli" im Interview über Slow-Fashion, Unternehmensgründung und weibliche Vorbilder

25.10.2021, 12:0601.11.2021, 10:37
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Die Modeindustrie ist für rund fünf Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich - und damit ein echter Klimakiller. Viele Unternehmen denken deshalb um und versuchen, neue Wege zu gehen. Sie setzen auf Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung, Kreislaufwirtschaft. Auch Nancy Frehse und Carla Reuter haben die Nase voll von Fast Fashion – und gründeten kurzerhand ihr eigenes Label "Oktopulli". Seit Anfang des Jahres verkaufen sie faire und nachhaltige Kinderkleidung. Und die wächst mit.

Im Interview mit watson sprechen die beiden Gründerinnen darüber, was sie von konventionellen Modelabels unterscheidet, welche Hürden sie bei der Gründung ihres Unternehmens überwinden mussten und wie die Zusammenarbeit mit Frauen sie vorangebracht, inspiriert und ermutigt hat.

Das Oktopulli-Team: Fahim, Nancy und Carla.
Das Oktopulli-Team: Fahim, Nancy und Carla. bild: Geli Knaeble Prochazková

watson: Wie kamt ihr dazu, euch mit nachhaltiger Kindermode zu beschäftigen?

Nancy und Carla: Kennengelernt haben wir uns im Studium und dabei schnell bemerkt, dass wir über viele Dinge gleich denken – zum Beispiel über unser Wirtschaftssystem und was es mit Versorgungsbereichen wie der Modeindustrie macht. Außerdem haben wir beide am Ende des Studiums den Wunsch gehabt, unternehmerisch tätig zu sein. Wir wollten selbst etwas machen. Nancy hatte dann die Idee mit den Pullovern, weil sie für ihren kleinen Neffen immer wieder Kleidungsstücke genäht hat und ihr aufgefallen ist, wie schnell er aus ihnen herauswächst.

Welche Lösung habt ihr für das Problem gefunden?

Wie viel Arbeit in einem Kleidungsstück drin steckt, merkt man erst, wenn man es selbst herstellt. Nancy hat also angefangen, den Schnitt mehr und mehr dem Wachstum des Kindes anzupassen. Wir halten es für sehr sinnvoll, Kinderkleidung neu und langlebig zu denken. So war der Oktopulli geboren. Gemeinsam mit einem befreundeten Schneider haben wir dann genau geschaut: Wo wird der Pullover zu klein? Wie wachsen Kinder eigentlich?

Wie lange können Kinder eure Kleidungsstücke tragen? Wie funktioniert das "Mitwachsen" der Kleidung?

Es sind drei Features, die das Mitwachsen ermöglichen. Das erste ist die Schulternaht: Normalerweise läuft die Naht einmal rund um den Arm herum und genau da wachsen Kinder am schnellsten raus, denn ihre Arme werden länger und dadurch verschiebt sich der Schulterpunkt. Wir haben uns deshalb für einen anderen Schnitt entschieden. Beim Oktopulli läuft die Naht vom Schlüsselbein unter dem Arm entlang. Vor ein paar Jahrzehnten war dieser Schnitt noch ganz normal für Kinderkleidung, weil er einfach sinnvoll ist und Platz gibt.

Warum wird dieser Schnitt nicht mehr verwendet?

Durch die Fast-Fashion wurde Kinderkleidung immer mehr an die Bedürfnisse von Erwachsenen angepasst: Man hat sie so gestaltet, dass sie Erwachsenen gefällt, damit sie sie für ihre Kinder kaufen. Und diese kindgerechten Schnitte, die man früher selbstverständlich benutzt hat, wurden immer weniger. Wir haben also die Welt nicht neu erfunden, sondern etwas, das als unökonomisch definiert wird, wieder benutzt. Denn ein Pulli, der mehrere Jahre getragen werden kann, ist gewissermaßen ein unwirtschaftliches Produkt, aber für uns sind Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung einfach wichtiger.

"Ein Pulli, der mehrere Jahre getragen werden kann, ist gewissermaßen ein unwirtschaftliches Produkt, aber für uns sind Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung einfach wichtiger."

Und was sind die anderen beiden Features?

Der zweite Punkt ist das Innenfutter an den Armen. Du kannst den Pulli am Anfang also umkrempeln, er hat zwei Stoffe. Somit bleibt der Pullover auch gekrempelt und verliert beim Toben nicht an Halt. Außerdem hat man dadurch keine Innennaht, worauf Kinder oft empfindlich reagieren. Der dritte Punkt ist die Länge: da ist der Pullover oversized, aber nicht besonders viel. Drei Zentimeter reichen schon aus, damit der Oktopulli einem Kind im Durchschnitt zwei Jahre passt.

Das Innenfutter an den Ärmeln ist ebenfalls ein Designfeature.
Das Innenfutter an den Ärmeln ist ebenfalls ein Designfeature.bild: Geli Knaeble Prochazková

Was habt ihr in nächster Zeit geplant?

Wir wollen den Pullover in all seinen Variationen auf den Markt bringen. Und bald erscheint auch eine neue Größe für Kinder im Alter von fünf bis sieben Jahren. Außerdem arbeiten wir gerade an einem Wendepulli. Generell gilt für uns: Wann immer Freiraum ist, kreativ weiterzudenken, nehmen wir uns den. Momentan läuft zudem eine Crowdfunding-Kampagne, weil wir in ein größeres Atelier umziehen wollen, das wir dann offen gestalten. Dort sollen Kinder den Entstehungsprozess der Kleidung begleiten und selbst mitdesignen können. Die Idee ist, dass der Oktopulli ein Lieblingsstück wird, das gerne lange getragen wird und dass Kinder darin die Erfahrung machen, dass Kleidung ein Qualitätsprodukt ist, das sie lange begleitet. Das Handwerk dahinter sichtbar zu machen, ist uns ein großes Anliegen.

"Ein einziger Preis, der für alle gilt, schließt ganz viele Lebensrealitäten aus."

Ihr bietet eure Pullover zu drei verschiedenen Preisen an, was hat es damit auf sich?

Wenn sichtbar wäre, wie Billigfleisch produziert wäre, würden das sicher weniger Menschen kaufen. Bei Fast Fashion ist es ähnlich: Wenn wir bewusster erleben, wie konventionell produzierte Kleidung entsteht, steigt auch die Bereitschaft, für Qualität mehr Geld auszugeben. Aber natürlich haben nicht alle Menschen gleich viel Geld zur Verfügung, wir finden deswegen auch nicht, dass alle gleich viel für faire Mode zahlen sollten. Ein einziger Preis, der für alle gilt, schließt ganz viele Lebensrealitäten aus. Deswegen haben wir drei Preisstufen. Es gibt den Basispreis, dann den Supporter*innen-Preis und den Soli-Preis. Und zwei Käufe zum Supporter*innen-Preis schalten quasi einen Soli-Preis frei. So ermöglichen Menschen, die mehr verdienen, auch anderen Menschen, die weniger verdienen, Oktopullis kaufen und Fair-Fashion konsumieren zu können.

Wird das System gut angenommen?

Auf jeden Fall. Viele unserer Kundinnen und Kunden unterstützen das solidarische Preismodell. Und letztens kam ein anderes Label auf uns zu und meinte, dass sie es mega cool finden und überlegen, das jetzt auch zu machen. Das ist unser größtes Ziel: Etwas zu machen, das andere nachahmen wollen. Wir wollen Dinge, die nicht mehr infrage gestellt werden, neu denken und anders machen.

"Unser Motto ist: 'Alle Farben allen Kindern!'"

Was wollt ihr noch anders machen als andere Labels?

Wir verzichten beispielsweise auf Symbole wie Autos und Prinzessinnen, die stark mit einem Geschlecht assoziiert werden. Unser Motto ist: "Alle Farben allen Kindern!" Das bedeutet, dass auch ein Junge einen rosa Pulli tragen kann. Wir wollen auch Farben, die gewissermaßen von einem Geschlecht besetzt sind, wieder neutraler machen und allen Kindern zur Verfügung stellen. Wenn Leute fragen, ob ein Pulli für Jungs oder Mädchen ist, sagen wir: Wir haben nur Pullis für Kinder. Oft entstehen dann spannende Diskussionen und wir haben die Möglichkeiten, altbesetzte Rollenklischees mit unseren Kundinnen und Kunden zu hinterfragen.

Alle Oktopullis haben ein genderneutrales Design.
Alle Oktopullis haben ein genderneutrales Design.bild: Geli Knaeble Prochazková

Woher bezieht ihr die Stoffe, die ihr verwendet?

Der Prozess der Beschaffung ist ziemlich aufwendig, denn wir benutzen nur Stoffe, die sich bereits im Kreislauf befinden, also Secondhand-Reste und Überschussware. Wir arbeiten eng mit Stoffhändlerinnen und Stoffhändlern sowie anderen Labels zusammen und verwenden die Stoffe, die als B-Ware zurückkommen und kaufen Restbestände auf. Wir arbeiten also mit dem, was wir bekommen. Das schränkt uns nicht ein, sondern gibt uns die Möglichkeit, kreative Designs auszuprobieren. Das zeigt wieder: Man braucht nicht für jede Saison eine bestimmte Kollektion – Kinder haben nicht so etwas wie eine saisonale Lieblingsfarbe. Es ist einfach die Fast-Fashion-Industrie, die uns das Gefühl gibt, wir bräuchten jede Saison etwas Neues.

"Man braucht nicht für jede Saison eine bestimmte Kollektion – Kinder haben nicht so etwas wie eine saisonale Lieblingsfarbe."

Ist Oktopulli ein durch und durch nachhaltiges Label?

Wir stellen zwar ein neues Produkt her, aber verwenden dafür ausschließlich bereits bestehende Stoffe. Höchstens Bündchen müssen wir mal neu dazu kaufen. Wir wissen zwar nicht immer, wie unsere Stoffe hergestellt wurden, aber dafür können wir die Arbeitsbedingungen von der Herstellung des Pullovers komplett überblicken und nach unseren ethischen Ansprüchen gestalten. Und für ein Kinder-Slow-Fashion-Label mit mehreren Mitarbeitenden ist es wirklich eine Seltenheit, dass wir in Deutschland produzieren. Das ist finanziell übrigens unsere allergrößte Herausforderung: In Deutschland Kleidung zu produzieren und sie für 50 Euro zu verkaufen, ist nicht leicht.

Aus den Stoffresten werden Scrunchies gemacht.

Ihr habt Oktopulli als GmbH in Verantwortungseigentum gegründet: Was bedeutet das genau?

Die Grundidee ist, dass das Unternehmen sich selbst gehört. Das bedeutet beispielsweise, dass wir das Unternehmen nicht gewinnbringend verkaufen dürfen, sondern nur unsere Anteile und auch nur zu dem Wert, den wir selbst eingebracht haben. Das heißt, wir können damit keinen Mehrwert schaffen. Wir zahlen uns auch nichts über eine Gewinnausschüttung aus, sondern über faire Gehälter. Damit wir uns als Geschäftsführerinnen nicht die Taschen voll machen, gibt es eine Stiftung, die all unsere Prinzipien kontrolliert. Zudem können Geldgeberinnen und Geldgeber sich nur still beteiligen, damit sie keine Stimmrechte erhalten und nicht über das Unternehmen bestimmen können.

"Alles, was das Unternehmen als Gewinn verzeichnet, wird reinvestiert oder gespendet ­– und niemand bereichert sich privat daran."

Welche juristischen Schwierigkeiten hat diese Gründung mit sich gebracht?

Für eine Gründung in Verantwortungseigentum gibt es noch keine offizielle Rechtsform in Deutschland, man muss sich das selbst zusammenpuzzeln. Aber trotzdem war für uns klar, wenn wir gemeinsam mit anderen Menschen Werte schaffen, müssen wir das auch abbilden und dann darf das Unternehmen nicht nur uns zwei gehören. Alles, was das Unternehmen als Gewinn verzeichnet, wird reinvestiert oder gespendet ­– und niemand bereichert sich privat daran. Für die Einführung einer Rechtsform für Unternehmen in Verantwortungseigentum setzen wir uns aktiv ein.

Carla, du hast dich vor kurzem gemeinsam mit anderen Unternehmen mit der Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock zum Gespräch über "Verantwortungseigentum" getroffen. Welche Ergebnisse habt ihr im Gespräch erzielt?

Gemeinsam mit anderen Start-ups wie Wild Plastic, Einhorn, oder Viva con Aqua, die auch als Verantwortungseigentum gegründet haben, wollten wir zeigen, dass diese Unternehmensform einfach funktionieren kann. Auch Ecosia hat diese Rechtsform und mit ihren Gewinnen sichern sie ihre Bauprojekte. Das ist für Kundinnen und Kunden auch eine andere Perspektive, dass sie wissen, wo ihr Geld hinfließt. Annalena Baerbock wollten wir im Gespräch nochmal den Bedarf nach dieser Rechtsform deutlich machen. Denn als wir gegründet haben, wollten wir kein gemeinnütziger Verein sein, auch keine NGO. Wir wollen ein wirtschaftlich tragfähiges Unternehmen sein und andere Menschen zum Nachahmen inspirieren, damit die Idee von sozialem Unternehmer- und Unternehmerinnentum eben nicht immer in die Ecke von Gemeinnützigkeit gestellt wird.

Habt ihr im Prozess der Gründung als Frauenteam besondere Herausforderungen meistern müssen?

Wir haben im ganzen Prozess des letzten Jahres unglaublich viel Support von anderen Frauen bekommen. Es war extrem eindrucksvoll, wie viel freiwilliges Entgegenkommen gegenüber unserer Idee stattgefunden hat. Auch andere Labels haben uns unterstützt, zum Beispiel über Social Media. Wir erfahren auch mit Frauen einen viel ehrlicheren Diskurs darüber, was nicht funktioniert, was anstrengend ist, wo es finanzielle Schwierigkeiten gibt. Männer tun eher so, als würde alles gut laufen, im Miteinander mit Frauen erleben wir deutlich mehr Ehrlichkeit. Wir wurden von Männern zwar nicht stark gebasht, aber eben auch nicht unterstützt. Sie haben uns oft eine gewisse Skepsis entgegengebracht. Wir haben oft den Satz "Das kann sich doch niemals tragen" gehört – und zwar immer nur von Männern.

"Wir haben oft den Satz 'Das kann sich doch niemals tragen' gehört – und zwar immer nur von Männern."

Gab es prägende Erlebnisse, die euch die veralteten und patriarchal geprägten Strukturen unserer Gesellschaft direkt vor Augen geführt haben?

Wir haben schon ein paar Gespräche gehabt, wo wir als einzige Frauen und als einzige Personen unter 30 in einer Runde von männlichen Politikern und Unternehmern das Thema "Verantwortungseigentum" vorgestellt haben. Da hatten wir schon das Gefühl, viele Stereotype aus dem Weg räumen zu müssen. Gerade, weil wir über Kindermode sprechen und das immer noch ein sehr weiblich besetztes Thema ist, werden wir oft nicht ernst genommen. Aber wir sprechen eben auch über Wirtschaft. Wir mussten uns erstmal erarbeiten, dass wir wahrgenommen werden, dass uns zugehört wird. Wir mussten uns oft vor Männern behaupten. Aber wir wissen, was wir tun und am Ende haben war bisher auch jeder Mann von unserem Unternehmenskonzept überzeugt.

Welche Tipps würdet ihr jungen Frauen mit auf den Weg geben, die ein Unternehmen oder Start-up gründen wollen?

Macht es niemals alleine, sondern gemeinsam mit einer Person, der ihr vertraut. Es braucht vor allem Mut und Durchhaltevermögen. Man muss wirklich beherzt dranbleiben und auf sich selbst vertrauen, aber auch auf sich Acht geben.

Der läuft eine Crowdfunding-Kampagne zur Gründung des "Atelier der neuen Chancen".

Welche Frauen haben euch inspiriert?

Nancy: Für mich ist das meine Mutter, die ist nämlich auch selbstständig. Sie hat damals mit fünf Kindern alleinerziehend nochmal entschieden, zu studieren und sich selbstständig zu machen. Sie hat mir gezeigt, dass man alles schaffen kann, wenn man durchhält. Und auch unsere gemeinsame Professorin war eine unglaubliche Inspiration für uns.

Carla: Ich hatte mit ihr zum ersten Mal in diesem Studium ein weibliches Role Model. Für sie ist ihr Geschlecht kein Hindernis, ein starkes Standing an der Universität zu haben. Und trotzdem hat sie es sehr transparent gemacht, dass sie Schwierigkeiten hatte, sie war sehr offen. Und diese Ehrlichkeit erleben wir jeden Tag in der Zusammenarbeit mit Frauen und wissen sie sehr zu schätzen.

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